100 Jahre Leica
Die Leica I A wurde im Jahr 1925 auf der Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt. Ihre im Vergleich zu den zeitgenössischen Kameras extreme Kompaktheit und die Verwendung des Kleinbild-Filmformats machte sie zum idealen Werkzeug zur Dokumentation des täglichen Lebens und ermöglichte überhaupt erst das neue Genre der Reportage-Fotografie. Viele Künstler entdeckten mit dieser Kamera oder ihren Nachfolgern die Kleinbild-Fotografie als Kunstform. In diesem Artikel auf der Messsucherwelt beschreibt William Fagan (Spezialist für historische Leica-Kameras), wie es zu der Entscheidung kam, das die Leitz-Werke (die bis dahin Mikroskope bauten) eine neuartige Kamera in Serie fertigen sollten. Auf der Seite der „Leica International Society“ fand ich ebenfalls eine gute Beschreibung und historische Einordnung der „Leica Model A“, wie sie im englischsprachigen Raum bezeichnet wird.

Henning Stolze schreibt hier, wie er dazu kam, mit einer Kamera zu fotografieren, die sicher viele heute eher als Vitrinenstück ansehen und teilt seine praktischen Erfahrungen mit der Leica I A. (Vorwort des Hrsg.)
Ein Bericht über die Leica I A von Henning Stolze
Der Weg ist das Ziel – auch beim fotografieren
Seit neun Jahren fotografiere ich nun mit dem Leica M System und bin immer noch glücklich darüber, weil es mir die Freude am fotografieren zurück gegeben hat. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mir mein Vater Ende der Siebziger in einem Park mit einer Pentacon FM (wie Contax D), einem Tessar mit M42-Anschluss und einem Sixtomat Belichtungsmesser das fotografieren beigebracht hat. Mit dem Aufkommen der Digitalkameras war ich zunächst von der Technik begeistert und hatte später sogar eine Lumix aus der GH-Reihe mit zwei Autofokus-Objektiven. Aber irgendwie hat mich die „Point-and-shoot Fotografie“ echt abgeturnt und irgendwann hatte ich fast gar keine Lust mehr zu fotografieren.
Mit einer Leica M Typ 262, die ich mir an meinem 50. Geburtstag gönnte, kam endlich wieder Spaß ins Spiel und die Freude zurück. Mittlerweile fotografiere ich mit einer M10-R und einer M10-Monochrom und brauche auch kein Upgrade mehr – besser geht’s nicht! Frei belegbare Tasten (ein Graus!) und einen Verschluss ohne mechanisches Klicken möchte ich nicht. Vielleicht werde ich aber einfach nur langsam alt.

Wie dem auch sei, interessierte mich irgendwann auch die analoge Leica-Fotografie. So beschloss ich mit schmalem Budget einzusteigen und erstand für wenig Geld eine optisch sehr schöne silbern verchromte Leica IIIf von 1954, alias „Schraubleica“. Von dem Besitzer erfuhr ich noch, dass sie bei seinem Vater wohl fast 50 Jahre in einer Schublade am Gardasee gelegen hatte. Leider waren die langsamen Zeiten etwas verharzt und das Verschlusstuch hinterließ auf den Fotos kleine stecknadelkopfartige weiße Löcher. Trotzdem waren die Fotos irgendwie magisch für mich und völlig anders als digitale Leica Fotos. Also musste eine Revision für 400€ her, die sich jedoch wirklich gelohnt hat. Ich kaufte mir einen Belichtungsmesser Modell Lime II von HEDECO, den man wunderbar in den Blitzschuh einschieben kann und der nicht „dick aufträgt“. Jedes Bild wurde etwas! Seitdem begleitet mich die Kamera mit einem Summitar f2.0/50mm bei meinen jährlichen Bergwanderungen. Übrigens ein super Objektiv. Schon toll, wie klein so eine Schraubleica ist! Man wird beim Fotografieren sogar auf diese alten Geräte angesprochen. Als ich in den französischen Alpen am Tisch mit dem Apparat fotografierte sprach mich ein Mann an: „Ahh Leica, excellent! Und ich sagte: „Oui, 1954“!
Fasziniert von der IIIf dachte ich mir: Hier ist doch auch eine „black paint“ für kleines Geld zu haben und erstand eine pechschwarze Leica IIIF von 1933 mit wunderbaren Gebrauchsspuren, so dass man dass Messing an den Kanten durchschimmern sieht. Leider musste auch hier eine Revision her (Verschlusstuch ok, aber auch verharzte langsame Belichtungszeiten). Nun war ich schon bei einer 90 Jahre alten Kamera angekommen und bin begeistert, dass diese immer noch tolle Bilder liefert. Wie sagt doch Ken Rockwell über die Leica-Modelle: „You can‘t wear them out“! Und es ist wirklich so!
Die Leica I A: Zurück zu den Ursprüngen


