Otto von Bismarck wird ein Zitat zugeschrieben: „Nirgends wird so viel gelogen wie vor Wahlen, im Krieg oder nach der Jagd.“ Heute würde er möglicherweise hinzufügen: „…und im Internet.“ Und damit meine ich nicht nur Trump’s Twitter-Account.

Mal ganz ehrlich – immer wenn ich auf die Webseiten gehe, wo die „Foto-News“ verbreitet und neue Modelle vorgestellt werden (z.B. Dpreview, aber ich will die nicht immer allein bashen), kommt mir das sprichwörtliche kalte Kotzen. Vermischt mit einem Gefühl der Entrüstung, nämlich für so dämlich gehalten zu werden.

Weshalb? Weil uns die Kameraindustrie (die diese Seiten füttert) natürlich immer glauben machen will, ohne „the latest, greatest gear“ könne man nicht mehr fotografieren. Modellzyklen von 1/2 Jahr bei manchen Herstellern sind keine Seltenheit. Was soll da bitte jedesmal so viel besser werden, ausser dass das Fieber der „Featuritis“ noch ein paar Grad zunimmt? Noch mehr blödsinnige Gadgets eingebaut, die nichts mit Fotografie zu tun haben.

Dazu noch perfide Manipulationstaktiken. Die Kommentarleisten und Foren sind verseucht von Shill-Boys, bezahlten Agenten, die ein Produkt loben oder schlecht machen (wes Brot ich ess, des Lied ich sing). Dabei werden sogar „Sockenpuppen“ benutzt, fiktive Gesprächspartner für Pseudo-Diskussionen über das gelobte oder getrollte Produkt. Ich erwähne das deshalb, weil diese Taktiken offenbar vielen gar nicht bewusst sind. Man lese mal mit wachem Auge auf den entsprechenden Internetseiten.

Bei meiner eher wohlwollenden Einstellung gegenüber Leica nehme ich mal an, dass die Firma sich solcher Techniken nicht bedient, das haben sie nicht nötig. Im allgemeinen sind deren Produkte mehr in der Opferrolle. Ausserdem kann man ihnen weder Featuritis noch kurze Modellzyklen vorwerfen. Was mich da gelegentlich nervt, sind die Ausflüge ins Luxussegment. Kein Wunder, dass das arrogant rüberkommt. Was zum Beispiel Kopfhörer mit Fotografie zu tun haben (diese O.95-Dinger), erschliesst sich mir nicht. Natürlich hat es was mit Geschäft zu tun. Naja, so was kann ich mühelos ignorieren, solange Leica seinen fotografischen Prinzipien treu bleibt.

Die Leica M9

Also, dieses Gezeter zur Einleitung sollte eigentlich bezwecken, den Blick auf die M9 zu lenken, eine Kamera, die 2009 vorgestellt wurde. Nach Massstäben der Eingangs erwähnten Webseiten reden wir hier von der digitalen Jungsteinzeit. Damals war das die einzige wirkliche Vollformat-Kamera in einem kleinen Gehäuse. Für mich setzte mit ihr die „Faszination Leica“ ein, die viele gern lächerlich machen. Trotz der offensichtlichen Limitationen der Kamera dauerte es nur wenige Monate, bis ich meine (sehr geschätzte!) Canon 5D II auf die virtuelle Müllhalde warf (verkaufte…). Die Beschränkungen, die mir die Messsucherkamera auferlegte, wirkten paradoxerweise geradezu befreiend! Natürlich hat es auch was damit zu tun, dass ich viele Jahre analog fotografiert hatte und etwas wiederfand, dessen Verlust mir gar nicht bewusst war: Die Einfachheit. Blende, Belichtungszeit, ISO – Fertig. Und: Grossartige Optiken. Die 18 Megapixel der Kamera (ohne AA-Filter) gepaart mit einem Summicron-Objektiv stellten alles in den Schatten, was die Canon mit 21MP liefern konnte.

M9
Winterspaziergang am Strand von Sylt. M9 mit 90mm Summarit bei f/5.6  1/2000sec  ISO 160

Die M9 kam mir deswegen wieder ins Bewusstsein, weil Leica kürzlich das Ende des kostenlosen Austausches der problembehafteten CCD-Sensoren angekündigt hat. Die Meisten wissen, dass die „alten“ Sensoren leider eine Korrosion entwickelten. Immerhin hat Leica dafür bisher sehr grosszügig den kostenlosen Ersatz oder günstigen Upgrade auf die M240 angeboten.

M9
Analoger Look? Definitiv! M9 mit 50mm Summicron bei f/2  1/4000sec  ISO 160

CCD-Sensor – Ein Alleinstellungsmerkmal

Gerade der CCD-Sensor der M9 ist Grund für viele, sie weiterhin zu bevorzugen. Er hat seine eigene, charakteristische Signatur, viele sagen „Film-Look“. Nun sind das sehr subjektive Wahrnehmungen, aber ich finde auch, dass etwas dran ist. Ich nahm mir neulich deswegen mal wieder die alten DNG’s der M9 vor. Sparsam bearbeitet behalten sie diesen analogen Look. Davon abgesehen, werde ich nicht müde zu erwähnen, wie wenig mich interessiert, dass DxO den Sensor in seinem „Ranking“ so unterirdisch eingestuft hat. Die M9 hat mir eine Unmenge hochwertiger Bilder geliefert. Was sagt das Ranking also über die Qualität einer Kamera aus? Gar nichts! Seither traue ich lieber meinen eigenen Augen als irgendwelchen  Messwerten. Und beurteile das Gesamtpaket. Eine gute Kamera ist mehr als nur ein Sensor (hallo, Sony!).

M9
Pétanque in Nimes. M9 mit 50mm Summilux bei f/1.4   1/1500sec  ISO 160,  ND-Filter 0,9

Nun kann ich ja mit meiner schönen M10 leicht nostalgisch sein, aber ich bereue noch heute, dass ich die M9 verkauft habe. Sie war was Besonderes. Und wer halbwegs günstig digital bei Leica einsteigen will, kann sich ruhig nach einem gebrauchten M9, M9-P oder M-E Body umsehen, von der M9-Monochrom ganz zu schweigen.

Slider: Farbbilder aus der M9:

Slider: S/W-Bilder aus der M9:

10 Comments

  1. Hallo Claus,

    Du sprichst mir aus der Seele, denn ich durfte kürzlich mal wieder mit einer M9 unterwegs sein. Sie sollte eigentlich meine Backup-Kamera für meine Vietnam-Tour werden. Aufgrund ihres äußeren Zustandes war sie recht günstig. Bei der Betrachtung der Bilder habe ich nur gedacht, schon der Hammer, was die “alte” Dame abzubilden vermag. Leider nur mit recht offenen Blenden, da man abgeblendet das Sensorproblem sehen konnte und die Kamera aus dem Jahre 2009 war, daher ohne kostenlosen Sensortausch. Daher musste ich die Kamera wieder zurückschicken. Aber ich werde weiter suchen, denn die Reduktion gegenüber einer M10 und vor allem allen anderen Digitalkameras liebe ich an ihr (und dieser Verschlussklang)

    Gruß Mark

    • Claus Sassenberg

      Mark,

      bestimmt findet sich demnächst was passendes! Es werden zur Zeit einige M9’s „freigesetzt“, und zwar mit getauschtem Sensor.

      Gute (und sichere) Reise,

      Claus

  2. OpDraht

    Bzgl. der Kritik der schnellen (oft innovativen) Modellzyklen anderer Hersteller sollte man der Ehrlichkeit halber aber auch erwähnen dass bei der Konkurrenz Bugs i.d.R ebenso schnell gefixt werden, während man bei der Leica M10, stand heute, immer noch darüber diskutieren muss warum sie mit vielen Speicherkarten nicht zuverlässig will (…und die in anderen, anspruchsvolleren, da schneller schreibenden Kameras problemlos laufen).

    https://www.l-camera-forum.com/topic/268663-sd-card-compatibility-issue/

    • Claus Sassenberg

      Das kann man sofort ehrlich zugeben, aber das war hier nicht das Thema. Modellzyklen sind eine Sache, Bugfixes eine andere. Die Trägheit Leicas in dieser Hinsicht ist bekannt. Andererseits geht es hier nicht um Leica vs den Rest der Welt. Man kann wohl kaum unter dem Begriff „die Konkurrenz“ pauschal alle anderen Hersteller zusammenfassen. Der Umgang mit Bugs wird von jedem anders gehandhabt.
      Und ob ein neues Modell „innovativ“ ist, kann jeder für sich selbst entscheiden. Ich zweifle den Fortschritt gar nicht an… wenn wirklich einer da ist.

      • „Die 18 Megapixel der Kamera (ohne AA-Filter) gepaart mit einem Summicron-Objektiv stellten alles in den Schatten, was die Canon mit 21MP liefern konnte.“
        „Andererseits geht es hier nicht um Leica vs den Rest der Welt. Man kann wohl kaum unter dem Begriff „die Konkurrenz“ pauschal alle anderen Hersteller zusammenfassen. Der Umgang mit Bugs wird von jedem anders gehandhabt.“
        Die Modelle der Wettbewerber in vergleichbarer „Preisklasse“ bieten standardmäßig mehr Redundanz i.S. Speicher und Energie an! Weiterhin beschleunigen ZWEI CPUs die Steuer- und Speichervorgänge spürbar!
        Das alles ändert nichts an der Faszination, die von dem optisch-mechanischen Meßsucher, der aus insgesamt 104 Teilen (M6) besteht, ausgeht! Nach einer langen Reise sollten allerdings die latenten Fotos (RAW/JPEG Files) auch zur Präsentation zur Verfügung stehen, sonst war das Fotografieren doch vergebens, oder?

  3. Ja, all das habe ich voreingestellt. Aber, und da kommt die Faszination für die Kombination Leica-Objektiv und Kodak Portra zum Tragen, die Bildwirkung in meinen Augen ist mit letzterem eindeutig anders, die Bilder wirken plastischer, tiefer, ausgewogener. Das ist ja auch der Grund, warum ich so gerne mit Leica fotografiere und Claus irgendwie schon den Sensor der M 9 vermisst.
    Die Aufnahmen mit der Fuji wirken plakativer von den Farbprofilen und irgendwie flacher. Ich weiss nicht, wie ich es richtig ausdrücken soll. Das hat beides seine Berechtigung, ist immer eine persönliche Geschmackssache.
    Als ich letztes Jahr die ersten Bilder unseres Babys mit der analogen Leica machten, mochte ich die Bilder auf Anhieb. Die Bildabzüge mit der Fuji wirkten, als wäre ich Vater einer Porzelanpuppe.

    Was ich auch immer wieder faszinierend finde, sind die Forderungen nach mehr MP in den einschlägigen Mediamarkt-kompatiblen Foren. Fürs Internet, wo gefühlt die meisten Bilder landen, muss man sie wieder extrem klein machen. Wenn ich 1500 Punkte wähle, ist die Datei eigentlich schon zu groß. Da wird immer geschrieen, wie rückständig Leica sei, dabei tut die Marke gut daran, diesen Proll nicht mitzumachen.

  4. Jolomy

    „Natürlich hat es auch was damit zu tun, dass ich viele Jahre analog fotografiert hatte und etwas wiederfand, dessen Verlust mir gar nicht bewusst war: Die Einfachheit. Blende, Belichtungszeit, ISO – Fertig. “

    Die Reduktion auf die wesentlichen Bedienelemente läßt mich immer wieder zur Leica M mit einem Standard WW bestückt greifen – mit einem Minimum an Zeitverlust zwischen dem Erfassen des Motivs und dessen Umsetzung in eine Aufnahme.
    Für alle anderen, eher ruhigen Szenen bevorzuge ich jedoch die Komposition an einer möglichst großen, optischen Einstellscheibe (Mattscheibe) – idealerweise ab Stativ, um formatfüllend mit freiem Blick auf das Motiv zu fotografieren .

  5. wohl wahr, lieber Claus. Und da erinnere ich mich an ein Zitat, ich meine es ist von Kant: „Die Meinung des Meinenden ist eine vermeintliche. Man meint nur, dass man meint. In Wirklichkeit ist man das Opfer seiner soziokulturellen Determinanz.“ Man muss schon dumm und denkfaul sein, solche PR-Texte ungefiltert zu übernehmen.
    Zur Leica, ich finde, die Objektive allein haben einen nicht nachzuahmenden Look, da ist es fast gleich, mit welcher M man etwas aufnimmt.
    Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, aber zumindest bei mir würde ich sofort die Bilder der M-Objektive mit denen einer anderen Marke unterscheiden können. Und das schon in kleiner Darstellung. Wenn ich noch einmal eine digitale Kamera kaufe, wird es eine M. Vielleicht sogar eine M9, wenn ich weiß, wie lange die Sensoren verfügbar sind. Die Bilder, die ich gerade verarbeite, sehen irgendwie so künstlich aus. Und das meine ich ganz unbezahlt und ohne Bashing. 🙂 Und ich komme auch immer wieder auf den optischen Sucher zurück. Diesen Monat habe ich allein etwa 700 Aufnahmen mit dem elektronischen Sucher gemacht, es strengt die Augen einfach an. Da ist Leica einfach mal nicht zu toppen mit seinem optischen Sucher, ob es den Depris und Co passt oder nicht. Und Sony kann von mir aus täglich eine Meldung auf den Markt werfen, von denen kommt mir einfach nichts ins Haus.

    • Claus Sassenberg

      Amen! 😉

      lg

      Claus

    • „Die Bilder, die ich gerade verarbeite, sehen irgendwie so künstlich aus.“

      Der Kanten- oder Saumeffekt digitaler Bilder inklusive weiterer sichtbarer Artefakte lässt sich wie folgt abstellen:
      1. Die komplette Abschaltung der Scharfzeichnung (NULL),
      2. den Kontrastregler vor der Belichtung auf Minimum einstellen.
      Am Rechner die Farbkontraste und Tonwerte der RAW oder JPEG Vorlagen motivgerecht adjustieren und beispielsweise ein 4.000×6.000 Pixelfoto – OHNE jegliche Scharfzeichnung (Unscharf Maskieren) – NUR bikubisch auf 1.200×1.800 Pixel für eine 10×15 cm Postkarte (1.365×2048 für ein iPad Retina Display @264ppi) verkleinern.
      Wichtig beim Laserdruck der Postkarte:
      Automatiken am Terminal DEAKTIVIEREN!

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