Von Jörg-Peter Rau
Der Messsucher-Sonderling: Bessa T mit Voigtländer-Objektiven 35/2.5 und 15/4.5
Ich finde kein besseres Wort – die Bessa T ist wirklich ein Sonderling unter den neueren Messsucherkameras, und unter denen M-Bajonett umso mehr. Als erste Bessa mit M-Anschluss war sie epochal, und schon deshalb gehört sie in die „M-Files“ einfach hinein. Aber wie lässt es sich mit einer Kamera fotografieren, die zwar einen Entfernungsmesser, aber keinen eingebauten Sucher hat? Ich habe es mit den beiden Voigtländer-Objektiven 35/2.5 Color-Skopar und 15/4.5 Super-Wide-Heliar (Version 1) ausprobiert. Um Himmels willen, entfuhr es nicht nur mir, als ich die Bessa T zum ersten Mal in der Hand hatte, was soll denn das sein? Sie war mir neu, was verzeihlich sein mag, wurde sie doch nur von 2001 bis 2004 gebaut. Sie ist also eine der frühen „modernen“ Bessas, die natürlich nicht mehr von Voigtländer aus Braunschweig, sondern von Cosina aus Japan kommen. Voigtländer ist nur mehr ein Handelsname, der zur Ringfoto-Gruppe gehört. Wer sich für die unter diesen Voraussetzungen gebauten Kameras genauer interessiert, den verweise ich sehr gerne an Stephen Gandy aus den USA. www.cameraquest.com ist viel mehr als ein Online-Shop und wirklich einen Besuch wert.Zurück in die 30er
Das Besondere an der Bessa T ist, das sie zwar einen eingebauten Entfernungsmesser besitzt, aber keinen Sucher im eigentlichen Sinne. Man braucht also immer einen Aufstecksucher, der natürlich auf die Brennweite des jeweils verwendeten Objektivs abgestimmt sein muss. In dieser Hinsicht ist die Bessa T ihrer etwas älteren Schwester, dem Schraubgewinde-Modell Bessa L ähnlich. Diese wurde vor allem für die Weitwinkel-Fotografie verkauft und zumeist mit dem 15/4.5 und einem Sucher verkauft. Die Bessa T hat aber anders als die L einen eingebauten Entfernungsmesser und erinnert daran an die alten Schraubleicas aus der Vor- und unmittelbaren Nachkriegszeit. Seit der M3 gibt es bei Leica den Sucher zur Bestimmung des Ausschnitts und den Entfernungsmesser (also: den Messsucher, wie wir ihn heute kennen) bekanntlich kombiniert. Statt eines Suchers hat die Bessa T nur ein kleines rundes Guckloch, durch das man eine Art Schlüsselloch-Perspektive hat. Ich schätze mal, es entspricht so etwa einem 400er-Tele. In diesem Fenster ist dann in ordentlicher Klarheit das übliche Mischbild zu sehen, das in Deckung gebracht werden muss.Im ersten Fenster scharfstellen, im zweiten Ausschnitt festlegen
Ganz praktisch heißt das: Wenn man die Entfernung nicht nach Schätzung einstellen mag, muss man immer durch zwei Fenster nacheinander schauen und dann auch noch auf die Belichtung achten. Die TTL-Messung (auf den grauen Verschluss-Lamellen) ist an der Bessa-T echt gut gelöst. Es gibt ja keinen Sucher, in den man ein Messergebnis einspiegeln könnte. Stattdessen gibt es eine LED-Lichtwaage (zwei Pfeile, ein grüner Punkt), der so unter dem Zubehörschuh angebracht ist, dass man ihn beim Blick durch einen Aufstecksucher genau im peripheren Gesichtsfeld hat. Auch deshalb eignet sich die Bessa-T ganz gut zum Aus-der-Hüfte-Schießen, wie es manche „Street photography“-Apologeten ja empfehlen. Mit kurzen Brennweiten kann man gut hyperfokal arbeiten (da täte es dann freilich auch die Bessa L), und man braucht eigentlich auch gar keinen Aufstecksucher. Hat den Vorteil, dass der auch nicht auf die Straße knallen kann, wenn der Zubehörschuh etwas ausgeleiert ist. Meiner war es, und der Voigtländer 15er-Sucher hauchte auf einem Stück Konstanzer Straßenpflaster sein Leben aus. Ich musste dann leider feststellen, dass es die frühere, günstigere Version nicht mehr gibt und dass das Nachfolgemodell zwar schicker und vielleicht auch besser, vor allem aber auch viel teurer ist.Viel Plastik, aber auch ein cleverer Griff in den Baukasten
Zurück zur Bessa-T. Sie ist in ihrer ganzen Haptik eine typische frühe Cosina-Bessa: Viel Plastik, zum Beispiel an der etwas klapperigen Rückwand, aber auch ein paar gute Elemente aus dem Cosina-Baukasten wie etwa der Verschluss. Die Mechanik zur Zeitenbildung wirkt solide, und die Metall-Lamellen arbeiten zuverlässig. Auch an der Belichtungsmessung (integral) gibt es nichts zu meckern – ich finde sie leichter zu durchschauen als die bei der Leica M6 mit ihrem selektiven Messfeld, das für eine Spotmessung zu groß und für eine Integralmessung definitiv zu klein ist. Die ganze Kamera wird dann ein bisschen solider, wenn man den damals separat erhältlichen T-Winder anbaut. Der funktioniert im Prinzip wie ein Leicavit, dient zugleich als willkommene Griff-Erweiterung. So ein Schnellaufzug bringt durchaus was, und der rein mechanische Winder-T lässt sich auch an anderen Bessas sowie auch der bereits in den „M-Files“ vorgestellten Rollei 35RF verwenden. Fürs schnelle Fotografieren nicht das sinnloseste Zubehörteil.Das Pancake-35er: Eine echte Überraschung!