Irgendwann entdeckte ich in unserem großen Bücherschrank das herrliche Fotobuch „a propos de Paris“ von Henri Cartier-Bresson, welches meine Frau mit in die Ehe gebracht hatte und das ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr in den Fingern hatte. Darin enthalten sehr viele wunderbare Fotos aus den 1920er Jahren aus Paris, die Henri Cartier-Bresson mit seiner ersten Leica I A geschossen hatte. Ich dachte – unglaublich was er mit einer Kamera ohne Entfernungsmesser und Belichtungsmesser geschaffen hat. Später erfuhr ich auch noch, dass er nur mit 50mm Objektiven gearbeitet hat und nur mit, – natürlich, Leicas! Seine letzte Leica war eine M3, ab 1956!
Jetzt war ich irgendwie angefixt und machte mich auf die Suche nach einer schönen Leica I. Das war gar nicht so einfach und hat auch im Versuch nicht geklappt (war nicht funktionstüchtig). Auch musste ich den Kaufpreis nun etwas höher ansetzen. Schließlich fand ich einen unglaublich netten Verkäufer einer Leica I A von 1929 (dem Geburtsjahr meiner Mutter!) auf eBay Kleinanzeigen, mit dem ich lange hin und her schrieb: Ja, er habe die Kamera vor wenigen Jahren noch „filmgetestet“ und sie sei völlig in Ordnung. Alle Zeiten würden laufen und das Verschlusstuch sei lichtdicht. Soweit er sich erinnere, habe sein Vater die Kamera in den 70ern mal zu Leica zur Revision gegeben! Das muss man sich mal vorstellen, das ist auch schon 50 Jahre her! Schließlich wurden wir uns handelseinig und konnte die Kamera sogar 2 Wochen testen – und Bingo! Alles OK, keine Revision notwendig!

Nur das Elmar war etwas schwergängig (Blende und Entfernungseinstellung) und ich machte etwas, was ich bisher noch nie getan hatte – ich schraubte das gute Stück von der Kamera ab (dabei gelang mir der Blick auf das völlig intakte Verschlusstuch) und nahm es auseinander und fettete den Schneckengang selbst. Wieder zusammengebaut, Film getestet – alles ok!

Es ist schon viel über die Leica I A geschrieben worden und man kann wunderbare Rezensionen dazu (insbesondere englischsprachige – Mike Evans) im Internet nachlesen. Dennoch muss ich noch einmal sagen wie genial die Ideen von Oskar Barnack und Max Berek waren. Geradezu revolutionär wenn man bedenkt, dass bis dahin immer große Plattenkamera-Ungetüme mit herum geschleppt werden mussten! Genial ist einfach auch die Idee des versenkbaren Objektivs. Und wirklich eingefahren ist die Leica 1A kleiner als ein IPhone (zugegeben aber etwas dicker!). Passt eine Leica M mit einem kleinen Summicron in eine Manteltasche, so passt die 1A in eine Hosentasche. Sie ist außerdem die kleinste Schraubleica. Dies führte für Fotografen und Fotografinnen in den 1920er Jahren zu ganz anderen Möglichkeiten und damit auch zu anderen Genres, Motiven und fotografischen Möglichkeiten! Noch dazu sieht sie toll aus, in ihrem schwarzen Lack und fasst sich unglaublich schwer und solide an. Und das ist sie auch – nun bin ich mittlerweile bei einer 95 jährigen Leica angekommen. Mit diesem Modell startete Ernst Leitz die Erfolgsgeschichte der Leica auf der Leipziger Messe 1925! Wer mein gutes Stück wohl 1929 neu gekauft hat und wo?

