Ein Blog jagt den nächsten, aber damit ist es auch dann erst mal gut. Gerade aus Paris zurück, war wieder der Tag der Präsentation der Ergebnisse der Woche der „Ferienmusikwerkstatt“ und wie immer war es erstaunlich, was die Teilnehmer in der einen Woche alles geschafft hatten. Den krönenden Abschluss macht immer spätabends die Barockoper unter der musikalischen Leitung von Walter Waidosch, in der alle Teilnehmer, ob gross oder klein, irgendwie eingebunden sind. Teils als Librettist, Musiker, Bühnen-und Maskenbildner, teils als Darsteller hat jeder eine Aufgabe, die alle mit unglaublich viel Spass dabei erfüllen.
So ist das fotografieren der Abläufe immer eine dankbare Sache. Bühnenfotografie finde ich sowieso sehr reizvoll, ich habe leider kaum Gelegenheit dazu (noch schöner ist es natürlich, wenn man bei den Proben zu einem solchen Stück zwischen die Teilnehmer treten kann und von dort fotografiert, denn bei der Aufführung muss man sich schliesslich hübsch ausserhalb des Geschehens halten).
Beinahe hätte ich die Oper nicht fotografiert, zumindest nicht, um einen Blog daraus zu machen, denn ich war noch ziemlich erfüllt von der letzten Zeit in Kärnten, München und Paris, viele der Bilder von da musste ich noch sichten, also war ich etwas zögerlich, mir noch mehr aufzuhalsen. Aber eine Teilnehmerin sprach mich nachmittags an und schwärmte sehr nett von den Beiträgen über die Opern im Blog der letzten Jahre (hier 2013, hier 2014), dass ich weich wurde. Ich bereue jetzt, dass ich erst ein wenig knurrig reagierte, erlag dann aber doch der netten Ansprache.
Am Abend legte ich meine fotografischen Paraphernalia bereit und machte mich auf arbeiten unter erschwerten Bedingungen gefasst. Damit ist mein defekter Messsucher gemeint, denn es war klar, dass ich nun ständig in dem Bereich fokussieren musste, den er eben nicht mehr zeigte. Also war ich auf den Sch…elektronischen Sucher angewiesen, um mit Fokuspeaking mein Motiv zu finden. Dazu musste ich irgendwie mit der Auslöseverzögerung leben, die nun mal bei Live-View immanent ist. Ich half mir allerdings während der Aufführung: Um flexibler zu sein, nahm ich gelegentlich blitzschnell das Objektiv aus dem Bajonett, zog den Hebel des Messsuchers (im Gehäuse der Kamera) ganz nach vorne (also in Stellung „Nah“) und setze das Objektiv mit Distanzring auf kleiner Entfernung wieder auf. Dann konnte ich ein näher gelegenes Motiv mit Messsucher fokussieren (in eine Richtung geht er ja, nur nicht wieder zurück). Aber das beschleunigte die Motivsuche und erhöhte die Trefferquote erheblich, so dass ich fast nur noch so vorging.
Das Ganze ist natürlich ein „pain in the ass“, ich bin froh, wenn ich nächste Woche die Kamera repariert bekomme. Ansonsten liess ich die Kamera auf Belichtungsautomatik bei Blendenvorwahl und hatte Auto-ISO wie gewöhnlich auf 3200 begrenzt. Die längste Belichtungszeit bei Automatik sollte 1/Brennweite sein, obwohl hier 1/2XBrennweite auch durchaus o.k. gewesen wäre. Aber die Akteure bewegten sich ausser beim Tanzen nicht zu hastig, und ich finde eine gut platzierte Bewegungsunschärfe durchaus Bildwirksam.
Bei Sichtung und Aussortieren der Bilder überlegte ich kurz, ob ich alle in Schwarzweiss präsentiere, denn einige eignen sich sehr gut dafür, auch ist der Bereich der Bühnenfotografie eine S/W-Domäne. Dann aber entschied ich mich doch für die Farbvariante. Wie immer bin ich über den Sensor erfreut, der auch bei hoher ISO noch Bilder mit guter bis sehr guter Farbdynamik liefert. Am automatischen Weissabgleich der Kamera habe ich nachträglich nichts geändert, die Fotos geben die gelbliche Beleuchtung naturgetreu wieder. Überhaupt sind alle Bilder wenig verändert: Hier und da etwas die Belichtung angehoben, die Highlights zurückgenommen, ein wenig Rauschunterdückung, das ist schon alles.
