Nach einer guten Woche Aufenthalts liessen wir den Staub und die Hitze der Grossstadt hinter uns und folgten einer der Strahlen des französischen Autobahnnetzes, in dessen Zentrum Paris wie eine dicke Spinne sitzt, nach Südwesten. Unser Ziel war Baden am Golf von Morbihan, im Süden der Bretagne. 2013 waren wir schon mal als Familie in der Bretagne, ebenso nach einem Paris-Besuch. Das erste Mal waren wir im Norden, genau da, wo immer das Vergrösserungsglas auf der ersten Seite der Asterix-Hefte hinzeigt, in Armorica, dem „Land am Meer“. Es erscheint müßig, über das Wetter zu reden, aber das spielt ja als Lichtquelle für’s fotografieren eine grosse Rolle. Damals war Super-Sonnenwetter, darum hiess mein damaliger Beitrag (noch im alten Blog) „Ansichtskarten aus der Bretagne“.

Bretonisch, Bretagne
Le Bono mit seiner historischen Hängebrücke. Leica M4 mit 35er Summilux und Kodak Portra

Diesmal war das Wetter zwar gut, aber nicht immer eitel Sonnenschein. Zum Baden im Meer war es auch eher zu kühl, so dass wir unsere Küstenausflüge auch mehr auf Radtouren beschränkten. Insgesamt ist die Gegend am Golf von Morbihan anders als weiter im Westen oder im Norden der Bretagne, lieblicher zumeist. So, als hätte man Westfalen-Lippe geflutet und liesse alle sechs Stunden das Wasser wieder ab. Ausserdem stolpert man ständig über einen Tumulus, Dolmen, Menhir oder alles zusammen. Obelix hat offenbar einen Grossteil aus seiner Hinkelstein-Manufaktur hier abgeliefert (in „Asterix in Spanien“ heisst es, das Verleihnix ein Grundstück bei Carnac geerbt hat, das er mit Obelix‘  Hinkelsteinen verzieren will). Komisch, als ich mir die „Alignements“ in Carnac ansah, hatten die dort ganz andere Theorien über den Ursprung der Menhire…

Wir hatten uns auf einem grossen Campingplatz mit allem Zipp und Zapp eingemietet, eher etwas, was wir sonst vermeiden. Man hätte sich von dem Platz gar nicht fortbewegen müssen: Reiten, Schwimmen, Bogenschiessen, ein Kletterwald, Minigolfbahn und weiss der Geier was sonst noch wurde alles auf dem Platz angeboten, kurz: Der blanke Horror. Zum Glück gab es trotzdem eins im Übermass, was sonst bei solch „vollanimierten“ Plätzen eher nicht gegeben ist: Nämlich Ruhe. Wenn man sich vom Trubel der Mega-Badelandschaft etwas entfernte, kam man schnell an ruhige Ecken des Platzes. Gegenüber Paris war schon die Stille Luxus.

An der „Cote Sauvage“, Halbinsel Quiberon:. Die digitalen Dateien aus der M10 haben den Vorteil der besseren Nachbearbeitungsmöglichkeit. Der Film leidet dynamisch etwas unter den ungünstigen Lichtbedingungen. Die Sonne stand hoch am Himmel, so dass sich bei den nach Süden gerichteten Bildern eine Gegenlicht-Situation ergibt, die im DNG durch die Möglichkeiten in Lightroom kaum eine Rolle spielt. 

Nachdem ich nach unserer Ankunft diesen Luxus eine halbe Stunde lang genossen hatte, hatte ich genug davon und schwang ich mich aufs Rennrad, um die Umgebung zu erkunden. Baden liegt nur etwa zwei Kilometer von der Uferlinie des Golfes entfernt, wo sich der kleine verschlafene Hafenort Larmor-Baden befindet. Die nächstgrößere Stadt in nur etwa 15km östlich ist Vannes, Hauptstadt des Departements Morbihan. Nach Westen geht es über das malerische Le Bono ins noch mehr pittoresk-bretonische Auray und weiter nach Carnac, Locmariaquer oder die Halbinsel Quiberon. All diese Orte besuchten wir teils mit Fahrrad, teils mit Auto.

