Die Leica M wurde auf der Photokina 2012 vorgestellt und warm empfangen, die M9 hatte den Weg geebnet. Sie hatte sich so gut verkauft, dass Leica wieder zuversichtlich in die Zukunft schauen konnte. Für den Großteil der Kameraindustrie war Talfahrt angesagt, für Leica ging (und geht es noch) bergauf.
Vorweg: Alle Bilder in diesem Beitrag sind DNG’s aus der M240, in Lightroom lediglich Tonwerte eingestellt und als JPG’s exportiert! Schwarzweissbilder ebenfalls in Lightroom erstellt.
Jeder hatte eine M10 erwartet, aber in der Marketing-Abteilung von Leica treiben sich anscheinend so viele Steve-Jobs-Fans herum, dass man eine Apple-Nomenklatur eingeführt hatte: Fortan sollten alle Messsucherkameras einfach „M“ heissen. Bullshit. Die Leica-Benutzer, allesamt Pragmatiker, unterminierten diesen Hipster-Vorstoss einfach, indem sie fast sofort dazu übergingen, das Modell einfach M240 zu nennen. Und gut so, was sollte der Quatsch auch, schliesslich muss man doch wissen, über welche M man sich gerade unterhält. Die Marketing-Fuzzies sind zurückgerudert, darum gibt es jetzt die M10 (die also eigentlich die M11 wäre).
Die Leica M240 knüpft da an, wo für viele die M9 zu limitiert ist. Vermutlich war bei Konzeption der M240 die Leica SL noch nicht einmal angedacht, denn man packte in das Flaggschiff der Firma alles rein, was ging. Vor allem Video, was keiner wirklich brauchte. GPS in einem Handgriff (Zubehör). Ferner gibt es einen elektronischen Aufstecksucher, der nach bester Leica Tradition bereits veraltet war, als er vorgestellt wurde.
Möglich wurde das durch den neuen CMOS-Sensor, dessen Auslesetechnik den Blick durchs Objektiv via Live-View erlaubt, und das ist tatsächlich eine grosse Erleichterung für die Bildkomposition. Dazu ersparte es mir das lästige Aufstecken des Spiegelsuchers für das 21mm-Objektiv. Ich bin mir nicht zu Schade, dann über den Monitor zu komponieren, auch wenn das uncool aussieht. Seltsamerweise ist das Feld in der Mitte des Monitors zum vergrößern der Ansicht beim Fokussieren unverschieblich. Warum das nicht irgendwann mit Firmware geregelt werden konnte, ist wahrscheinlich ein Fall für die X-Akten. Jedenfalls ist das Verschieben dieses Feldes mit Hilfe der Kreuzwippe, wie bei jeder anderen Kamera auch, erst bei der M10 möglich.
Immerhin war jetzt der Weg für alle manuellen nicht-M-Objektive frei, wenn sich nur ein Adapter fand. Vor allem die brach liegenden R-Objektive erfreuten sich plötzlich wieder ungeahnter Beliebtheit und wurden aus den hinteren Ecken der Schränke hervorgekramt, wo sie im Dornröschenschlaf lagen. Mit Live-View oder dem (crappy-) Visoflex-EVF und Fokus-Peaking brachte man diese vergessenen Juwelen wieder zum Funkeln. Ich selbst habe ein R-Vario-Elmar 80-200mm und das legendäre R-Apo-Macro-Elmarit 100mm… nach kurzer Zeit verlor ich das Interesse daran, diese Klötze mitzuschleppen. Zwar optisch überragend, für Landschaft zuhause o.k., für die meisten anderen (meiner) Zwecke viel zu klobig.
Exkurs: Für mich ist unter anderem einer der Riesen-Vorteile des M-Systems die Kompaktheit. Ein 90mm Macro-Elmarit ist winzig gegenüber dem 100mm R-Apo-Macro-Elmarit, da brauche ich nicht lang zu überlegen, welches auf Reisen mitkommt. Und ein Seitenhieb: Was nützt mir die Kleinheit eines Sony A7 Bodys (auf dem man knapp die vielen Knöpfe untergebracht hat…), wenn vor das Ding Objektive mit DSLR-Ausmassen gekloppt werden? Als ich das erste mal ein Planar 50mm f/1.4 in Natura sah, musste ich fast hämisch grinsen. Gegen das 50er Summilux ein Kanonenrohr. Und das gilt für alle FE-Objektive. Sicher, ich weiss, das Autofokus-Gedöns braucht seinen Platz (siehe Objektiv der Leica Q), aber wenn ich den Quatsch gar nicht brauche?
