Überraschung zum Wochenende! Leica hat uns in seiner unendlichen Güte mit dem Firmware-Update ein neues Feature geschenkt: Eine „In-Camera Perspektivkorrektur“! Grandios… oder? Quasi „automatisch“! Ja, das ist ja genau das, wonach sich der typische M-Fotograf verzehrt, ‘ne Automatik, cool.
Ähm (hier imaginiere man einen zaghaft erhobenen Zeigefinger), war das nicht so, dass man bei Leica immer besonders stolz auf das schlanke Menü war? Wie war das nochmal mit dem Wesentl… (hust!). Kommen demnächst auch alle anderen Sachen, die man im Bildbearbeitungsprogramm mühelos erledigen kann, noch ins Menü? Gut, zugegeben, um an alptraumhafte Menü-Dimensionen von Fuji, Sony oder Panasonic ranzukommen, ist noch ein weiter Weg.
Wie wär’s zum Beispiel mit ‘ner Lächel-Erkennung? Wie, das geht nicht, weil die Kamera gar keinen Autofokus hat? Kein Thema, die Kamera gibt im rechten Moment einfach einen Stromschlag ab, der den Fotografen krampfartig den Auslöser betätigen lässt. Die Intensität kann im Menü festgelegt werden: Angeboten werden die Optionen a) pinkeln an den Weidezaun, b) Taser oder c) elektrischer Stuhl. Okay, das ist jetzt Missbrauch von Sarkasmus.
Trotzdem gab ich Leica erst mal den „benefit of the doubt“, lud die neue Firmware auf die M10-Monochrom und aktivierte die Funktion. Damit kann man sich schon mal von Wasserwaage und Histogramm (und Gitterlinien) verabschieden, die können dann nicht mehr angezeigt werden (grummel!) Da am Sonntag gutes Wetter war, machte ich einen Gang durch die Stadt und probierte aus, wie sich die Live-View Anzeige im praktischen Leben verhält. Ach ja: Den Messsucher kann man aus der Kamera ruhig ausbauen, den braucht man dann gar nicht. Na gut, bei weniger als 28mm Brennweite ist man sowieso auf Live-View zur Bildkomposition angewiesen, für das Testen der Perspektivkorrektur hatte ich das 21mm Super-Elmar vor der Kamera.
Nachdem ich unseren Kirchturm und das Rathaus (das einzige Hochhaus in unserer Kleinstadt) aus verschiedenen Entfernungen und Winkeln angepeilt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass der angezeigte Hilfsrahmen zumindest den Vorteil hat, einen Eindruck zu geben, ob man genügend Abstand vom Objekt hat, um später Korrekturen vorzunehmen, ohne wichtige Teile des Motivs abzuschneiden. Beim arbeiten mit Live-View ist mir die Kamera zweimal völlig eingefroren, ich musste den Akku entnehmen. Das hatte ich bei der M10-M vor dem Firmware-Update nicht ein einziges Mal, obwohl ich wegen meines Infrarot-Spleens ziemlich viel damit gearbeitet habe. Sollte man das in die Liste für das Update aufnehmen? Perspektivkorrektur, Objektivprofile und Deep-Freeze-Funktion implementiert?
Die „in Camera“ korrigierten Bilder werden als JPG übernommen und in der Bildrückschau angezeigt. Das wenigstens funktioniert. Bloß sind die Ergebnisse leider für die Tonne. Sie sehen gruselig aus.
Die durchgeführte Perspektivkorrektur hält sich sklavisch an senkrechte Linien im Verhältnis zur Waagerechten und den Bildrändern. Sorry, aber das ist vollkommen bescheuert. Selbst in dem Erklärvideo (starker Pony, alle Achtung!) von Leica sind Bildbeispiele enthalten, in denen die Bauwerke plötzlich eine unnatürliche Proportion bekommen. Anscheinend hat man bei Leica noch nie was von „Fluchtpunkten“ gehört. Ein hohes Gebäude verjüngt sich für den davor stehenden Betrachter nach oben, weil die oberen Stockwerke (surprise!) weiter weg sind. Wenn es sich nicht verjüngt, sieht das für mein armes Hirn so aus, als würde der Bau nach oben dicker. Wenn also der Architekt nicht zufällig „Herr Turtur“ heisst, entspricht das keinesfalls dem natürlichen Seheindruck.
Newsflash, Leica: Es gibt Linien, die nicht parallel verlaufen! Die Welt ist von Natur aus sogar krumm und schief. Oder wird demnächst der Globus auf dem Kreisverkehr vor dem Leitzpark gegen einen Welt-Würfel ausgetauscht?
