Fuji-san trifft Oma Elmar auf Tinder
Meine 81 jährige Omi aus Hessen, Frau Nickela Elmar, hat einen neuen Gespielen. Fuji-san ist ein knackiger junger Mann mit unwiderstehlicher Kraft, Intelligenz und hybridem Sehvermögen direkt aus dem Computerzeitalter. Omi hatte immer schon einen vielschichtigen Geschmack. Sie traf ihn auf Tinder.
Mit ein bisschen Hilfe unseres alten Freundes Silver Efex kommt Leben in Oma Elmar, ein Jungbrunnen für sie. Sie hat so viel Tiefenschärfe, dass meistens nicht mal Fokussieren notwendig ist, speziell nicht für Street-Fotografie. Dies war eine typische „reiss-die-Kamera-hoch-und-drück-ab“ Komposition, aber der Zonen-Fokus nagelte die Details auf den Punkt, wie man in der Vergrösserung unten sehen kann.
Kann sie mit Fujis jugendlicher Energie Schritt halten? Das musste ich herausfinden. Also machte ich ein Paar aus ihnen und nahm sie für die Flitterwochen mit auf eine Runde durch das bedeckte, sonntägliche London (Bedeckt war Zufall, aber Omi neigt im Sonnenlicht zu Blendenflecken. Sie braucht eine neue Haube). Es ist schon lange her, seit sie mit dem brummigen Opa Hektor ihre ersten Flitterwochen verlebte, kurz vorm Krieg.
Oben: Ein Besuch bei „The Rutland Arms“ inklusive einer Low-Light-Aufgabe für das alte Mädchen
Wakai Fuji war von den alten Brennweiten etwas irritiert: „Maji kayo Oba-chan“, sagte der junge Fuji, „ich dachte, du wärest ein 35mm und jetzt sagst du, du seist 3,5cm?“ Ich musste ihm erklären, dass man in Omas Jugend Zentimeter gebrauchte, denn Fuji war mit Millimetern grossgeworden. Noch verwirrender ist, dass Omi sich zu einem 5cm (50mm in moderner Auffassung) entwickelt, wenn sie sich mit dem japanischen jungen Mann, äh… , verbindet. Das war am Anfangs alles etwas verwirrend.
Aber jetzt mal im Ernst. Warum würde irgendjemand, solange er sich geistiger Gesundheit erfreut, ein 81 Jahre altes, vernickeltes 3,5cm Elmar auf das Fuji Flaggschiff, die X-Pro 2, klatschen? Naja, mal abgesehen davon, dass meine geistige Gesundheit tatsächlich zweifelhaft sein könnte, tat ich es, weil ich es konnte! Da ist ein riesiges Arsenal von alten und modernen funktionsfähigen Leica-Objektiven da draussen, nicht zu vergessen die M-Bajonett-Objektive von anderen Herstellern, die nur darauf warten, entdeckt und benutzt zu werden.
Oben: Der Teufel steckt im Detail. Diese Vergrösserung zeigt, dass im Elmar noch einen Menge Leben steckt.
Frau Elmar braucht natürlich einen Adapter, eigentlich zwei, weil sie noch Schraubgewinde (LTM) hat. Ein dünner Ring liefert das M-Bajonett, der Fuji X-M-Adapter verbindet sie mit dem jungen Mann aus Fernost.
Ich wandele auf dünnem Eis, darum lasse ich die gezwungene Analogie mal fallen.
Also, ich tat es, weil ich es konnte, aber auch weil es Spass macht und ich ein neugieriger Charakter bin, der sich schwierige Fragen stellt und dann loszieht, um die Antwort zu finden.
Warum baut man ein 81 Jahre altes Teil auf eine moderne Kamera? Natürlich, weil es geht! Das alte Elmar hat eine einzigartige Zeichnung. Obwohl ich an alte Objektive gewöhnt bin, hat mich dieses überrascht.
Was ich herausfand? Erstens, obwohl die Linse so tut, als sei sie eine 50mm-Brennweite, wenn man sie vor einen APS-C-Sensor baut, verhält sie sich mehr wie ein Weitwinkel-Objektiv. Sie hat so eine mörderische Tiefenschärfe, besonders bei f/5.6 oder f/8, dass die Focus-Peaking Funktion der Fuji die meiste Zeit total durchdreht. Das ist ein nettes kleines Objektiv für Street-Fofografie. Wenn man sie auf zwei, drei Meter Entfernung einstellt, hat man die Leute vor sich und den Mars im Fokus.
Es ist trotzdem eine gute Idee, das hintere Einstellrad zu drücken, um das vergrösserte Sucherbild zu bekommen. Fokus-Peaking ist nämlich teilweise überfordert und behauptet, alles sei im Fokus, obwohl es das offensichtlich nicht ist. Für exaktes fokussieren bei f/3.5 ist es am besten, bei Vergrösserung nach Augenmaß einzustellen.