Leica I A im Gebauch

Nun zum Fotografieren mit der I A. Mein erster Ausflug mit dem guten Stück führte mich nach Berlin, wo gerade Marathon war und ich einige Fotos mit Ilford HP5 machte. Einen zweiten Film belichtete ich mit Ilford Delta 3200, da ich diesen High-ISO-Film einfach einmal ausprobieren wollte und ihn im häuslichen Umfeld abknipste (siehe letztes Foto). Entwickelt wurden die Filme von „Mein Film Lab“ in Hürtgenwald.
Zunächst zur Belichtungsmessung. Der HEDECO Belichtungsmesser passt leider nicht auf die I A, da hier der Sucher im Weg ist. Außerdem kann ich die Zahlen ohne Brille mittlerweile nicht mehr so gut lesen, so dass ein Handbelichtungsmesser her musste (gerne wieder möglichst klein). Bei Kleinanzeigen fand ich einen guten Gossen Digisix für meine Zwecke (sozusagen die Neuauflage des Sixtomats).

Das Elmar f3.5 50mm ist an der Leica I A fest verschraubt und es gibt auch wie gesagt keine Übertragung der Entfernungseinstellung auf die Kamera. Das heißt man muss die Entfernung schätzen, was bei mir meist recht gut klappt (etwas kritisch wird es bei Entfernungen <1m). Man kann von Leica auch einen externen optischen Entfernungsmesser (z.B. FODIS) ansetzen, der ein wenig wie ein Seerohr eines U-Bootes anmutet. Funktioniert, dauert mir aber zu lange! Der Infinity-Lock ist nicht am Objektiv befestigt sondern fest am Gehäuse verschraubt, der sogenannte Hockey-Schläger. Funktioniert einwandfrei und wird durch kurzes Drücken gelöst. Die Blende wird vorne am Objektiv eingestellt. Dazu benötigt man den Fingernagel und es ist etwas fummelig und gewöhnungsbedürftig. Solange man sich den Zugang zur Blende nicht mit einem aufgeschraubten Filter (siehe Foto) versperrt kein Problem, sonst ist es extrem nervig. Es gibt auch Filter, die man in das kleinere Gewinde einschrauben kann, aber recht selten zu bekommen sind (siehe Foto). Hier stellt sich das Blenden-Einstell-Problem nicht, da die Einstellung nicht verdeckt wird. Das Elmar f3.5 50mm ist immer noch das kleinste jemals gebaute 50mm Objektiv.

Unglaublich, und das in den 20er Jahren! Mein Exemplar weist etwas Putzspuren auf, macht aber ansonsten scharfe Fotos. Die Vorkriegszeit-Elmare sind unvergütet und deshalb anfälliger für Flare, insbesondere wenn keine Sonnenblende benützt wird wie bei mir. Aber auch das stört mich nicht, da das Gegenlicht manchmal eine ganz besondere Atmosphäre zaubert (siehe Foto)
Die Belichtungszeiten werden wie an den anderen Schraubleicas auch durch anheben des Belichtungszeitenrades eingestellt. Es gibt nur Belichtungszeiten zwischen 1/20 und 1/500s Sekunden (außer natürlich B, das hier Z heißt). Wieder eine Überraschung: Wie of braucht man eigentlich Belichtungszeiten <1/20 oder >1/500s? Tatsächlich selten, wenn man kein Stativ benutzt oder bei Sonne offenblendig fotografieren will. Nun nur noch Film einlegen und dann los. Vorher kommt aber noch die Oskar-Barnack-Gedenkminute mit dem Zurechtschneiden des Films. Dazu gibt es verschiedene Helferlein aus der alten Zeit, oder kostengünstigere neue Variante aus Plastik. Damit gelingt es eigentlich immer ganz sicher. Unterboden verschließen (sieht fast noch so aus wie bei der M10), fertig.
Genau genommen handelt es sich bei der Leica 1A nicht um eine Messsucherkamera sondern um eine kleine Kamera mit fest aufgesetztem externen Sucher (ohne Parallaxenausgleich). Dennoch gelingt es auch damit ganz gut, sein Fotomotiv zu fixieren.
Fazit
Zusammengefasst macht es einfach Spaß, mit diesem handlichen und allzeit bereitem Fotoapparat die Welt „durch die Augen der 1920er Jahre“ zu betrachten und zu fotografieren. Für mich bleibt sie das IPhone der zwanziger Jahre, da man sie auch heute noch immer dabei haben kann. Ich schätze die Kombination mit dem kleinen Gossen Digisix-Belichtungsmesser, der ebenso klein und handlich ist. Die Kamera macht durchaus scharfe Bilder, trotz geschätzter Entfernung (einfach entsprechend abblenden!). Das Elmar ist aufgrund des unvergüteten Glases etwas anfällig für S treulicht, was aber kein Drama ist. Noch immer kann man auch diese Leica in verschiedenen dafür spezialisierten Betrieben und natürlich bei Leica selbst zum Service geben und aufarbeiten lassen. Das nenne ich mal nachhaltig! Viel Spaß beim fotografieren!

