Die M9 ist Leicas erste Vollformat-Messsucher-Kamera und war zu der Zeit, als sie herauskam (2009), tatsächlich die einzige spiegellose Vollformat-Kamera überhaupt. Keiner hatte geglaubt, dass man den Sensor in einem so kleinen Gehäuse unterbringen könnte. Zur Zeit gibt es einige M9’s auf dem Gebrauchtmarkt, in jedem Gebrauchszustand und darum auch in jeder Preisklasse. Wirklich „billig“ gibt’s die aber nie. Unbedingt darauf achten, das die Kamera im Sensor-Austausch-Programm war! Der „alte“ Sensor entwickelte eine Korrosion, darum bot Leica bis August letzten Jahres den kostenlosen Ersatz an. Ich hatte noch kurz zuvor eine M9-P erworben (ein makelloses Stück), die ich flugs zum Customer Care gab. Bald darauf sah ich ein, das ich bei meiner Vorliebe für analoge Modelle nicht auch noch die digitalen Versionen sammeln konnte. Etwas wehmütig verkaufte ich sie wieder – für mehr, als ich dafür bezahlt habe.
Update, August 2020: Leica hat bekanntgegeben, dass es keine CCD-Sensoren für die M9 mehr gibt. Darum nur noch M9-Kameras erwerben, wenn sie bereits im Austauschprogramm waren (Nachweis vom Verkäufer fordern!).
Vorweg: Alle Bilder in diesem Beitrag sind in Lightroom bearbeitet. Es wurden lediglich die Tonwerte eingestellt, Kontrast mit der Tonwertkurve. Keine extensive Bildbearbeitung! Keine HDR’s! Alle Schwarzweissbilder ebenfalls aus Lightroom.
Schon im letzten Jahr im Mai hatte ich einen Artikel geschrieben, in Kürze: Es steckt so viel Potential in der Kiste, hätte es die M240 und die M10 nie gegeben, ich würde sie heute immer noch jeder DSLR oder Vollformat-Sony vorziehen! Ebenso immer noch aktuell in Form der M9-P oder Monochrom (die meist noch etwas höher gehandelt werden als die „einfache“ M9).
Mit der M8 hatte Leica einiges an Lehrgeld bezahlt, die M9 ist schon sehr viel ausgereifter. Vor allem: Der CCD-Sensor hat ein stärkeres Deckglas, dass die lästigen Infrarot-Filter vor den Objektiven überflüssig macht, wenn auch tiefschwarz trotzdem gerne etwas lila erscheint. Vollformat macht es möglich, die riesige Auswahl an klassischen M-Bajonett-Objektiven aller Marken vor der Kamera (mit wenigen Einschränkungen) zu verwenden. Für die Leica-eigenen Objektive hat die Kamera Korrektur-Profile, kodierte Objektive werden automatisch erkannt.
Wegen des CCD-Sensors wird der Kamera ein spezifischer „Look“ zugeschrieben, der viele an Film erinnert. Warum das so ist, will ich hier nicht näher ausführen, aber die meisten Leica-Kenner sehen das so. Trotzdem würde ich das nicht überbewerten. Erst kürzlich sah ich Side-by-Side Fotos der M9 mit der M10, bei Base-ISO ist der Unterschied marginal, praktisch nicht zu erkennen. Leica verzichtet immer auf den Tiefpass- (Moiré-/ Anti-Aliasing-) Filter vor dem Sensor, der die Auflösung beeinträchtigt. Damals waren sie die einzigen, dann zog Fuji nach und sehr viel später merkten auch Canon und Nikon, dass man gut ohne leben kann. Ein Mikrolinsen-System vor dem Sensor lenkt auch die bei Weitwinkel-Objektiven sehr schräg einfallenden Lichtstrahlen auf die Pixelorte und verbessert so die Auflösung in den Ecken. (Das ist übrigens der Grund, warum es nicht zu empfehlen ist, Leica-Objektive mit Brennweiten unter, sagen wir 35mm auf solchen Kisten wie den Sony A7 oder A9 zu verwenden. Warum sollten die ihre Sensoren für andere Hersteller optimieren?) Linseneigene Effekte wie Colour-Shift werden Softwareseitig abgemildert, wenn ein entsprechendes Profil eingestellt ist.
Meine eigene Leica-Geschichte beginnt 2009 mit dieser Kamera. Ich stolperte darüber häufiger auf den Seiten, die ich damals bevorzugt frequentierte (z.B. Luminous Landscape). Nachdem ich das Ding (wie jeder aufgeblasene Vollformat-DSLR-Nutzer) als überteuerten Witz abgetan hatte, kam ich ins Grübeln. Ich hatte das Fotografieren von meinem Großvater gelernt, der selbst Hobby-Fotograf war. Für Ihn war Leica stets der heilige Gral. Daran erinnerte ich mich nun. Das Teil im Netz sah immer noch so aus wie damals vor dreissig Jahren. Warum? Was war so Besonderes daran?