Weiche Ecken? Mein Kollege William Fagan gibt hierzu die stichhaltige Anmerkung, dass ältere Objektive zwar oft darunter leiden, aber das Problem durch den Gebrauch zusammen mit Crop-Sensor-Kameras wie der Fuji X-Pro 2 vermieden wird. Ich habe nun im Sinn, Omi zusammen mit der M-P auszuführen, um zu sehen, ob es einen grossen Unterschied gibt.
Man sehe sich die folgenden sechs Bilder an. Die ersten drei sind mit dem neuen 35mm f/2 Fuji-Objektiv gemacht, die letzten drei mit dem Elmar. Es ist sicher weicher als das moderne Objektiv, aber zeigt alles in allem eine exzellente Abbildungsleistung. (Alle Bilder Velvia, JPG)
Die zwei Bilder oben sind nun unveränderte RAW-Bilder. Das erste mit dem Fujinon 35mm f/2, das zweite das Ergebnis mit dem Elmar. Das Elmar ist wie erwartet sichtbar weicher, während die moderne Linse besser mit den entfernten Details umgeht. Die Bilder sind an unterschiedlichen Tagen gemacht, darum gibt es Abweichungen in den Farben des Himmels. Rückblickend würde ich sagen, dass die Velvia-Einstellung, die man in den sechs Bildern weiter oben sieht, nicht so gut für das Elmar geeignet ist. Man achte auf den Blaustich in Himmel und Wasser (in den drei oberen Elmar-Velvia- Bildern), was auch mein Leser Stephen Jenner beobachtete. Das ist bei der RAW-Datei nicht zu beobachten, manuelle Bearbeitung hätte also ein besseres Resultat ergeben.
Wenn man die klinisch reinen Bilder moderner Linsen von Fuji oder Leica gewohnt ist, wird man von Oma Elmar überrascht sein. Sie kommt aus einer Zeit, als man Weichheit wertschätzte. Sie ist nicht vergütet, bei hellen Lichtverhältnissen kommt es schnell zu Blendenflecken. Im übrigen liebt sie das neue Dunst-Entfernungs-Werkzeug in Lightroom.
Aber das heisst nicht, dass das nicht ein superbes kleines Objektiv ist. Richtig angewandt erzeugt es atmosphärische und attraktive Bilder. Bei kleinen Blenden ist es überraschend scharf.
Träumerische Fluss-Szene, gemacht mit dem alten Elmar. Da ist definitiv ein nostalgischer Look, insbesondere in Schwarzweiss. Dies ist ein JPG mit Standard-S/W-Einstellung aus der Kamera.
Es hat noch einen andere wichtige Eigenschaft. Es ist winzig. Anders als das 5cm Elmar, das versenkbar ist und zum Gebrauch herausgezogen werden muss, ist das 3,5cm fest. Selbst auf der Fuji mit dem Adapter (der fast so tief ist wie das Objektiv selbst) ist es sehr klein. Auf einer Leica M wird es unsichtbar. Wenn man seine M240 wie eine Kompakte Leica II oder III aus Omis Zeiten präsentieren will, muss man sich eins von den Dingern schnappen.
Dazu sind diese Objektive relativ günstig und verlieren keinen Wert. Wenn überhaupt, steigen sie im Preis, so man sie denn gut behandelt. Diese vernickelte Elmar ist wertvoller als das gebräuchlichere verchromte Modell, das man für etwa £250 bekommt. Dieses kostete £350 bei Red Dot Cameras. Es kostete 1935 £9 und die Chrom-Version £9.5s0d.
Dieses Objektiv ist Mini. Wenn man sonst von „Pancake“-Objektiven spricht, ist dies ein Crêpe. Auf der Fuji ist es wegen des Adapters größer, aber auf der Leica verschmilzt es mit dem Gehäuse. Es macht die Kamera fast Manteltaschen-tauglich. Und die Ergebnisse sind nicht schlecht für ein altes Mädchen im neunten Jahrzehnt.
Originalartikel erschienen bei Macfilos am 21.März 2016
Übersetzt von Claus Sassenberg
Ja, die alten Schätzchen sind durchaus noch brauchbar. Ich verwende auch immer wieder gerne Leica-Objektive aus der Vorkriegszeit an meiner Sony A9. Was allerdings die Tiefenschärfe angeht: Ein 35mm Objektiv ist ein 35mm Objektiv. Es ist weder weitwinkliger als ein anderes 35er noch hat es mehr oder weniger Tiefenschärfe bei der gleichen Öffnung. Es kann höchstens sein dass die Schärfenebene nicht plan sondern gekrümmt ist. Aber deswegen ändert sich die Tiefenschärfe nicht.