Also: Was bringt mir die Funktion, wenn ich das in LR sowieso in Ordnung bringen muss? Die „Automatik“ ist total überkorrigiert. Und außerdem: Ist das ein Kartell mit Adobe? In Capture1 läuft das nämlich nicht, wie ich höre. In Lightroom allerdings auch nicht wirklich, siehe unten…
Wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen, die Fotos damit zu verhunzen, denn das DNG bleibt wie aufgenommen. Nur bei der Bildrückschau in der Kamera wird die korrigierte Fassung angezeigt.
Zuhause dann der Knaller: Lightroom weigert sich trotz passend (und nach Erklärvideo) veränderten Voreinstellungen standhaft, die Korrektur schon beim Import zu implementieren. Ein rascher Blick ins Leica-Forum zeigt mir, dass es allen M10-Monochrom-Besitzern so geht. Da ist wohl irgendein Timing mit dem Update von Adobe schiefgelaufen. Komisch, dass sowas immer Leica passiert. Wie damals, als die D-Lux7-DNG’s ohne Farbkanäle, also echt monochrom in LR ankamen. Anscheinend hatte bei Leica niemand jemals ein Raw aus der Kamera nach LR importiert. Die Kamera war frisch auf dem Markt, und kein Schwein konnte farbige DNG’s bearbeiten. Reife Leistung, sowas nicht vorher zu merken, Respekt!
Na egal, ich werde die Funktion sowieso wieder ausstellen, mich bei Architektur auf die Erfahrungswerte mit Wasserwaage und genügend Abstand stützen und dann ggf. mäßig in Lightroom nachkorrigieren, wie schon immer. Das Beitragsbild von unserer Eisenbahnbrücke bei Vlotho ist übrigens völlig ohne Korrektur gemacht. Das 21er Super-Elmar ist einfach ein Klasse-Teil.
Ein herrlicher Beitrag! Ich besitze „nur“ die M10 und habe mich geärgert wie Leica einfach die M10 user aussparen konnte vom Update zumal die Kamera immer noch neu verkauft wird. Nun ärgere ich mich nicht mehr 🙂
Ja, da kann man sich fast glücklich schätzen, nicht mit solchen unbrauchbaren Menüpunkten verwöhnt zu werden. Wenn dieses „in camera“-Feature wirklich brauchbar sein soll, muss es sehr viel stärker individualisierbar/einstellbar sein und dass würde das Menü deutlich aufblähen.
Da Leica offenbar eine Informationspolitik wie der Kreml betreibt, bleibt es anderen vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass die „normale“ M10 nicht in den zweifelhaften Genuss der Perspektivkorrektur kommen kann, weil die Hardware fehlt (sprich: Die Lagesensoren, die z.B. für die Wasserwaage gebraucht werden).
Tatsächlich gibt es ein Update auch für die M10, aber das beinhaltet nur die Firmware für die neu hinzugekommenen Objektive.
Viele Grüße,
Claus
Vielen Dank für die Erläuterung, und ja es wäre eine nette Geste gewesen von Leica das kurz online mitzuteilen warum das für die M10 nicht verfügbar ist. Zumal es diverse Features gibt die per firmware update die Funktionalität der M10 wirklich verbessern könnten wie Bastian K. auf phillipreeve.net in seinem review der M10 gut herausstellt.
Viele Grüße
Kay
Architekturfotografie mit der M10? Na klar, aber dann richtig!
Dafür verwende ich verwende das neue Laowa 15mm f4,5 Zero-D Shift (mit NIKON F Bajonett) plus Novoflex Adapterring LEM/NIK NT (Nikon F auf Leica M) mit hervorragenden Ergebnissen. Es bietet 11mm Shift und bietet damit die Verstellmöglichkeiten meiner guten alten 4×5″ Linhof.
Schöne Grüße
Harald Pohl
Das klingt äusserst kompetent! Vielleicht hätten die von Leica mal Fachleute wie Sie fragen sollen (im Ernst!), bevor die so einen Schwachsinn ins Netz stellen 🙂
Viele Grüße aus dem tief verschneiten Ostwestfalen,
Claus
ich hatte im letzten Jahr auch sehr damit geliebäugelt
aber:
gibt es nicht mit Leica M!
ich habe mich dann für das Laowa 14mm f4 FF Zero-D entschieden
weil:
es 114° abdeckt, das 15mm 110°
es nur 230gr wiegt, das 15mm 600gr plus Adapter
ich es mit original M Mount bekomme
es einen 52mm Filter nimmt, ohne Vignettierung! das 15mm mit der gewölbten Frontlinse geht gar nicht mit Filter
eine Nahgrenze von 27cm, das 15mm 20cm
Ich hatte auch mal gerechnet, wie viel das 15mm mit shift mehr kann, aber auch das hat mich nicht dafür überzeugt.
Das 14mm an der Leica M 246 ist winzig und ein Traum zu benutzen, meist mit Rotfilter
klick auf meinen Namen für die Bilder
VG Dierk
das sah ich eben bei
https://emulsive.org/articles/news/new-m-mount-lens-from-lomography-the-atoll-ultra-wide-17mm-f-2-8-art-lens
17mm/2.8 M Mount „The lens has a 103º field of view with (according to Lomography) minimal distortion and strong contrast“
aber bei einem Preis von 600$ würde ich lieber das Laowa 14mm nehmen
Hallo zusammen,
das hört sich interessant an. Frage jetzt speziell zum Marketing/Wording bei den Laowa-Linsen:
Ist Zero-D nicht etwas anderes als Shift. Sprich:
Mir geht es ja darum: Kann ich am Objektiv einstellen, WIE WEIT IN RICHTUNG senkrecht (Shift bis max +/-11 mm?) die stürzenden Linien sein sollen? Einfach immer nur senkrecht (Zero-D?) könnte ich ja gerade nichts mit anfangen, weil häufig unnnatürlich:
VG Andreas
Hallo Andreas,
Zero-D bedeutet keine (oder besser minimale) Distortion/Verzeichnung und hat nichts mit shift zu tun und dann natürlich auch nichts mit einer vertikalen Korrektur. Auch bei schräg aufgenommener Architektur machen sich ggf. die Verzeichnungen (wie z.B. bei Zoom Objektiven) stark bemerkbar.
Du kannst das bei Laowa nachlesen:
14mm f/4 FF RL Zero-D is a wide-angle lens designed for full frame mirrorless cameras. It features close-to-zero distortion(Zero-D) with 114° angle of view.
https://www.venuslens.net/product/14mm-f4-ff-rl-zero-d/
die Bildbeispiele auf deren Seite sind für mich nicht besonders geschickt gewählt, um die Verzeichnungsfreiheit zu zeigen.
Ich hatte seinerzeit das erste Objektiv mit dieser Technik, das 12mm Zero-D aus der Vorserienfertigung von Laowa zum Test und Vergleich mit dem 10mm und 12mm Voigtlander Heliar. Die Bilder in voller Auflösung zeigen gut, das die Technik funtioniert:
https://www.flickr.com/photos/dierktopp/albums/72157671449943775
VG Dierk
Hallo Dierk,
Danke für die geduldige Antwort. Das ist sehr hilfreich!
BG Andreas
Hallo zusammen,
also Grundsatzkritik bzgl digitalen Features ist ja in der Leica Community einfach zu äußern. Meine Leica MP (und die ist ja ihrerseits schon künstlich Retro) hat zB keine Wasserwaage, kein Gitter, kein Histogramm (nur einen leuchtendes Dreieck nach links oder rechts oder besser gar nicht), geschweige denn live view etc.
Wenn man dann mal „die Dogmatiker zur schönen Literatur stellt“ (Harnack), dann ist es Wurscht, ob etwas freiwillig in oder außerhalb der Kamera korrigiert wird.
IN der Kamera wäre in diesem Fall sogar vielleicht wirklich ein Vorteil bei der generellen Affinität des Systems zu kurzen Brennweiten und einem persönlichen Faible für Architekturfotografie.
Unfassbarer und völlig unbrauchbarer Mist ist dann aber tatsächlich, egal ob Dogmatiker oder Pragmatiker, dass Leica das tatsächlich binär programmiert hat, Hop oder Top, senkrecht und waagerecht oder gar nix. ERSTAUNLICH.
Liebe Grüße Andreas Berger
Ganz meine Meinung. Im Prinzip ist gegen „in camera“ nichts einzuwenden, aber das System muss flexibler einzustellen sein. Das wiederum bringt noch mehr Optionen ins Menü und schon bläht es sich weiter auf.
Was mich nach wie vor erstaunt ist, dass keiner bei Leica (wer auch immer die Software entwickelt und überwacht) gecheckt hat, dass die Perspektivkorrektur in dieser nicht regulierbaren Form völlig surreale Proportionen erschafft.
Viele Grüße,
Claus
Soll mal einer sagen, es gäbe keine unabhängigen Review:-)
Dinge, die die Welt nicht braucht aber unbedingt haben will. Herrlich. Dabei verkümmert in beschriebenem Fall vor allem DAS WESENTLICHE: Hinzuschauen. Wahrzunehmen.
Vielleicht bringt man bald eine Soneica auf den Markt….