Es ist aber auch klar, dass der tollste Sensor nichts kann ohne die entsprechenden Objektive und bei diesen Lichtbedingungen kam mal wieder die Stunde der Summiluxe. Aber auch das 75er Apo-Summicron und das 90er Summarit kamen zum Zuge, letzteres sogar recht oft. Ich hatte ihm den Vorzug vor dem 90er Apo-Macro gegeben (das ich in letzter Zeit favorisiere), denn hier war in erster Linie Lichtstärke gefragt (davon ab: die Summarite zählen wohl zu den am meisten unterschätzten Objektiven überhaupt. Zu unrecht, mancher Hersteller müsste sich bemühen, schon den Standard zu erreichen, den diese Optiken setzen).
Hier ist also der Bericht über die inhaltlich erstaunlich aktuelle Barockoper:
Der Dirigent klärt die Besucher über die Tatsache auf, dass sie nicht Glucks „Orpheus und Eurydike“ zu erwarten haben, sondern Johann Joseph Fux verantwortlich zeichnet („da steckt bestimmt der Fux dahinter“, ist ein bekanntes Zitat aus seiner Zeit…oder nicht). Völlig vergessen zu erwähnen hatte Walter Waidosch allerdings, dass die Jugendhof-Librettisten gnadenlose Anleihen bei Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ gemacht hatten. Nun ja, das merkte das Publikum dann ganz schnell.
Erste Szene: Orpheus und Eurydike haben sich nicht mehr viel zu sagen. Die ganze Romantik ging im Brei des Alltäglichen unter, und sie sind einander mittlerweile herzlich egal.
So sucht sich der prinzipienlose und als Musiklehrer etwas heruntergekommene Orpheus andere Frauenbekanntschaften. Er betrügt seine Frau mit der Nymphe Chloé, die aber aus ganz anderen Gefilden kommt. Die öffentliche Meinung (ein Chor von drei bürgerlich gekleideten Herrschaften), ist entsetzt: Er bändelt mit einer Kreatur der Hölle an (aber sind das nicht irgendwie alle Frauen? Anm. der chauv. Red.)! Obwohl es den Chronisten etwas verwirrt, denn nach seiner Erinnerung war Persephone die Frau des Pluto und somit die „Höllenfürstin“. Vielleicht klärt mich ja noch mal einer auf, was ich hier nicht checke.
Eurydike sieht sich indessen ebenfalls mit einem neuen Verehrer konfrontiert: Pluto (nein, nicht der Hund! Pluto wie Hades, kapiert?) umgarnt sie. Dass er sich zunächst als Schäfer Aristäus ausgibt, unterstreicht die zweifelhafte Moral der Sache nur. Pluto will Eurydike mit in die Hölle nehmen, dazu hat er sich mit einem Vampirgebiss á la Twilight ausgestattet. Ein kräftiger Biss in den Hals, und es ist um Eurydike geschehen, sie folgt ihm willig.
Nicht aber ohne vorher einen Abschiedsbrief zu schreiben, der ihr von Pluto in die Feder diktiert wird:
Verlassen muss ich diese Schwelle,
Denn ich bin tot ohn’ allen Zweifel,
Aristäus war der Gott der Hölle,
Und jetzt holt mich der Teufel.
Orpheus kann sein Glück nicht fassen, dass er die Alte los ist, hat aber die Rechnung ohne die öffentliche Meinung gemacht, die Zeter und Mordio schreit ob den verletzten Grundfesten der Ehe.
Szenenwechsel: Olymp
Sie (die öffentliche Meinung) zwingt Orpheus, bei Jupiter Hilfe zu suchen, der hier gerade mit seinem neuen Raumgleiter von Ferrari eintrifft. Dazu singt ein Terzett aus jungen Damen lautstark seine bekannte Hymne „Fred vom Jupiter“ (alle Achtung, dass der Fux das drauf hatte, hätte ich nie gedacht!).
Das höllische Personal wartet derweil auf seinen Einsatz.
Nun also wird der Casus vor den Götterboss gebracht. Mit dabei sind die öffentliche Meinung, einige Götter des Olymp und Juno, die mit dem Accessoire des Nudelholzes einen seltsam strengen Eindruck macht. Besonders zu beachten ein Neuzugang: Der „Flankengott“. Seit der letzten Fussballweltmeisterschaft hat ja der Begriff „Götzenverehrung“ eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Jupiter, dem die öffentliche Meinung am A… vorbeigeht, hat so seine eigene Agenda. So ein Besuch in der Hölle könnte ganz amüsant werden.
Szenenwechsel: Höllische Gefilde, Plutos Boudoir.
Wir sehen einige niedere Geister, die das Versteck der Eurydike bewachen. einer der Leibwächter mit Hellebarden müsste eigentlich Hans Styx sein. aber welcher, wird uns nicht verraten. Die niederen Geister spielen gerade Höllen-Mau-Mau, eine teuflische Variante des beliebten Kartenspiels, in dem das Blatt fast nur aus Siebenen besteht…
Pluto: „Äh, Teufelchen…rückt mal zur Seite, wir haben ein Tänzchen vor.“
Und gemessenen Schrittes wird ein Menuett getanzt.
Dann trifft plötzlich Jupiter als „Gatecrasher“ mit fast dem gesamten Olymp ein. Pluto ist „not amused“. Das Zitat „von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern“ kommt ihm nicht in den Sinn. Weil er aber genau weiss, was der vergnügungssüchtige Olymp in der Hölle will, befiehlt er erst mal eine Spontanorgie, um von Eurydike abzulenken.
Un ab geht der „Galopp infernal“, der Höllen-Cancan, Fux wird von Offenbach plattgemacht. Hier zeigt sich mal so richtig, dass die Anweisung „Furioso“, gelegentlich auf Notenblättern zu finden, sich von den Furien der Hölle herdefiniert!
Für die kleinen Teufelchen ist das Gehabe der Furien faszinierend. Da gibt’s jede Menge dazu zu lernen.
Jupiter mischt kräftig mit, lässt sich aber vom eigentlichen Grund seines Besuchs nicht ablenken. Orpheus hat unterdessen Eurydike als Bacchantin im Getümmel entdeckt und fordert abermals getrieben von der öffentlichen Meinung seine Ehefrau zurück.
Gegen die öffentliche Meinung ist kein Kraut gewachsen (wahrscheinlich befürchtet Jupiter sonst einen Shitstorm auf seiner Facebookseite), also verfügt er, dass Orpheus seiner Gattin voran die Unterwelt verlassen darf, solange er sich nicht nach ihr umdreht. Dabei hat er so seine Hintergedanken.
Orpheus singt noch einmal nach alter Art herzzereissend, dann schiebt ihn die öffentliche Meinung heraus aus der Hölle. Aber Jupiter…
…schleudert einen Blitz! Erschrocken dreht sich Orpheus um. Getroffen waren nur die Leibwächter des Pluto („keine Barockoper ohne Tote!“ wurde noch als Motto verkündet. Aber waren diese Höllenwächter nicht technisch gesehen eigentlich schon vorher tot? Doch ich will hier nicht in Erbsenzählerei verfallen). Nur: Damit war natürlich der Deal geplatzt.
Sehr zum Verdruss der öffentlichen Meinung war das allen ganz recht. Chloé bekommt ihren Orpheus und Pluto seine Eurydike (obwohl es auch Gerüchte gab, dass Jupiter mit ihr angebändelt habe, sobald Juno nicht mehr im Blickfeld war). Jedenfalls rauscht die öffentliche Meinung empört von der Unmoral ab und wart nicht mehr gesehen.
Dann kam noch der „running Gag“ der Barockopern der Ferienmusikwerkstatt. Völlig frei von jeder möglichen Vorlage eines Librettos marschierte der Papst auf und vermählte die Paare (was die Moral auf den Tiefpunkt bringt, haben wir es doch hier mit dem Tatbestand der Bigamie zu tun).
Die Oper endet unter tosendem Applaus der Zuschauer mit einer Cocktailparty aller Beteiligten. Am besten man zieht keine Moral aus der Handlung, sonst bekommt man es vermutlich mit der öffentliche Meinung zu tun…
Wieder einmal eine grossartige Leistung aller Akteure, wenn man bedenkt, in welch kurzer Zeit das alles auf die Beine gestellt worden war. Was mir immer ein wenig leid tut: Die Sänger und Musiker kann ich in den Fotos nicht so recht würdigen, weil sie sich technisch gesehen hinter der Bühne befinden und ich dort nicht hinkomme, ohne zu stören.
Der Abend war da sicher noch lange nicht zu Ende, die sommerlich warme Nacht lud noch zu einem Glas Wein unter freiem Himmel ein, aber der (müde) Chronist packte seine Sachen und fuhr nach Hause.
P.S.: Heute packe ich meine Kamera ein und sende sie zum Customer Service. Gestern Abend war ich noch auf der Hochzeit meines Neffen und wäre fast verrückt geworden, als ich wieder mit dem dämlichen elektronischen Sucher fokussieren wollte. Nach kurzer Zeit nahm ich stattdessen das Objektiv ab und zog den Hebel jedes Mal von Hand nach vorn, was tatsächlich immer noch schneller ging als das andere. Wer weiss, was man sich da an Staub einfängt, aber der Sensor wird ja sowieso gereinigt. Zum Glück hatte ich keinen offiziellen Auftrag für Fotos, es lief dort einer mit einer Nikon und einem fetten Blitz herum (ich enthalte mich jetzt, wenn auch mühsam, eines Kommentars dazu), also brauchte ich mich gar nicht so aufzuregen. Aber ich merkte einmal mehr, wie schnell ich mit einem funktionierenden Messsucher sonst bin.