Analoge Eindrücke aus Vannes

All meinen Kodak TMax Film hatte ich in Paris verschossen, mir blieb nur eine Rolle Kodak Portra, den ich bei einer Radtour die „Cote Sauvage“ die Insel Quiberon entlang und bei einem abendlichen Rundgang in Vannes aufbrauchte. Dort fand gerade ein Jazz-Festival statt. Auf dem Place des Lices lauschte ich inmitten einer Menschenmenge einer Band und wollte gerade auf einen erhöhten Absatz klettern, um ein Übersichtsfoto zu machen, als ich einen asketisch wirkenden älteren Herrn bemerkte, der die M4 fixierte, die um meinen Hals baumelte. Er sprach mich an, ob es sich um einen „boite argentique“ handelte und es stellte sich heraus, dass er fast 40 Jahre lang in einem Fotolabor gearbeitet hatte (ich glaube, der örtlichen Zeitung). Er befingerte mit einer gewissen Referenz die Kamera, die ich ihm aushändigte und machte mir Komplimente zu deren guten Zustand. Das 35er Summilux darauf sagte ihm auch etwas. Ich verstand nicht alles, worüber er sprach, aber natürlich ging es um die gute alte Zeit. Wir schieden in bestem Einverständnis voneinander. In Paris hatte ich am Louvre einen Franzosen mit einer M4-2 getroffen. Es ist so selten, dass man zufällig einen anderen M-Shooter trifft, dass es zum guten Ton gehört, sich zu grüssen und wenn Zeit ist, sich vorzustellen. Meist kommt eine kleine Fachsimpelei über die verwendeten Objektive und Filter dabei heraus.

Das Wahrzeichen: „Vannes et sa Femme“, mit hochmotiviertem Hausbewohner. Leica M4 mit 35er Summilux, Kodak Tri-X mit Orange-Filter

Am nächsten Tag war es bedeckt, auch ein wenig regnerisch und die Damen beschlossen, zum shoppen nach Vannes zu fahren. Der Portra war durch, aber ich hatte Glück: Die Stadt ist gross genug, dass es im Zentrum noch Fotogeschäfte gibt. Die Auswahl war etwas eingeschränkt, aber dort konnte ich wenigstens zwei Kodak Tri-X erstehen. Das reichte für den Rest der Reise. In Vannes war Markt,  ich streifte mit frisch geladener Kamera durch die Gassen.

Bretonisch, Bretagne
Auray – Skyline: Der Vorteil der hybriden Methode – man kann zwei (oder mehr) analoge Bilder in LR zu einem Panorama zusammensetzen. Leica M4 mit 35mm Summilux bei f/5.6, Orange-Filter

Nachdem ich nun den Kodak Tri-X entwickelt zurück bekommen habe, muss ich sagen, dass ich ihn trotz der grobkörnigkeit gegenüber dem TMax vielleicht doch bevorzuge, der Kontrast bei diesem Film (ähnlich wie beim Ilford HP5) ist enorm und wirkt unheimlich plastisch. Ich finde, das kommt in dem Bild der Skyline von Auray auch zur Geltung, wobei das Licht immer eine grosse Rolle spielt. Bei trüben Verhältnissen kann auch der kontrastreichste Film bei Landschaftsbildern nicht viel herausholen. ausserdem darf man das passende Farbfilter (gelb, orange oder sogar rot) nicht vergessen.

Die malerische Stadt Auray, alles mit M4 mit 35er Summilux, Kodak Tri-X und Orange-Filter

Die Austernbänke vor Locmariaquer, M10 mit 90mm Macro-Elmar

Bei Locmariaquer finden sich einige bedeutende Stätten der Megalithkultur. Der Rest meiner Familie gab mir zu verstehen, dass sie sich nichts aus alten Steinen mache. Sie zogen es vor, in einem Café am Hafen auf die Abfahrt des Schiffes zu warten, das uns auf eine Rundtour durch den Golf von Morbihan mitnehmen sollte und gaben mir grosszügig frei. Ich schwang mich aufs Rad, um die entsprechenden Stellen abzuklappern.  Zuerst die „Site des mégalithes de Locmariaquer“, ein eingezäunter Bereich mit Museum und der Möglichkeit, sich mit einem „Teleguide“ in deutscher Sprache über die Stätte zu informieren. Dort gibt es den Tumulus „Er Grah“, den „Table des Marchand“ und den „Grand Menhir brisé“ (den zerbrochenen Menhir). Farbbild rechts: Grabplatte und Deckstein mit Gravuren im „Table des Marchand“, Leica M10 mit 28mm Summicron f/4  1/60sec  ISO 6400

Ich fuhr weiter zum Dolmen „Mane Rethual“, der sehr versteckt am Ortsrand liegt und nur über einen kleinen Pfad, der zwischen den Häusern liegt, zugänglich ist. Er war eingezäunt und offenbar nur im Rahmen von Führungen zugänglich, die alle paar Tage stattfinden. Anders war es dann beim Knickdolmen Les Pierres-Plates am Strand im Süden von Locmariaquer. Dort kann jeder frei herumturnen (im wahrsten Sinn des Wortes). Als ich vor mehr als zwanzig Jahren in diesem Teil der Bretagne war, waren z.B. auch die heutzutage eingezäunten Alignements bei Carnac frei zugänglich. Das solche Maßnahmen zu Schutz der Stätten bei dem teilweise rücksichtslosen Verhalten der vielen Touristen durchaus angebracht sind, ist wohl nachvollziehbar. Umso mehr wunderte es mich, dieses wichtige Ganggrab immer noch ungeschützt zu sehen. Für mich natürlich praktisch. Aber ich gehe auch nicht mit Hammer und Meissel hinein und hole mir Souvenirs. Ich banne die Erinnerung auf einen Sensor oder in Silberhalogenid, das ist weniger destruktiv.

