Die ermüdende Diskussion „digital vs analog“ kann man sich heutzutage getrost ersparen. Mittlerweile bestehen beide Methoden für sich selbst, das sollte Fotoenthusiasten mit einer funktionierenden Großhirnrinde klar sein, selbst wenn sie ausschliesslich digital fotografieren. Das analoge Fotografieren ist ebensowenig antiquiert wie Schallplatten, und nur weil ich Violine spiele, kann ich ja auch ein E-Piano benutzen. Das Neue muss das Alte nicht ablösen oder gänzlich überflüssig machen, alles hat seinen Stellenwert.
Siehe auch den Beitrag: „Die analogen M-Leicas“
Neben diesem „Grundsatzpapier“ gibt es viele Beiträge über Fotografie mit Film im Blog, die man alle über das Suchfeld auf der Home-Seite findet, wenn man „analog“ eingibt. Hier ein paar Links zu Blog-Beiträgen dieser Art:
Analoge Spitzenlichter – Der helle Wahnsinn beschäftigt sich mit technischen Unterschieden von Film und digitalen Sensoren
Mein analoger Sommer, ein Bericht über Film-Motive im Sommer 2018, Leica IIIf restauriert
Don Quichote – In bester Gesellschaft Bühnenfotografie
Mit der Leica IIIf an der Ardèche Reisebericht
Neues Event – Alte Kamera: Die Leica IIIf Event-Fotografie mit der Leica IIIf
Irving Penn – Lernen von den Großen Besuch einer Irving Penn- Ausstellung
Leica M6TTL und Hasselblad 501c Erfahrungsbericht
Eine „neue“ Leica M6 TTL Wie ich eine fabrikneue Leica M6 aus dem Jahr 2000 fand
Leica M3 – Die Rückkehr des Königs Bericht über die restaurierte Leica M3 Bj. 1955
Die Fuji GW 690 II Ein Erfahrungsbericht über die „Texas-Leica“
Scanner – Inter caecos monoculus rex Ein Beitrag, der die derzeitigen Möglichkeiten zum scannen von Negativen auflistet und Tipps zum scannen gibt
Mit Leica M10 und M6 in Schottland , Argentique! Ferien in Frankreich , Bretonische Gegebenheiten , M4, M10 und Q am Gardasee Reiseberichte
M10, M2, Q: Von Hochzeiten und einem Kamerafall Bericht über Hochzeitsfotografie mit „analogem Anteil“
Die Ilford Witness Über eine englische Messsucherkamera
Der Zauber der mechanischen M-Leicas Über die Handhabung von Messsucherkameras
…noch jede Menge älterer Blog-Eintrage zum Thema „Analog“
Fotografieren mit Film? Warum tut man sich das noch an?
Es gibt diverse gute Gründe, heutzutage noch Analog (und ohne Automatik) zu fotografieren. Und eins vorweg: Wer als Digital-Schütze meint, das braucht ihn alles nicht zu interessieren, der sollte mal kurz innehalten und realisieren, dass sich die grundlegenden Gesetze der Optik nicht plötzlich geändert haben. Wer noch eine vage Vorstellung hat, wie man manuell richtig belichtet, lässt sich auch von der Kameraautomatik nicht so leicht für blöd verkaufen. Das kommt vor allem dann zum tragen, wenn die Lichtbedingungen mal schwieriger werden, und da macht es sich dann bezahlt, mehr zu wissen.
Im allgemeinen heisst es ja „das Problem steht hinter der Kamera„, und dieses Fotografen-Sprichwort spiegelt die Realität wider. Wenn man selbst knapp den IQ eines Lockenstabes aufbringt, ist es wohl besser, die Kameraautomatik gewähren zu lassen. Und weil die Kameras heutzutage schon ziemlich clever sind, gibt es so viele Leute, die ein High-End-Teil kaufen und sich dann dreist Fotograf/in nennen, ohne von tuten und blasen eine Ahnung zu haben. Traurig für die Mitglieder dieser Berufsgruppe, die wirklich was drauf haben. Ich stelle übrigens fest, dass die wirklich Guten in der Branche sich oft (nicht zwangsläufig!), und sei es nur zum Spass, mit analoger Fotografie beschäftigen. Warum? Weil es „Handwerk“ ist. Und warum noch?