Zurück zum CMOS-Sensor der M240. Es gibt Gerüchte, dass Leica sich ursprünglich an Sony gewandt hatte, die aber die Sensoren der neuesten Generation nicht herausrücken wollten. Deshalb fand man die belgische Firma CMOSIS. Der Sensor hat nun sportliche 24 Megapixel, und das ist wirklich vernünftig. Weiterhin ohne Tiefpassfilter ist die Auflösung so gut, dass man auch mal ordentlich was wegschneiden kann. Während andere in den Pixel-Wahn verfallen, ist das eine ausgewogene Zahl, denn was soll man auch mit 50 MP anfangen? Hauswandgrosse Ausdrucke? Croppen, bis der Arzt kommt? Und: Unter 1/200 Sekunde Belichtungszeit nur mit Stativ (zumindest ohne Bildstabilisierung), herzlichen Glückwunsch.
Natürlich hat der Sensor auch an Dynamik und insbesondere Empfindlichkeit gewonnen. Während die M9 schon bei ISO 2500 ordentlich ins Rauschen kommt, ist bei der M240 selbst bei ISO 3200 die Welt noch in Ordnung. Ja, sogar ISO 6400 ist unter bestimmten Bedingungen o.k., aber hier kommt der Pferdefuss: Offenbar fand man bei Leica die dunklen Bildbereiche bei Low-Light-Fotografie einfach zu eintönig, deshalb hatte man eine kreative Dekoration erfunden: Das Banding! Schicke Streifen wirken der Langeweile entgegen, sobald man ISO 3200 überschreitet und meint, man müsse bei der Nachbearbeitung noch ein bisschen an den Schatten ziehen.
Trotz dieses Handicaps kommt man bei Available-Light aber gegenüber der M9 auf ein anderes Level, speziell mit Leicas lichtstarken Optiken. Und als „lichtstark“ kann man da schon ein Elmarit mit Blendenöffnung f/2.8 betrachten, geschweige denn ‚Crons oder ‚Luxe.
Leider war die Base-ISO auf 200 gestiegen (mit Pull-Möglichkeit auf 100, aber die Dynamik leidet), das bedeutet, dass man bei den lichtstarken Optiken bei Tageslicht stets Graufilter benötigt, um offenblendig arbeiten zu können. Da gibt’s natürlich Schlimmeres, aber jetzt, da die M10 wieder bei ISO 100 angelangt ist, weiß man zu schätzen, dass man sich manches an Schrauberei erspart. (Update 2018: Die M10 hat ebenfalls eine Base-ISO von 200, was aber Leica bei Vorstellung der Kamera mitzuteilen nicht für nötig gehalten hatte…)
Und Video? Für den Hausgebrauch durchaus gut, vor allem mit den Top-of-the-line-Objektiven glasklare Bilder in HD. Ich habe mal an der Ardèche Videos gemacht, aber eigentlich auch nur, weil die Funktion halt verfügbar war. An der M10 vermisse ich die überhaupt nicht (dazu muss gesagt werden, dass ich bei Bedarf eh die Q zur Verfügung habe, die exzellente Videos macht). Für Profis waren die technischen Parameter zu popelig, zu niedrige Framerate und… HD? Unter 4K geht doch nichts mehr… Heute hat die Leica SL diese Lücke geschlossen, darum konnte man die neue M10 auch erleichtern.
Der Verschluss ist überarbeitet und gibt ein sanfteres Klicken von sich, zwar immer noch nicht in der Liga der analogen M’s oder gar der M3, aber immerhin. Irgendwie war man auch das mechanische Aufzugsgeräusch der M9 losgeworden, das immer klingt, als hätte man eine alte Eieruhr just bei Alarm im Klo versenkt.
Ebenso hatte man irgendwas am Messsucher verbessert, er sollte angeblich präziser sein. Schön, o.k., wird schon richtig sein, aber bei der M9 hatte ich keine Probleme (und ich bin verdammt kritisch). Jedenfalls hat er die gleiche Vergrößerung von 0,68 wie die M9, man kann also den Rahmen für 28mm einspiegeln.
Der ärmliche Monitor der M9 war passé, der neue, deutlich größere an der M240 taugte sogar dazu, die Schärfe der Bilder zu beurteilen. Das Upgrade war auch dringend nötig, schliesslich sollte man den auch für Live-View benutzen können. Die ganze Hardware muss irgendwie verpackt werden, so ist der Body der M240 marginal größer als der von der M9. Dafür ist er wenigstens „Spritzwassergeschützt“, ein sehr schwammiger Begriff. Jedenfalls habe ich die M240 bedenkenlos stundenlang ungestraft durch Dauerregen geschleppt.