Ich habe die Bessa T vor allem mit dem kleinen Voigtländer Color Skopar 35/2.5 benutzt. Zur Bestimmung des Ausschnitts habe ich mir mit dem 36-Millimeter-Sucher beholfen, den Leica für die X1 herausgebracht hatte und der nicht schwer zu bekommen ist. Das war eine gute Combo. Das Objektiv selbst ist, nicht nur gemessen am sehr moderaten Preis, überraschend gut. Es ist winzig, mit seinen 134 Gramm extrem leicht, nur 23 Millimeter lang und doch noch ganz gut im Handling. Ganz offen ist die Schärfe in der Bildmitte bereits sehr gut, an den Rändern ist noch etwas Luft. Auf 5,6 abgeblendet, hat es mich an der SL ziemlich beeindruckt. Ohne jedes Korrekturprofil gab es kaum Fehler zu bemängeln. An älteren M-Kameras wie meiner 262 hat das Profil für das 28/2.8 (11809) die meisten Restfehler ausgebügelt. Man darf bloß nicht vergessen, das beim Objektivwechsel wieder auszuschalten. Analog ist das alles sowieso irrelevant – mit dem ganz guten, aber im Kern natürlich schon gutmütigen Kodak Ultramax 400 waren die Ergebnisse jedenfalls prima. Für die Reise (irgendwann wird’s ja wieder möglich sein) stelle ich mir das kleine Skopar prima vor. Ich bewege mich viel aus eigener Kraft (Füße, Rad, Kanu) fort, da fragt man sich ja immer, ob man überhaupt eine große Kamera mitnehmen soll. Mit dem universellen 35er stellt sich die Frage kaum mehr. Als Gehäuse würde ich natürlich eher etwas Vielseitigeres wählen als die Bessa T.Die Mutter aller modernen 15er
Ich konnte mir zur Bessa-T auch das nun schon recht legendäre Super-Wide-Heliar 15/4.5 in seiner ersten Version ausleihen. Ich brauchte natürlich die Ausführung mit Schraubgewinde, aber ansonsten ist es genau das Objektiv, das zusammen mit der Schraubgewinde-Bessa-L vor 20 Jahren echtes Weitwinkel-Furore machte. So klein, so scharf, so günstig! Mit der vor über 20 Jahren noch absolut exklusiven Asphären-Technologie zum Amateurpreis! Auf Film wirken die mit dem 15er gemachten Bilder bis heute gut, obwohl sich mit dem enormen technischen Fortschritt die Ansprüche an Weitwinkelobjektive inzwischen ja doch dramatisch erhöht haben. Leicht abgeblendet, ist das 15er super scharf, und es hat schöne Kontraste. Vor allem aber hat mich beeindruckt, wie souverän dieses Dingelchen mit Streu- und Gegenlicht umgeht. Bei einem Bildwinkel von 110 Grad ist das eminent wichtig, weil man immer irgendwo eine Lichtquelle drin hat. Ab Blende 8 muss man sich über das Fokussieren gar keine Gedanken machen, eine Kupplung zum Entfernungsmessung gibt es bei der Ur-Variante des Objektivs ohnehin nicht. So weit, so gut. An einer Digitalkamera taugt das Objektiv leider nicht so viel. Die Lichtstrahlen fallen an dessen Rändern in einem extrem steilen Winkel auf den Sensor, was zu krassen Farbverschiebungen, Abdunkelung und Schärfeverlust führt. Das liegt daran, dass der hintere Nodalpunkt des Objektivs sehr nah am Sensor liegt (die hinterste Linse ragt weit ins Gehäuse hinein). Für Film ist das nicht so schlimm, weil die Körner der Emulsion auch schräg auftreffendes Licht gut empfangen. Am Sensor hängt es von den vorgeschalteten Mikrolinsen und Deckgläsern ab, aber das ist eine Wissenschaft für sich.Und wie genau ist der Entfernungsmesser jetzt wirklich?
Rein rechnerisch, müsste der Entfernungsmesser an der Bessa T eigentlich enorm präzise ein. Bei einer Basislänge von 37 Millimetern und einem Vergrößerungsfaktor von 1,5 kommt sogar noch etwas mehr effektive Länge heraus als bei einer M6 mit 0.72-Sucher. Also habe ich das Voigtländer 35/1.4 und das notorisch schwer zu fokussierende Leica M-Apo-Summicron 90 aufs Bajonett gesetzt. Um es abzukürzen: Der Anteil der scharfen Bilder war mit der M262 höher, obwohl man bei einem Digitalbild mit 100-Prozent-Lightroom-Ansicht und ohne Korn sicher genauer hinschaut. Für mich zeigt die Bessa T also ein grundlegendes Dilemma, und das mag es auch erklären, dass sie gelegentlich noch recht preiswert angeboten wird, jedenfalls für eine Kamera mit M-Bajonett. Grundsätzlich ist es ja so, dass Messsucherkameras dort die beste Schärfe ermöglichen, wo man sie tendenziell am wenigsten braucht, nämlich im Weltwinkel-Bereich (mit einem 35/1.4 oder so wird man die Genauigkeit trotzdem sehr schätzen!). Wo die Tiefenschärfe schmal ist, bei längeren Brennweiten also, ist die Technik des Messsuchers systembedingt begrenzt. Bei der Bessa T kommt nun noch dazu, dass man ja unbedingt einen Aufstecksucher braucht. Für kurze Brennweiten sind diese Zubehörteile einigermaßen gut zu bekommen, aber da braucht man den präzisen Entfernungsmesser nicht so dringend. Bei längeren Brennweiten wäre ein Entfernungsmesser mit großer Basis durchaus hilfreich (vorausgesetzt, er ist super justiert), aber da sind gute Aufstecksucher viel schwerer erhältlich. Und um auch diesen Punkt noch zu betrachten: Externe Aufstecksucher haben keinen gekoppelten Parallaxenausgleich, wie er etwa bei den Sucherrahmen jeder M-Leica selbstverständlich ist. Das macht die Bildkomposition nochmals schwieriger. Ich habe mich mit dem historischen, verstellbaren VIOOH-Sucher von Leica versucht. Geht schon, wenn man großzügig ist und hinterher den Ausschnitt richten kann und nicht zufällig ein Purist oder ein Dia-Fotograf ist.Zusammenfassung: Die Bessa T ist eher etwas für Leute mit Hang zum Speziellen
Also zusammengefasst: Wenn einem eine Bessa T für wenig Geld über den Weg läuft, kann sie eine Alternative zur Bessa L sein. Sie bringt noch einen zusätzlichen Entfernungsmesser mit und vor allem ein M-Bajonett, das vielleicht gut zu bereits vorhandenen Objektiven passt. Ansonsten ist sie eben jener Sonderling, als den ich sie eingangs bezeichnet habe. Wer einen günstigen Einstieg ins M-System sucht, wird mit der Bessa T nicht glücklich werden und womöglich vorschnell wieder aussteigen. Da würde sich doch eher eine Messsucherkamera im eigentlichen Sinne anbieten, bei der man in einem Zug fokussieren und den Ausschnitt festlegen kann, aber vielleicht für die Belichtung einen extra Arbeitsschritt machen muss. Die „M-Files“ sind unabhängig von kommerziellen Interessen entstanden. Aber an dieser Stelle will ich dem Fotofachgeschäft Lichtblick und dem Leica Store Konstanz für die Bereitstellung von Leihgaben für diesen Bericht danken. Beides sind empfehlenswerte Partner für alle Bedürfnisse rund um die auch analoge Fotografie.* * *
Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M
Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt, das sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett konzentriert, die von anderen Firmen als Leica hergestellt wurden oder die nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Produkten gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Contax, Konica, Minolta, Rollei, Voigtländer und Zeiss.
Ein schöner Artikel über eine irgendwie seltsame und aus der Zeit gefallene Kamera mit wunderbaren Objektiven. Ich hatte dereinst das Schätzchen auch einmal in der Hand, gab dann aber auf. Das kleine 35er aber, das ist ganz wunderbar.