- Analog ist cool. Der Look ist einzigartig. Eine Unmenge immer noch verfügbarer unterschiedlicher Filmtypen bieten für jeden Geschmack etwas. Warum wohl transformieren eine Unmenge Smartphone-Apps digitale Photos in Fake-Analog-Lookalikes?
- Ein professioneller Film hat eine enorme Dynamik, die mit den modernsten Sensoren mithalten kann. Über dies hinaus unterliegen selbst eindeutig überbelichtete Bezirke in einem Foto nicht dem hässlichen „Abriss“ wie in digitalen Dateien, sondern haben einen sanften Übergang, der sogar eine ästhetische Bildwirkung erzeugen kann (z.B. bei Gegenlichtfotos).
- Man hat „richtige“ Negative in der Hand (ausser bei Sofortbildkameras). Legt sie in ihren Hüllen trocken in eine Schublade und vergesst sie 50 Jahre oder länger… et voilà… immer noch zu gebrauchen. Versucht das mal mit einer Festplatte (lasst es lieber).
- Man fotografiert etwas „bewusster“, macht sich mehr Gedanken ums Motiv, gleichzeitig kommt mehr Ruhe in den Ablauf. Das heisst nicht, dass nicht auch Schnappschüsse möglich sind, manchmal muss man einfach draufdrücken, das sind oft die besten Fotos. Ein normaler Kleinbildfilm hat 36 Bilder. Man wird sich wundern, wie gut man damit auskommt, wenn man nicht ständig für die Tonne produziert!
- Selbst wenn von so einem Film nicht alle Fotos was werden, schätzt man die verbliebenen umso höher!
- Eine gewisse innere Befriedigung ist mit dem Prozess des analogen Fotografierens verbunden, ein Bewusstsein, dass zur Bilderstellung noch ein bisschen know-how gehört. Man hat etwas für das Foto getan.
Um mal die Sendung mit der Maus zu zitieren: „Klingt komisch, is‘ aber so!“
Ich könnte noch hinzufügen, dass auch die Bedienung der alten Fotoapparate (schönes Wort, gell? Benutzt heut kaum noch einer…) einfach Spass macht. Egal ob Contax-, Leica-M oder -R, Nikon-, Canon-SLR’s oder gar Rollei-, Mamiya-, oder Hasselblad-Mittelformatkameras (und tausende andere, hier nicht erwähnte Bauvarianten und Firmen), die Technik ist faszinierend und wenn man sich in „seine“ Kamera richtig eingefuchst hat, ist das eine weitere Quelle der Zufriedenheit.
Natürlich gibt es auch Nachteile. Und zwar wirkliche und solche, die bei genauer Betrachtung gar nicht so schlecht sind.
- Kosten. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Rechnet man die Kosten für einen Kodak-Portra 160 Kleinbild-Film mit 36 Aufnahmen und die Entwicklung + Rohscan durch einen Fachbetrieb dazu, kostet jedes mal Auslösen ca. 0,70 Euro. Man kann das auf 0,20 Euro vermindern, wenn man selbst entwickelt und scannt.
- Die Auflösung bei Kleinbild-Format kommt an die moderner digitaler Sensoren nicht mal annähernd heran. Aber was sagt das schon über die Qualität eines Fotos aus? Wenn man nicht fotografieren kann, hat man dann eben hochauflösende beschissene Fotos, die digital sind.
- Die Handhabung der meist manuellen oder halbautomatischen Kameras ist zeitraubend, schnelles fokussieren (was man jetzt darunter versteht) nicht möglich. Umso mehr ist jeder Schnappschuss ein Erfolg, und hängt vom persönlichen Geschick des Fotografen ab.