Zu guter Letzt: Der Akku. Weil Video, Live-View und CMOS überhaupt viel Saft braucht, hat man der M240 einen Boliden spendiert, der vermutlich auch als Anlasser-Batterie eines Kleinbusses taugen würde. Obwohl es angeblich ein Lithium-Ionen Akku ist, würde mich nicht wundern, wenn bei der Konstruktion Kernfusion oder ausgebrannte Brennstäbe zum Einsatz kommen. Das Ding hält jedenfalls ewig. Wie immer hatte ich mit meiner Kamera einen zweiten Akku bestellt, den ich so gut wie nie gebraucht habe. Darum jammern jetzt alle bei der M10 herum: Dabei ist deren Akku-Leistung einfach „normal“, absolut akzeptabel.
Leider wegrationalisiert: Der Bildfeldwähler. Jener kleine Hebel auf der Vorderseite unterhalb des Sucherfensters, mit dem man die unterschiedlichen Sucherrahmen einspiegeln kann, z.b. wenn man sich nicht ganz darüber im Klaren ist, welche Brennweite für das gegebene Motiv am besten funktioniert. Er erscheint wieder an der M-P, der M-D und der M-Monochrom. Glücklicherweise fand er sich bei der M10 auch wieder ein, denn ich finde die Option ganz praktisch und nutze sie auch.
Im Lauf der Zeit erschienen unterschiedliche Varianten der Kamera:
- Die M262: Bei ihr wurde auf Live-View und Video verzichtet und daher die Menüstruktur extrem abgespeckt. Ein Review der Kamera von Mike Evans findet sich hier auf meinen Seiten.
- Die M-P: Wie immer erschien ein schlicht ausgestatteter Body ohne roten Punkt, aber mit Schriftzug auf der Oberseite, Saphir- statt Gorilla-Glas
auf dem Monitor und 2 GB RAM statt 1 GB in der „normalen“ M240. Rein stilistisch die schönste Ausführung der M240. Mehr RAM kann natürlich nie schaden, aber dieses einzige technische Detail, das wirklich anders ist als bei der M240 hat mich nie bewogen upzugraden. Wer macht mit seiner M schon Aufnahmen nach dem Motto „spray and pray“, damit man dann mit der M-P doppelt so viele Fotos für die Tonne produzieren kann?
- Die M-Monochrom (M246): Die „Schwarzweisse“ für die Hardliner. Wie schon bei der auf der M9 basierenden Monochrom extrem hohe Auflösung wegen Wegfalls der Bayer-Interpolation. High-ISO realistisch bis 25.000, Base-ISO bei 320. In dem Fall ist die höhere Base-ISO gar nicht so schlecht, weil ich (hätte ich eine Monochrom) sowieso immer ein Gelb- oder Orange-Filter davor hätte (Filterfaktor 2 oder 3).
- Die M-D: Noch mal abgespeckt, kein Monitor mehr zum „chimpen“, das spärliche Menü durch den Sucher steuerbar. Ich könnte damit leben, aber ohne Möglichkeit, ein Histogramm der eben gemachten Aufnahme zu checken, ist das für mich ein handwerklicher „no-go“. Hier ein Review, ebenfalls von Mike.
- Diverse M-Sondermodelle/Sonder-Editionen: Der Ostwestfale sagt dazu „wer’s mach“ (wer es mag). Ist halt Geschäft für Leica, war schon immer so. Ich persönlich würde mich mit so einem Teil nicht mal tot über’m Zaun hängend erwischen lassen. Schon die „neue“ Leica Q „Snow“ gesehen? Wie schön schmuddelig die wohl nach ein paar Wochen Gebrauch aussieht? Aber halt – ich vergass: So ein Teil trägt man nur als Accessoire… wer soll sich auch mit der ermüdenden Bedienung auseinandersetzen. Zum Fotografieren hat man doch sein Smartphone.
Ich hatte die M240 fast vier Jahre im Dauereinsatz, während dieser Zeit habe ich sie zweimal zum Sensor-reinigen zum Customer Care geschickt. Das, plus Messsucher justieren wird umsonst erledigt. Einmal in den Jahren „hing“ der Messsucher, das heisst, wenn man auf unendlich gestellt hatte, kam er nicht zurück, man musste immer das Objektiv abnehmen und den Hebel im Gehäuse, der an der Schnecke des Objektivs läuft, von Hand nach vorne ziehen. Auf Dauer ein bisschen nervig… war aber schnell behoben. Sonst hat sie Sturm und Regen, Schnee, Eis, Hitze und überhaupt ziemlich unsanfte Behandlung klaglos mitgemacht. Bei Durchsicht der Bilder von 2013 bis Anfang 2017 wurde mir klar, dass diese Kamera mir eine unglaubliche Menge an hochwertigem Bildmaterial „geschenkt“ hat, mehr als alle digitalen Kameras, die ich zuvor hatte, einschliesslich der M9. Die M10 knüpft daran jetzt nahtlos an.
Hier eine Mischung aus vier Jahren mit der M240: