Von Jörg-Peter Rau
Nicht ganz eine M-Leica, aber interessant
Der Hype scheint kein Ende zu nehmen: Gebrauchte M-Leicas erreichen einen Preisrekord nach dem anderen. Und das betrifft nicht mehr nur die abgefahrenen Sammlerstücke, sondern auch Kameras, bei denen man eher glaubt (und hofft), sie würden wirklich zum Fotografieren gekauft. Für eine gut erhaltene M4 oder M6 hat sich der Preis binnen zehn Jahren gut und gerne verdoppelt, für eine M6 in TTL-Ausführung oder mit seltener Suchervergrößerung darf’s auch gerne noch etwas mehr sein. Da kann man schon mal über Alternativen nachzudenken. So entstand bei mir das Projekt „Die M-Files“. Dort sammle ich Informationen und vor allem eigene Erfahrungen mit Kameras, die mit einem M-Bajonett ausgerüstet sind, ohne aber direkt eine M-Leica zu sein. Je länger ich am Thema dran bin, desto interessanter finde ich die Beschäftigung – und vor allem das praktische Fotografieren! – mit diesen „nicht-wirklich-M-Leicas“. Ich betrachte sie nicht als „beinahe-Leicas“, als minderwertige Kopien oder Nachbauten oder als kompromissbehaftete Alternativen, sondern einfach als Kameras mit ihrer eigenen Daseinsberechtigung. Mit der Hilfe von anderen Messsucherkamera-Fans konnte ich (vorübergehend) eine sehr schöne kleine Sammlung von Fotoapparaten zusammenstellen. Die Erfahrungen, die ich mit ihnen gemacht habe, gehen nun also in die „M-Files“ ein. Diese sollen so eine Art Archiv sein, das aber nicht seitenweise technische Daten sammelt, sondern vor allem die praktische Nutzung dieser Kameras dokumentiert. Wobei… als Sammelgebiet wären diese Kameras auch ganz interessant, und ein Engagement in diesem Bereich wäre ein sicheres Zeichen für fortgeschrittenes GAS (gear acquisition syndrome). Aber, ähm, lassen wir das doch einfach.Sechs Kameras für die Analog-Renaissance
Also – ich konnte mit sechs verschiedenen Kameras fotografieren, jede davon entweder mit dem originalen Set-Objektiv (außerhalb der Leica-Welt ist so etwas üblich) oder einem oder mehreren anderen Objektiven desselben Herstellers, das oder die zu der Kamera besonders gut zu passen schienen. Alle Kameras haben M-Bajonett, alle haben eine eingebaute Belichtungsmessung, und natürlich sind es alles Analogkameras. Die Fotografie auf Film hat zuletzt ja eine kleine Renaissance erlebt, und ich bin sehr froh und dankbar, dass es in meiner Heimatstadt Konstanz nicht nur das hervorragende Fotofachgeschäft Lichtblick und den Leica Store mit einem meist guten Vorrat an Filmen gibt, sondern bei „Foto am Münster“ auch noch ein kleines Minilab, das die Filme ordentlich entwickelt und scannt. Negativfilme schicke ich in manchen Fällen auch zu MeinFilmLab, wo ich mir einer äußerst sorgfältigen Verarbeitung durch Jörg Bergs und sein Team stets sicher sein kann. Farbdiafilme sende ich immer zu MFL ein.Alle Produktaufnahmen sind mit der Olympus OM-D E-M1 mit the Four Thirds Marco Zuiko 50/2 entstanden, das mittels Adapter für Micro Four Thirds verwendet wurde. Das Macro ist bis heute eine Spitzenklasse-Optik. Und das Mehr an Tiefenschärfe bei MFT ist für solche Aufgaben nicht unwillkommen. Beleuchtung mit einem Studioblitz nebst Softbox, Hohlkehle aus einfachem Tonkarton.