-
Keine Bildrückschau möglich, also auch keine Kontrolle, ob man die Lichtbedingungen richtig eingeschätzt hat. Handwerkliches Können ist gefragt. Ein Vorteil für das Selbstwertgefühl, je mehr Aufnahmen gelingen.
- In der Regel muss man sich mit (für heutige Verhältnisse) moderaten ISO-Werten begnügen. Dennoch machen sich viele digital Verwöhnte nicht klar, welche Möglichkeiten man dennoch hat. Verwendung hochempfindlicher Filme, oder was man mit einem Kodak Tri-X oder TMax machen kann, wenn man ihn pusht.
- Man muss sich vor dem Shooting entscheiden, was für ein Film geeignet ist. Der Film muss immer komplett belichtet werden, bevor er entwickelt wird (es sei denn, man verschenkt den Rest, nicht sehr wirtschaftlich).
- Die Verfügbarkeit ist verzögert. Es dauert eine Weile, bis der Film entwickelt ist. Ist das ein Nachteil? Ich bin mir nicht sicher, vielleicht trägt auch diese Antizipation dazu bei, die Fotos höher zu schätzen. Wie auch immer.
- Das Ergebnis ist leider von der Qualität des Scanners abhängig, und das ist ein echter Nachteil. Zugegeben, man kann natürlich auch ganz auf „old school“ machen und Papierabzüge in der Dunkelkammer fertigen, mit sehr guten Ergebnissen. Aber die Verfügbarkeit bei Nutzung des hybriden Workflows ist besser.
Unter dem Stichwort „Analogfotografie“ fand ich bei Wikipedia eine Auflistung kulturwissenschaftlicher Aspekte, die ich so gut (und so zutreffend) finde, dass ich sie hier zitieren möchte:
Eine Fotografie wird subjektiv als gut, interessant oder beeindruckend, niemals aber digital oder analog empfunden. Für den Betrachter spielt die Aufnahmetechnik inzwischen kaum noch eine Rolle, weil der Unterschied bei kleinen Bildformaten nicht mehr erkennbar ist. Der Bildeindruck beim Betrachten einer Fotografie wird maßgeblich durch kulturelle und physiologische Faktoren bestimmt und nicht durch die dabei verwendete Speichertechnik. Kulturwissenschaftlich werden die beiden Techniken jedoch unterschiedlich behandelt:
- Für den Erzeuger des Bildes spielt es sehr wohl eine Rolle, ob er ein einmalig vorhandenes Original (das Dia bzw. Negativ) in Händen hält oder eine binärcodierte Beschreibung dessen, was als Bild erst wiederhergestellt werden muss.
- Die manuelle Herstellung einer klassischen Fotografie stellt eine kulturelle Leistung dar; ein Handwerk, das unmittelbar an eine Reihe traditioneller und proprietärer Verfahren, Kenntnisse und Fertigkeiten im Studio, Atelier oder Fotolabor gekoppelt ist, ohne die das Bild letztlich nicht realisierbar wird. Mittels dieses Handwerks erzeugt man jedes Mal ein neues, unverwechselbares Original.
- Die kognitiv erfahrbare Information des Bildes liegt bei der Fotografie jedem Betrachter unmittelbar vor. Eine Fotografie, die unabhängig vom situativen Kontext aufgefunden wird, lässt sofort erkennen, dass es sich um eine Fotografie handelt. Man hält das Dia/Negativ gegen das Kerzenlicht und erkennt: Eine Fotografie! Damit wird der Zugang zum fotografischen Bild auch strukturschwachen Kulturkreisen überhaupt erst möglich.