Hinter vorgehaltener Hand, so sagte man mir aus erster Quelle, wa bisher übrigens die M240 die robusteste und unanfälligtse digitale Kamera aus Wetzlar. Wie war das noch mit dem Fortschritt? Ein Schritt fort….
Lieber Gruß
Kai
Haha, die Featuritis hat Leica erfaßt, in einer akuten Form aus meiner Sicht.
Wer eine M-Monochrome bedienen kann (focussieren), könnte eventuell auch in der Lage sein, in LR Perspektivkorrekturen vorzunehmen, könnte….
Ein andere Lösung wären mehrere Aufnahmen mit viel Platz an den Seiten und das Zusammensetzen in LR, wobei dann die Perspektivkorrektur quasi wie von allein erfolgt. Ganz Faule (ich) benutzen ein Tilt/Shift-Objektiv, das dann allerdings nicht an einer Leica und führen so das Fotografieren schon fast ad absurdum. Wobei es bei diesen Objektiven keinen AF gibt und die Focusringe nicht mal annähernd die Haptik eine L-Objektives haben, sprich geschätzte 0,05° Drehung verlagern die Focusebene um gefühlte 20 m.
Ich weiß allerdings nicht, ob es für eine M auch derartige Objektive gibt.
Claus, Du schaffst das….. ein Firmware-Update müßte sich doch auch rückgängig machen lassen, oder?
Viele Grüße aus der Pfalz,
Dirk
Hallo Dirk,
ich stimme dir zu, für ernsthafte Architektur-Fotografie nimmt man ein Tilt/Shift, das ist das ultimative Werkzeug. Keine Ahnung, ob es was für Leica-M gibt (würde mich nicht wundern, warum nicht?), denn ich hatte in der Hinsicht nie gesteigerte Ambitionen.
Das gesagt, kommt die eine oder andere Aufnahme von Bauwerken schon auch für mich in Frage. Bei uns in Herford gibt’s zum Beispiel das „Marta“ von Frank Gehry, was mich gleich erinnert, dass die Fondation Louis Vuitton (vom gleichen Architekten) in Paris auch faszinierend abzulichten war. Falls es dann überhaupt nötig ist, war die leichte Perspektivkorrektur im LR kein Problem. Der neue Menüpunkt ist in der Tat so überflüssig wie ein Nagel im Kopf.
Ich habe aber nicht den Ehrgeiz, das Update rückgängig zu machen, den einen Punkt kann ich ignorieren. Und falls das mit dem Einfrieren zum Ärgernis wird, kommt hoffentlich genug Druck für ein Bugfix zustande (wenngleich die Mühlen bei Leica in der Hinsicht extrem langsam mahlen).
Viele Grüße,
Claus
Hallo Dirk,
die Canon TS-E Objektive kann man an der Leica verwenden.
2013 habe ich das 17mm an der damals neuen M9 benutzt. Dazu habe ich bei the.me einen Artikel mit sehr vielen Beispielen veröffentlicht:
EOS Adapter für die Leica gibt es, die sind aber natürlich rein mechanisch und helfen natürlich nicht bei der elektronischen Blende der TS-E Obektive. Das lässt sich aber mit einem Trick lösen. Dafür habe ich mir eine defekte alte EOS besorgt (gratis von Canon Service!). An der EOS blendet man das Objektiv auf die gewünschte Blende ab und nimmt es dann bei gedrücktem Abblendknopf heraus. So bleibt die eingestellte Blende erhalten und du kannst sie beliebig an der Leica verwenden. Wenn du mal eine andere Blende nehmen willst (warum auch), musst du das dann noch einmal machen. Du fokussierst dann natürlich immer mit der Arbeitsblende, aber das kenne wir ja bei Leica. Bei shift ist es auch kaum ein Problem, eher bei tilt Einsatz. Da könnte aber das focus peaking helfen, das es in der M9 natürlich nicht gab.
Inzwischen nutze ich die TS-E Objektive jedoch nur noch an der Sony mit einem elektronischen Adapter, der das Objektiv vollkommen unterstützt.
VG Dierk
Hallo Herr Sassenberg,
mit der M10 bin ich ja von diesen Dingen befreit! Zum Glück…
Aber es ist immer wieder eine Freude Ihre Berichte zu lesen. Sehr oft konnte ich diese auch sehr gut nutzen.
Vielen Dank dafür!!
Bin schon gespannt was Sie zum neuen Nocti vom Stapel lassen..
Grüße aus Wassenberg Dietmar Grünter
Hallo Herr Grünter,
Danke für’s Lob, und zum Nocti kommt noch was, aber nicht ganz so sarkastisch wie zum Firmware-Update…
Viele Grüße,
Claus Sassenberg