Den Ladenhüter zum Schnäppchenpreis gibt’s nicht mehr
Vorausschickend will noch eines deutlich machen: Keine der Kameras, die ich im Rahmen der „M-Files“ vorstelle, wird noch gebaut. Und zwar schon so lange nicht mehr, dass man nicht mehr auf einen originalverpackten verstaubten Ladenhüter in irgendeinem Fotolgeschäft hoffen könnte. Diese Zeiten sind vorbei, wie ich aus jahrelanger Feldforschung sagen kann. Etliche der betreffenden Läden haben im Umbruch der ganzen Handelslandschaft inzwischen zugemacht. Und Ebay hat auch dazu beigetragen, dass sich die Preisbildung für derlei Produkte inzwischen anders vollzieht. Dass zum Beispiel eine Kamera in Verkennung ihres wahren Wertes für eine lachhafte Summe weggeht, ist passé. Eher im Gegenteil, manchmal wird es bei Ebay geradezu irrational teuer. In den „M-Files“ werde ich mich mit folgenden Kameras in jeweils einem Artikel gesondert befassen, und ich verspreche nicht zu viel, dass es interessant wird:- – Voigtländer Bessa R4A (mit Voigtländer Nokton 35/1.4 II und Color Skopar 21/4);
- – Konica Hexar RF (mit Konica M-Hexanon 50/2);
- – Zeiss Ikon (mit Zeiss ZM Biogon 25/2.8, Biogon 35/2.8 und Planar 50/2);
- – Rollei 35 RF (mit Rollei Sonnar 40/2.8);
- – Voigtländer Bessa T (mit Voigtländer Color Skopar 35/2.5 und Super-Wide Heliar 15/4.5);
- – Leica CL (mit Leica Summicron-C 40/2 und Elmar-C 90/4).
Praktische Erlebnisse und wichtige Quellen
Bei den Kameras werde ich mich vor allem auf Aspekte der praktischen Nutzung konzentrieren und dabei auch auf Probleme und Fehler eingehen, die mir so widerfahren sind. Das ist sicher hilfreicher als Litaneien von technischen Daten. Ein paar davon gebe ich trotzdem an. Dabei stütze ich mich auf einige Quellen: Zunächst die Betriebsanleitungen, die mir alle vorlagen. Viel Wissen verdanke ich aber auch Stephen Gandy (www.cameraquest.com, viel mehr als eine Händler-Seite), Peter Lausch (www.lausch.com, mit gelegentlichem Wiener Schmäh) sowie Hamish Gill und seinen Mitstreitern (www.35mmc.com, eine umfassende Sammlung von Foto-Themen). Leica M-Objektive kommen in den „M-Files“ nur am Rande vor, aber natürlich fließt auch das Wissen von Erwin Puts (https://photo.imx.nl) direkt oder indirekt in meine Arbeit mit ein.Zum Vergleich: Bilder auf Film und auf Sensor
Nachdem das Objektiv für das Ergebnis sicherlich wichtiger ist als (ja, das ist jetzt unfair) die Halterung für Film und Verschluss, komme ich um eine Beschäftigung mit den Objektiven nicht ganz herum. Ich zeige jeweils Beispielfotos, die auf Film aufgenommen und gescannt wurden, und ergänze diese durch einige Bilder, die mit einer Digitalkamera (M oder SL 601) gemacht wurden. Das hat aber auf keinen Fall einen wissenschaftlichen Anspruch, und ich plane derzeit auch keine ausführlichen Objektivtests oder Vergleichsreihen zwischen Objektiven von Leica und solchen von anderen Herstellern. Die gescannten Bilder habe ich teils dezent bearbeitet, um Charakteristika deutlicher zu machen, aber nie den Gesamteindruck verfälscht. Die digitalen Bilder sind ohne oder fast ohne Nachbearbeitung, vor allem aber ohne Nachschärfen, aus den DNG-Dateien in Lightroom entwickelt worden.Von Kodak Gold bis Portra
An Filmmaterial habe ich so ziemlich alles benutzt, was mir im Farbnegativ-Bereich in die Finger kam. Ich wollte auch herausfinden, was meine Favoriten sein würden. Und, ja, man muss sich in der Analogfotografie ja vorab auf eine ISO-Empfindlichkeit festlegen – und man muss schauen, was man gerade so bekommen kann. Also gibt es Fotos auf billigem Kodak Gold 200 und auf teurem Ektar 100, auf Kodak Ultramax und Fuji C 200. Ich gebe den verwendeten Film jeweils an. Trotzdem sollte man beim Vergleichen von Bildern immer im Hinterkopf haben, wie unterschiedlich die Emulsionen sind (und wie unterschiedlich die Lager- und Entwicklungsbedingungen gewesen sein können). Die analoge Fotografie ist mir nicht fremd. Die ersten zehn Jahre meines (Berufs-) Lebens war das normal für mich, ich habe hunderte schwarzweiß-Filme selbst entwickelt und ungeheure Mengen an Dias angesammelt. Ob ich auf das eigene Labor nochmals richtig Lust bekomme, muss ich erst noch sehen. Dias zu machen, habe ich nie ganz aufgehört, Farbnegativ war dagegen neu für mich. Ich habe deshalb diesen Filmtyp für die „M-Files“ ausgewählt. Weitere Gründe waren der geringere Preis für Film und Entwicklung sowie die besseren Scan-Eigenschaften.Und noch ein Wort zu den Bildern…
Was habe ich nun konkret mit den Kameras gemacht? Die großen Tests auf Reisen und an unbekannten Orten konnte es im Jahr 2020 nicht so richtig geben. Also war ich zumeist in der näheren Umgebung unterwegs. Ich finde es ja einfacher, etwas Neues, Aufregendes zu fotografieren als das Altbekannte. Dennoch habe ich mich der Aufgabe unterzogen und war vor der Haustür unterwegs. So wird es also ein wenig Bodensee-lastig, man möge es mir nachsehen. Und noch etwas: Die Bilder, die ich für diese Veröffentlichungen ausgewählt habe, sollen nicht zeigen, was ich für ein toller Fotograf bin. Nein, sie sollen einen Rückschluss auf das verwendete Material zulassen. Oder, um es kurz zu sagen: Nicht alle meiner Bilder sind so langweilig. Und nun noch die full disclosure: Ich bekomme keinerlei Vergünstigungen von den Herstellern der hier beschriebenen Produkte. Was ich hier zeige, ist meine unabhängig entstandene Arbeit, deren Kosten ich selbst getragen habe. Ich wurde aber mit der einen oder anderen Leihgabe unkompliziert unterstützt von Lichtblick Foto und Leica Store Konstanz, und ich finde es fair, dafür auch ein öffentliches Dankeschön zu äußern. Und zwar auch für fachkundige Hinweise der top-qualifizierten Mitarbeiter dort.In loser Folge gibt es neue Episoden der M-Files
Claus Sassenberg wird die Artikel der „M-Files“ in loser Folge hier in der Messsucherwelt veröffentlichen, und ich freue mich sehr, dass auch er der Meinung ist, dass das Projekt (ich wüsste nicht, dass es schon einmal etwas Vergleichbares in dieser Tiefe gab) hier einfach sehr gut ins Programm passt. Da die Messsucherwelt nicht gekapert werden soll, wird sich die Publikation der einzelnen Teile über einen langen Zeitraum erstrecken. Es gibt ja noch so viel anderes jenseits der „nicht-ganz-M-Leicas“. Dennoch hoffe ich, einen substanziellen Beitrag zur Vermessung der Messsucherwelt und dort vor allem der weniger oft bereisten Gefilde machen zu können. So freue ich mich nun auf wohlwollendes Interesse.* * *
Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M
Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt, das sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett konzentriert, die von anderen Firmen als Leica hergestellt wurden oder die nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Produkten gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Contax, Konica, Minolta, Rollei, Voigtländer und Zeiss.
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Sehr geehrter Herr Rau,
danke für das Zeigen, Beschreiben der Kameras und Objektive. Ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge.
Ein 4/25 Snapschot M39 konnte ich vor kurzem erwerben für meine CL (Digital). Das benutze ich wenn ich mit meinen „Randonneur “ unterwegs bin.
An der M 240 funktioniert es wegen der “ italien flag“ leider nicht. Trotzdem werde ich es behalten. Ist so richtig Retro.
LG Thomas Mika
Hallo Kai, vielen Dank für diesen interessanten Hinweis. Das ist wirklich eine interessante Kamera, weil sie so sinnfällig zeigt, wie früh manche Leute den ikonischen Wert des M3-Designs erkannt haben.
Ich habe die M-Files ganz bewusst auf Kameras mit Wechseloptiken und da noch weiter auf die analogen Modelle beschränkt, das war und ist als Freizeitprojekt schon anspruchsvoll genug. Ich habe es wirklich zu schätzen gelernt, wie viel Phantasie und Hirnschmalz Menschen in die von mir benutzten Kameras gesteckt und wie oft sie auch schöne Ergebnisse erzielt haben. Ich spreche deshalb ganz bewusst nicht von Leica-„Kopien“ oder ähnlichem.
Und zu Petri: Ich glaube, die waren in Italien ziemlich populär. Ich erinnere mich an kleine Andenkenlädchen in den Ferienorten, die in den 80er-Jahren, als mein Interesse an der Fotografie erwachte, Werbeschriftzüge für die mir unbekannte und dann auch schnell wieder vergessene Marke trugen. Die Erinnerung kam durch Deinen Post! Grüße JP
Danke für die tolle Übersicht.
Ich bin jetzt nicht so der wirkliche Freak und kannte diese Kameras nicht, umso schöner ist es darüber etwas zu erfahren. Ja, ich habe auch gleich bei ebay gestöbert.
Claus und ich sind mittlerweile wohl schon dem älteren Semester zuzuordnen (Sorry Claus) und werden , hoffentlich nur beim Fotografieren, langsamer und genau dafür sind diese Geräte wunderbar.
Mir ist gerade die Sony-Ankündigung über die Alpha1 über den Bildschirm geflattert. Wer braucht das, frage ich mich. 30 frames/s mit 50MP, das ist Spray and Pray auf Enterprise-Level. So hektisch…., da kann Sony gleich den Blutdrucksenker als Beigabe dazu legen.
Schön war’s und ist’s mit den langsamen Geräten und ich freue mich auf die Fortsetzung der Geschichte.
Viele Grüße, Dirk
Hallo Dirk, vielen Dank für die nette Rückmeldung.
Wenn ich sehe, wie viele Leute unter 30 auf eine M6 schielen, die alte Canon AE1 oder Rollei 35 ihrer (Groß-) Eltern wieder in Betrieb nehmen oder aufgearbeitetete Polaroid-Kameras hegen und pflegen, werden meine Zweifel größer, dass das alles eine Altersfrage ist. Die Idee „Das Wesentliche“ hat eben doch zeitlosen Reiz und ist gewiss nicht allein auf die Firma beschränkt, die sie als Wahlspruch vereinnahmt hat.
Ich habe riesigen Respekt vor Technikern, die einen fotografierenden Hochleistungscomputer wie die Alpha1 erschaffen. Und es gibt auch Anwender, die so etwas brauchen oder zumindest sinnvoller Weise brauchen können. Aber es gibt eben auch noch eine andere Welt, jenseits des größer-schneller-weiter.
Jörg-Peter
Durch Zufall bin ich auf eine weitere Kopie der M3 gestoßen, derer der Hersteller sogar einen roten Punkt verpasst hat. Hergestellt von Kuribayashi Kamera Werke und unter dem Namen Petri Automate vermarktet, da dieser Name vor allem auf dem wichtigen amerikanischen Markt sich besser einprägte. Die Stückzahlen dieser Kamera sollen gar vor denen der uns heute bekannten japanischen Marken gelegen haben. Viele Details sind täuschend echt übernommen. Sie wurde ab 1954 produziert und hatte eine Festbrennweite von 45mm. Im Jahr 1977 war der Produzent aber pleite und verschwand vom Markt.