- Eine auf einer DVD (oder älteren Speicherform) digital gespeicherte Bildinformation bedarf zur Basis-Interpretation zumindest einer kompatiblen digitalen Decodierungs-Struktur, die, zumindest was das Lesen des Speichermediums betrifft, als Hardware vorliegen muss. Diese notwendige Struktur unterliegt einer schnell wechselnden Entwicklung, der einzelne Kulturkreise in der Breite nicht ohne weiteres folgen können.
- Die Geschwindigkeit, mit der eine fotografische Bildinformation weltweit zur Verfügung steht, ist durch den Einsatz digitaler Netzwerke erheblich gestiegen, setzt letztere aber zwingend voraus.
Da wir gerade von Technik sprechen… je älter und/oder abgenutzter die Kamera ist, desto eher muss man auch bei augenscheinlich makelloser Funktion damit rechnen, dass die Mechanik durch verharzende Öle und Fette gebremst wird, der Verschluss einem gewissen Verschleiss unterliegt und darum Belichtungszeiten oft deutlich länger sind als eingestellt. Es gibt sogar Smartphone-Apps, das zu überprüfen. Oder der Messsucher könnte verstellt sein. Aber das sind Dinge, die nicht so offensichtlich sind wie z.B. fehlerhafter Filmtransport oder ein „hängender“ Verschluss.
Man kann das nur korrigieren, wenn man jemanden findet, der in der Lage ist, die Kamera zu warten. Das kann bei exotischen Modellen problematisch sein. Ich hasse es, wie Leicas Marketing-Abteilung zu klingen, aber es ist nun mal Realität, dass es Leica noch gibt… und die anderen nicht. Oder, wenn es sie noch gibt, haben sie aufgegeben, ihre alten Kisten zu reparieren.
Trotzdem liegen vermutlich in unzähligen Schubladen vergessene analoge Schätze, vor allem die SLR’s von Nikon, Canon, Pentax, Minolta, Olympus u.s.w., die zum alten Eisen geworfen und vergessen wurden, aber mit Sicherheit noch tadellos funktionieren, wenn man dem Belichtungsmesser eine neue Knopfzelle spendiert. Und die Dimensionen: Ich habe z.B. noch eine Konica SLR, der Body ist etwa so gross wie der einer Leica M-sonstwas. Ist das nicht zum heulen, wenn man heute diese riesigen Plastikklumpen-DSLR’s dagegen hält? Leiden die unter Elephantiasis? Selbst die mit APS-C Sensor sind deutlich größer (und hässlicher sowieso).
Wenn man auf Messucherfotografie abfährt (ja, solche Freaks soll’s geben…), entbehrt es nicht einer gewissen Logik, die verfügbaren analogen Geräte aus Wetzlar ins Auge zu fassen. Auf jeden Fall bietet die analoge Schiene den günstigsten Einstieg ins M-System. Brauchbare Bodys, wenn auch keine Schönheiten, finden sich schon für ein paar Hundert Euro (wirklich „billig“ gibt’s leider bei Leica nie). M-Bajonett-Objektive dazu müssen ja nicht unbedingt von Leica sein, was wiederum das Budget schont, und auf diese Weise kann man loslegen, wirklich für einen Bruchteil der Kosten für das digitale Pendant.
Aber neben den, nennen wir sie mal „High-End-Geräte“, gibt es auch einfacher zu bedienende analoge Kameras. Vor allem aus den 90er Jahren, der Spätphase der analogen Ära. Kameras mit Belichtungsautomatik, Zoom-Objektiven, Autofokus und allem Zipp und Zapp. Auch die liegen oft irgendwo ungenutzt herum. Mir brachte z.B. ein Patient eine Leica Mini-Zoom (ich glaube, die gab’s so um 1993) mit, die nach Einlegen einer neuen 3 Volt-Batterie nur noch erfordert, den Auslöser möglichst rechtzeitig zu drücken.
Ist analog tot? Für einige vielleicht, aber man sagt ja auch „Totgeglaubte leben länger“. Oder noch besser nach Mark Twain: „The report of my death has been greatly exaggerated.“