Als ich an „Les Pierres-Plates“ ankam, wollte ich gern eine „Übersichtsaufnahme“ machen, aber es kletterten immer Leute darauf herum, die mich störten. Ausserdem war da noch diese kleine Göre, die sich fürchterlich mit ihrem vielleicht zwei Jahre älteren Bruder stritt. Sozusagen bis auf’s Blut, denn die Kleine war so sauer, dass sie zum Angriff überging. Der Bruder lief davon. Sie machten mehrmals die Runde über den Dolmen, das Mädchen mit ausgefahrenen Krallen und Mord im Blick hinterher. Nachdem ich mir das eine Weile angesehen hatte, zuckte ich auf französische Weise mit den Schultern und machte mein Foto. Das bringt Leben in die ansonsten statische Szene. Ich weiss übrigens nicht mehr, ob sie die Rache an ihrem Bruder vollzogen hat. Jedenfalls war das Schlachtfeld geräumt, als ich wieder aus dem Dolmen herauskam.

Am Eingang hockte ein kleiner Mann auf  einem Stein. Als ich ankam, näherte er sich schüchtern und sprach mich an. „Jes suis le guide“, stellte er sich vor und fragte, ob er mir den Dolmen erklären dürfe. Ich musterte ihn zweifelnd. Er hatte ein mit Kugelschreiber selbstgemaltes Schild „Guide“ am Revers seiner verblichenen Windjacke befestigt und einen Stapel etwas eselsohriger Papiere unter seinen Arm geklemmt. Aus seinem freundlichen Gesicht blickten mir kugelrunde Augen erwartungsvoll entgegen. Er war sicher kein „offizieller“ Führer, das war mir sofort klar, aber er erschien mir harmlos genug. Ich stimmte also zu und wir traten durch den niedrigen Eingang ein. Im Dolmen war es zuweilen ziemlich finster, er wies den Weg mit einer Handlampe, die aufgrund altersschwacher Batterien einen schwachgelblichen Lichtkegel warf. Auf jeden Fall kannte er sein Metier, er wies sachkundig auf Gesteinsarten und Gravuren hin, die mir sicher entgangen wären, sprach von Vermutungen über deren Bedeutung, Palmen, Skarabäen und Fruchtbarkeitsgöttinen. Ich verstehe hinlänglich genug französisch, das ich ihm (meistens) folgen konnte. Er wartete geduldig, wenn ich ein Foto machen wollte und fragte hin und wieder (was für mich zum „running Gag“ wurde) in dem für uns etwas fremden französischen Satzbau: „Mein Vortrag, gefällt er Ihnen?“, und ich ihm jedesmal versicherte: „Oui, oui, continouer s’il vous plait!“.

Leica M10 mit 28mm Summicron f/2  1/60sec  ISO 800: Mein „Guide“

Als wir wieder draussen waren, zeigte er mir noch anhand der Zeichnungen (die sehr exakt, aber offensichtlich selbst gefertigt waren) etwas über die Lage des Dolmen in Bezug auf die Himmelrichtungen. Am „Menhir indikativ“, der neben dem Eingang steht, fiel mir plötzlich auf, dass ich in zehn Minuten am Hafen sein musste. Das war schnell erklärt, aber auf die Frage, ob ich ihm denn für seine Mühe etwas schuldig sei, verneinte er. Ich glaube, er war nur zu höflich, Geld zu verlangen. Bei seiner ärmlichen Erscheinung konnte er die fünf Euro, die ich ihm dennoch gab, sicherlich gebrauchen. Das ich Deutscher bin, war ihm natürlich inzwischen klar geworden, und er erzählte noch, dass er mal in Köln gewesen sei, was dann auch die einzige deutsche Stadt war, über deren geografischer Lage er sich klar war. Also musste ich meinen Herkunftsort in Beziehung dazu setzen („ca. 200km östlich“). Wir schieden voneinander im besten einvernehmen. Zum Hafen musste ich mit dem Fahrrad einen Sprint einlegen, wie auf dem letzten Kilometer einer Tour de France-Etappe, aber ich kam noch pünktlich zum Ableger.