Ich finde diesen Artikel in vielerlei Hinsicht besonders gut und bemerkenswert. Ich sehe vor allem in der Überschrift eine technisch-soziale Dimension. Wenn nämlich die Leica 1 das Iphone vor hundert Jahren war, dann ist heute das Iphone die neue Leica. Dann würde Henri Cartier-Bresson heute mit einem Iphone fotografieren.
Das ist meine Schlußfolgerung daraus. Und dann ist die App Leicalux die logische Folge und damit ist es Leica gelungen, einen echten Transfer vom analogen ins digitale Zeitalter hinzubekommen.
Insofern war es noch nie schöner mit Leica zu fotografieren, weil man jetzt die bisherige und die neue Welt parallel nutzen kann.
Wir leben insofern in einer wunderbaren Zeit.
Lieber Herr Hoppen, lieber Herr Mahlke,
Ich möchte Ihnen beiden für Ihre freundlichen und geistreichen Kommentare danken! In der Tat hat sich mir der Vergleich mit dem Iphone aufgedrängt, da die Leica 1A das Fotografieren ab den 20er Jahren komplett verändert hat! Plötzlich hatten viel mehr Menschen Zugang zur Fotografie und damit änderten sich natürlich auch die Motive durch diese „always on“ Kamera!
Herzliche Grüße
Henning Stolze
Das IPhone als neue Leica…die Zukunft ist schon real… https://leica-camera.com/de-DE/mobile/lux-grip …das Ende der digitalen Fotografie ist noch lange nicht erreicht. Ich sehe schon die Preise für Objektive und Kameras erodieren…! 😉
Hallo H. Stolze,
herzlichen Glückwunsch zu dem gelungen Artikel! Mit meiner M 4 P habe ich jahrzehntelang – auch unter sehr rauhen Bedingungen – fotografiert und immer sehr gute Bilder nach Hause gebracht. Im Stich gelassen hat sie mich nie. Die Leica ist ein Meilenstein und ein Paradebeispiel erfindungsreicher Ingenieurskunst und epochemachender Industriegeschichte. Vor langer Zeit habe ich ein Elmar 3,5 f=5cm – wie es so schön graviert ist – Schraubgewinde mit M-Adapter gekauft. Die Blende wird noch mit dem Fingernagel eingestellt, es kuppelt aber mit dem M-Entfernungsmesser. Ich weiss nicht, wann es hergestellt wurde, da ich keine Nummer gefunden habe. Es ist sicher sehr alt. Nachdem ich mir die M 11 kaufte, nahm ich es mal wieder aus der Schublade machte ein paar Bilder: es ist eine hervorragende Optik! Wenn es nicht gerade Lichtverhältnisse sind, die die fehlende Reflexfreiheit zeigen, fügen sich die Bilder unauffällig in die Serien der Fotos mit den anderen Leica – Objektiven ein. Und das bei voller Auflösung der M 11. Respekt. Meine Bilder mit dem Zeiss Tessar der Rollei 35 haben nicht diese Qualität.
Oskar Barnack und sein Team haben gezeigt, dass man auch mit dem Rechenschieber großes errechnen kann!
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß mit den Oldies & viele Grüße
Wieland Hoppen