Ich fand es schnell heraus und wunderte mich. Das Messsucher-Prinzip bringt eine Anzahl Beschränkungen mit, die es bei meiner 5D nicht gab. Kein direkter Blick durchs Objektiv, daher Makro und lange Brennweiten nur schwierig zu realisieren. Kein Live-View (an der M9) – und so weiter. Die wesentlichen Unterschiede habe ich ja auf der Seite „Spiegelreflex oder Messsucher “ zusammengestellt.
Je länger ich mich damit beschäftigte, desto mehr erlag ich den Vibrations. Trotzdem war’s wohl weniger Para- als normale Psychologie. Hallo Unterbewusstsein – Ich sehnte mich in vordigitale Zeiten zurück. Die analogen Kontrollen hatten’s mir angetan. Ich war mir meiner Sache so sicher, dass ich die Kamera aus Berlin orderte, ohne sie je in Natura gesehen zu haben. Als sie kam (damals war „unboxing“ noch etwas sehr privates) und ich sie das erste mal wirklich in Händen hielt, fand um mich herum gefühlt so ein Blitzgewitter statt wie bei Asterix, wenn er einen Schluck Zaubertrank nimmt. Alles war einfach richtig. Die Dichte der Kamera überraschte mich, ein Block aus Messing, Glas und Magnesium-Druckguss, aber doch kein im Vergleich zu meiner Canon 5DII, die dagegen riesig, aber hohl erschien. Alles wie Kreuzwippe, Knöpfe oder Zeitenrad bewegten sich mit Präzision und ausgewogenem Widerstand. Der Sucher groß und deutlich heller als bei meiner DSLR. Das Messfeld in der Mitte erinnerte mich an das lang vermisste Schnittbild aus meiner alten Minolta (wenn das auch völlig unterschiedliche Techniken sind! Das Schnittbild ist Produkt eines Schiffs in der Mattscheibe). Der Monitor auf der Rückseite dagegen war ein Witz. Naja, für die Kontrolle der Bildkomposition und Histogramm anschauen reicht er ja.
Eines meiner ersten Objektive war das 50mm Summicron aus kanadischer Produktion von 1986, das aber in seiner Linsenrechnung schon dem heutigen „normalen“ Summicron entspricht. Auf dem Beitragsbild oben ist es auf der Kamera zu sehen. Ich hatte vorher nicht gedacht, dass Objektive mit derartig solider Bauart noch existieren. Ein „richtiger“ Blendenring mit sanfter Rastung in halben Stopps, der Distanzring mit Tiefenschärfe-Markierungen auf dem Gehäuse, solche Kinkerlitzchen hat man bei den meisten modernen Autofokus-Objektiven längst wegrationalisiert.
Alles war von höchster Fertigungsqualität. Heute nehme ich das als gegeben hin, wenn ich etwas Neues von Leica in Händen halte (z.B. die CL), aber damals war das ein Gefühl wie bei Frodo, als er den „einen“ Ring von Bilbo bekam. Oder doch eher wie Gollum? Es fehlte eigentlich nur, sich um die Kamera zu krümmen und mit heiserer Stimme „mein Schatzssss“ vor sich hin zu röcheln.
Ich liess das Objektiv bald bei Leica kodieren, sandte es irgendwann im Lauf der Jahre einmal zum Service ein und benutze es noch heute gerne, egal ob auf der M10 oder meinen analogen Modellen. Es ist optisch immer noch super und schnuckelig klein.
Nichts war mehr wie vorher, und der Blick durch den Sucher der M9 veränderte meine Art zu fotografieren radikal. Zugleich gab mir das einen Motivations- und Kreativ-Schub. Die Einschränkungen, die mir die Technik der Messsucherkamera auferlegte (kein Live-View beim CCD-Sensor möglich, kein direkter Blick durchs Objektiv etc.) wirkten eher befreiend auf mich. Meine 5D Mark II war völlig abgeschrieben. Nach einem halben Jahr kapierte ich, dass ich sie nicht mehr brauchte und verkaufte sie. Und nach und nach all die Flaschenböden, die ich mal für Objektive hielt. Good riddance, Canon.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass nicht die Technik des Messsuchers per se plötzlich tolle Bilder verursacht. Es lag sicher eher daran, dass mich die Kamera zwang, mehr mitzudenken. Dies wäre ebenso mit der 5D vorstellbar gewesen, hätte ich nur die Notwendigkeit gesehen, mich mehr mit dem zu beschäftigen, was mir die Kamera so vorgab. Nicht, dass ich nicht immer schon Blendenpriorität bevorzugt hätte, aber auch die Art der Objektive liess mir kaum Auswahl, sehr offenblendig zu arbeiten. Meist lag man bei f/5.6, f/8 oder noch kleiner. Man drehte am Zoom und liess die Kamera den Rest machen. Alles Wissen aus der analogen Zeit schlummerte. Bis ich es wegen der M9 wieder hervorkramte.