Die Insel Gavrinis im Golf von Morbihan mit einem bedeutenden Tumulus

Als wir abreisten, hatte ich das Gefühl, diesen Teil der Bretagne ziemlich gut erforscht zu haben. Wenn ich das nächste mal in die Gegend komme, will ich auf jeden Fall mal wieder die wildere westliche Küste bereisen, z.B. den Point du Raz besuchen. Zuhause angekommen, packte ich gleich wieder ein. Ich hatte nämlich noch eine Woche Ferien. Ich begab mich in die südlichen Vogesen, da ich dort noch nie war. In der Nähe von Munster blieb ich drei Tage auf einem Campingplatz und fuhr hauptsächlich Rennrad (ohne viel zu fotografieren), z.b. auf den „Col de la Schlucht“ oder das „Petit Hohneck“ mit dem „Lac du Schiessrothried“ (siehe Bild rechts). Die eigenartigen Ortsnamen mit den deutsch-französischen Namenskombinationen haben Charme. Ich stellte fest, dass die Gegend trotz Tourismus leider teilweise ziemlich abgewrackt ist, viele Häuser stehen verlassen und die Städte haben schon bessere Zeiten gesehen.

Marktplatz von Munster, Leica M6 mit 35mm Summilux, Kodak Portra

Zuhause hatte ich die M4 gegen die M6 getauscht, die gerade frisch vom Customer Care eingetroffen war. Belichtungsmesser wieder voll funktionsfähig und natürlich Verschluss, Belichtungszeiten und Messsucher tipptopp instand gesetzt. Die Kamera, die auch vorher in gutem Erhaltungszustand war, machte den Eindruck, als hätte ich sie gerade als neues Produkt vom Händler geholt. Sie (eine Chromversion) hat bis auf die etwas geringere Höhe eine verblüffende Ähnlichkeit mit meiner M10.

Aus der M6 auf Kodak Portra gebannt: Analoges aus Straßburg

Am Mittwochmorgen verliess ich die Vogesen und fuhr nach Straßburg. Dort wohnt seit dreissig Jahren eine gute Freundin der Familie, die aus Vlotho gebürtig ist. Meine Frau war schon dort, sie hatte den Zug genommen. Wir waren schon lange nicht mehr in der Stadt gewesen. Mit unserer quasi „einheimischen“ Führerin besuchten wir das historische Zentrum und das fast kitschige „Petit France“. Abends fand am Münster die Illumination „Le ballet des ombres heureuses“ statt, die mich in Ihrer Art sehr stark an „Der Hermann leuchtet“ erinnerte. Mit Analog war da ohne Stativ nichts zu machen, aber ich griff auf die in der Hinsicht bewährte M10 und Q zurück. In der warmen Sommernacht hatte sich eine grosse Menschenmenge vor dem Münster versammelt, die sich danach aber schnell verstreute, möglicherweise in die Unzahl von Bars und Restaurants.

Einges aus Strassburg, besonders empfehlenswert: Besuch der Kirche Saint-Pierre-le-Jeune, tolle Orgel, tolle Akustik (ich hörte dort die Probe für ein Konzert am nächsten Abend). Die Kirche ist ausserdem für ihre Wandmalereien und den Kreuzgang berühmt.

Wir blieben bis zum Wochenende in Straßburg und sahen uns nicht nur alte Gemäuer an, sondern auch die modernen Bauten der europäischen Einrichtungen, z.B. das Europaparlament oder den Europarat. Wie in Paris bewegten wir uns sehr viel mit dem Fahrrad, und das ging ausgezeichnet. Zurück in Vlotho begann gleich Samstagmorgen eine Woche Notdienst und ich muss sagen, zusammen mit dem, was natürlich nach drei Wochen Ferien auch in der Praxis aufzuarbeiten war, brachte mich das innerhalb weniger Tage (zumindest gefühlt) an den Rand des Burnout. Seit gestern früh bin ich erlöst, durfte heute endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen und war damit in der Lage, diesen Blog fertig zu stellen.

2 Kommentare

  1. schöner Reisebericht und tolle Bilder.
    Der analog touch gefällt mir gut…

    Matthias

  2. Lieber Claus,
    vielen Dank fürs Mitnehmen. In eine herrliche Gegend. Irgendwann steht Frankreich bei uns auf dem Plan, bisher war es meist der Norden. Und doch war ich bisher in fast allen Ländern Europas.
    irgendwie erinnert mich Eurer Südwest-Ausflug ein wenig an Gotland.

    Toller Reisebericht und tolle Bilder.

    Fast schade, dass bei VW die Camper CAlifornia anstatt Atlantic heißen:-)

    Lieber Grüß

    Kai

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