Als ich die Kamera schon eine Weile hatte, kam irgendwann ein DxO-Ranking des Sensors heraus. Der wurde so grottenschlecht eingestuft, dass die Leica-Kritiker wieder mal hämisch konstatierten, dass Leica für Technik von Vorgestern abkassiert und die Kamera folglich ein überteuerter Haufen Schrott ist. Nichts gegen DxO, ich habe selbst jahrelang für die als Alpha-Tester Programme wie DxO-Optics-Pro und DxO Film-Pack von Bugs befreit, aber die Laborratten dort sind streng materialistische Seelen: Sie messen leidenschaftslos lediglich die physikalischen Eigenschaften der Sensoren. In dem Zusammenhang sagte z.B. der selige Marcel Reichmann damals, dass er sich bei einer Kamera lieber auf seine Augen als auf das DxO-Ranking verliesse, denn beides würde häufig deutlich auseinanderliegen.
Ich hatte den Vergleich zu den Dateien aus der 5D Mark II (die damals einen Top-Platz im Ranking hatte). Nichts gegen die Kamera, aber die 18 Megapixel-DNG’s der M9 stellten die 21 Megapixel-CR2-Dateien aus der Canon in Punkto Auflösung völlig in den Schatten. Natürlich spielt eine Rolle, dass die sogenannten Profi-Klasse-Objektive (mit rotem Ring) bei Canon, die ich naiverweise benutzte, sich zu Leica Glas etwa verhalten wie ein Plastik-Fernglas vom Jahrmarkt zum Hubble-Teleskop. Wäre ich damals schon so schlau gewesen, mir Festbrennweiten von Zeiss vor die DSLR zu bauen, wäre der Unterschied längst nicht so krass ausgefallen.
Und Dynamik? Was messen die bei DxO eigentlich, frage ich mich angesichts der Tatsache, dass ich an DNG’s ziehen kann, bis der Arzt kommt. In den Schatten steckt alles noch drin! Kein Vergleich zu Canons CR2-Dateien. Logo, wenn man die ISO hochstellt kommt die M9 schneller ins Rauschen als die 5D II, aber das machte das lichtstarke Glas, das ich zur Verfügung hatte, mehr als wett. Das sie nicht so ein ISO-Monster ist wie die Kameras der neuesten Generation, ist auch klar, aber um die Sensor-Empfindlichkeit bei erträglichen Rauschen maximal zu pushen, gibt es einen Trick, über den ich hier auf der „alten“ Webseite berichte.
Der Verschluss macht das Geräusch eines scharfen „Klick!“, das im Vergleich zu den damaligen DSLR’S, die immer klangen, als würden Möbel umstürzen, recht diskret war. Leider wird der Effekt durch das anschliessende Aufzuggeräusch teils wieder zunichte gemacht, ein mechanisches Surren, das an einen Roboter mit Blähungen erinnert. Immerhin gibt es eine Einstellung, bei der man den Auslöser nach dem Foto gedrückt halten kann und das Surren erst abläuft, wenn man ihn loslässt. Man kann die Kamera z.B. unter die Jacke stecken und das Geräusch dämpfen. Und so machte ich es auch oft genug, wenn es auf Diskretion ankam, z.B. bei klassischen Konzerten.
Ein weiterer Riesenvorteil der Kamera ist das Packmass. Beim Kanufahren, Mountainbiken, Wandern nahm sie keinen Platz im Rucksack weg. In Städten ist sie stundenlang ermüdungsfrei zu tragen, will man eine Objektivauswahl mitnehmen, passen die Kamera und drei zusätzliche Objektive (wer so viel braucht) in die kleine Hadley Digital (der Welt beste Kameratasche, Kurzreview: Bequem, Unzerstörbar und Wetterfest). Die M9 selbst sollte man vor Staub und Regen schützen, aber bei mir hat sie in den Jahren extreme Nässe, Sandsturm, Kälte und Hitze klaglos ausgehalten. Wohlgemerkt, meine Wahrnehmung, Im Forum las man teilweise ganz andere Sachen. Aber über die Realitäten im L-Forum wurde ich mir auch schnell klar. Durchaus eine gute Informationsquelle, leider auch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Gegen Ende meiner Zeit mit der Kamera, ich hatte da die M240 schon einige Monate, machte sich die Sensorkorrosion bemerkbar. Ich schickte das gute Stück ein, das inzwischen einige Patina angenommen hatte (der „brassy“ Look, den manche so schätzen), liess den Sensor tauschen und alles justieren – dann verkaufte ich sie. Ich sah keinen Sinn darin, eine digitale Kamera zu „sammeln“ (und das musste ich mit der M9-P, die ich letztes Jahr noch kaufte, auch einsehen). Das Feuerwerk beim Stadtfest 2013 fotografierte ich parallel mit beiden Messsucherkameras, das war ihr Schwanengesang.