„I think this is the beginning of a beautiful friendship.“
Casablanca
Update, 21.01.2023: Ein Erfahrungsbericht mit der Kamera über das ganze Jahr findet sich hier.
Wenn die Flitterwochen vorüber sind, zeigt sich erst danach, was eine Beziehung wert ist. Und im Fall der Leica M11, ob all die „bells and whistles“ für den alltäglichen Gebrauch einen Nutzen bringen. Nach einem knappen halben Jahr mit der Kamera und einer großen Bandbreite von Belichtungs-Bedingungen kann ich das jetzt besser beurteilen als beim initialen „Hands on“.
Wobei… „bells and whistles“ bei Leica ungefähr so sind, als wenn man ein Ford „Modell T“ mit Bremslicht und Blinkern ausstattet. Obwohl jetzt ja DxO den Sensor der Leica M11 im Ranking ganz hoch eingestuft hat. Für die Leica-Basher bricht alles zusammen. Huh, eine Leica ganz weit oben. Verkehrte Welt. Go figure.
Dabei ist es zwar schön, wenn eine Kamera einen guten Sensor hat, aber das DxO-Ranking ist nicht das Evangelium. Auch als digitale M-Leicas noch nicht von DxO selig gesprochen wurden, war es mir wichtiger, was um den Sensor herum gebaut war und durch welches Glas die Photonen einen Kopfsprung in die Pixel-Wells machten.
Fluch und Segen der Auflösung
Bisher war es so, dass man jedes neue Leica-M-Modell nahm, die Bedienungsanleitung verbrannte, das Zeitenrad auf „A“ stellte, ein Blende wählte und abdrückte (fokussieren wär noch nett, wenn man kein Nur-Bokeh-Fetischist ist), aber bei der Leica M11 kann man sich da vertun. Ein bisschen Konzentration bei der Wahl der Belichtungseinstellungen ist angesagt bei 60 MP und nativer ISO von 64, wenn nicht immer die Sonne scheint oder die Blende weit offen ist.
Anfänglich habe ich mit der Einstellung der automatischen Belichtungszeit vom reziproken Wert der vierfachen Brennweite eher überkompensiert. Und das hat dieses erste halbe Jahr auch gezeigt: So pauschal ist das gar nicht nötig. Es hängt mehr von der Brennweite selbst ab. Bei Objektiven von 35mm und darunter kann man entspannter bleiben, aber ab 50mm und mehr muss man sich entweder Curare injizieren oder die ISO hochschrauben, um adäquate kurze Zeiten zu erreichen. Alternativ kann man natürlich auch später den 28″-Monitor und LR im 100%-Modus verfluchen, die die verschmierten Pixel offenbaren.
Es gibt noch einen Aspekt der Pixel-Inflation, die die Leica M11 in eine „belle Dame sans Merci“ verwandeln: Nachlässiges fokussieren rächt sich gnadenlos durch unerwünschte Zerstreuungskreise an nicht vorgesehenen Stellen im Bild. Aber nicht missverstehen: Unschärfe wegen fehlfokussieren ist nicht warscheinlicher als mit jeder anderen M, sie tritt nur beim Pixel-peeping deutlicher zutage.
Das alles gesagt bleibt (mal wieder) anzumerken, dass für ein gelungenes Foto das Kriterium der technischen Brillanz nicht an erster Stelle steht. Sollten die zuvor beschriebenen Makel in einem gewissen Rahmen bleiben, fällt das bei Betrachtung des ganzen Fotos gar nicht auf. Für Schnappschüsse auch bei höchster Auflösung ist die M11 ebenso tauglich wie alle ihre Vorgänger.
Der Benefit der Sache ist natürlich die extreme Crop-Fähigkeit der Bilder. Erwin Puts rechnet uns vor, dass man für einen Print von 20x30cm mit 300dpi ca. 8 MP braucht. Was der Sensor der Leica M11 ausspuckt, kann man folglich vielfach zerlegen. Und auch damit habe ich mich mehr angefreundet, als ich gedacht hätte.
Ich bin in den letzten Jahren immer mehr zum „one lens, one camera“-Typen mutiert. Auch schon mit 24 MP reichte mir bei Wanderungen oder Radtouren ein 28- oder 35mm-Objektiv, weil ich keine Lust hatte, die Fototasche mitzuschleppen (um hinterher festzustellen, dass ich sowieso nur ein Objektiv benutzt habe). Der Stand der Dinge ist jetzt, dass ich bei der hohen Auflösung noch mehr als früher immer nur entweder das 28er Elmarit, 35er Ultron oder das Contax G45 mitnehme. Bei einem langen Wochenende auf Sylt (Familientreffen) neulich hatte ich zum Beispiel nur die M11 mit dem 35er Ultron dabei. Will ich wirklich für absolut alles gerüstet sein, stecke ich zusätzlich das 90mm Macro-Elmar ein, und dabei bleibt’s.
Bei Events, Konzerten, Hochzeiten oder ähnlichen Veranstaltungen greife ich die kleine Hadley-Digital-Fototasche mit einer an die Gelegenheit angepassten Auswahl von 2-3 Objektiven und freue mich über das dennoch geringe Packmass. Vor kurzem besuchte ich in Bielefeld die „Nachtansichten“, u.a. eine Illumination der Innenstadt, die viele Hobby-Fotografen anzieht. Da konnte ich mal wieder staunen, mit was für gigantischen Fotorucksäcken (und Stativen!) man sich geisseln kann. Okay, das kommt leicht arrogant rüber, aber jede zeitgenössische Fujicanikonsony kann doch mit ein oder zwei lichtstarken Festbrennweiten ebenso gut arbeiten? Ausser, dass ich persönlich keine Lust hätte, mich mit den multifunktionellen Kästen zu beschäftigen. Ich hatte jedenfalls das 35er Summilux und das 21er Super-Elmar mit.
Aber wenn wir schon von Features reden, halte ich es nach wie vor für genial, dass man die Auswahl zwischen drei Auflösungsstufen im RAW-Format hat. Mir fällt kein Zacken aus der Krone zuzugeben, dass ich die Option L-DNG viel häufiger benutzt habe, als ich das selbst erwartet oder postuliert hätte. Ich muss mich manchmal selbst zurückpfeifen und mir klarmachen, dass 36 oder 18 MP für bestimmte Gelegenheiten mehr als ausreichend sind. Schliesslich ist die Hemmschwelle, das blitzschnell umzustellen total niedrig. Das neue Schnellauswahlmenü macht’s möglich.
Diverse Unterschiede zu früher
Was hat sich in den letzten Monate in Bezug auf die Änderungen der Hard- und Software gegenüber den M10-Modellen gezeigt?
Der interne Speicher ist ein echter Gewinn, viel mehr, als ich anfänglich geglaubt habe. Nicht nur, dass man bei wichtigen Shootings ein Backup erzeugen kann. Im Normalfall lasse ich alle DNG’s (ohne Backup) auf die Speicherkarte schreiben (ich mache eh nur DNG’s), aber wenn die voll ist, muss ich nicht zu unpassender Zeit die Karte wechseln, sondern drücke fröhlich weiter den Auslöser, bis ich die Karte wechseln kann. Ist durchaus vorgekommen.
Bei einer anderen Gelegenheit im Skiurlaub hatte ich morgens eine defekte SD-Karte eingelegt. Die Kamera ignorierte sie und schrieb alles auf den internen Speicher. Das merkte ich erst, weil ich mich über die plötzlich unverhältnismässig lange Startup-Zeit der Kamera aufregte. Der Grund war, dass die Kamera jedesmal die Speicherkarte prüfte, für Schrott befand und den internen Speicher automatisch aktivierte. Ehre sei der Kamera, sie konnte nichts dafür! Im Gegenteil, der Skitag konnte trotzdem dokumentiert werden.
Übrigens war da ganz mieses Wetter, dickes Schneegestöber und arktische Temperaturen. Hat der Kamera nichts ausgemacht, aber das war bei der M10 auch keine Thema. Trotzdem würde ich das Schicksal nicht durch übertriebene Exposition gegenüber den Elementen herausfordern. Es gibt auch keine verlässlichen Angaben von Leica, weder zur M10 noch jetzt zur M11. Und die Objektive sind vermutlich bei Nässe ein größeres Problem als die Kamera.
Was die Konnektivität betrifft, muss ich leider zugeben, dass ich dazu nicht viel sagen kann. Ich bevorzuge es weiterhin, die Speicherkarte in den iMac, das Macbook oder Lesegerät des iPad Pro zu stecken und direkt in LR zu importieren statt in Leica-Fotos, obwohl ich festgestellt habe, dass das viel müheloser funktioniert als früher.
Nach wie vor vermisse ich die Bodenplatte überhaupt nicht. Und der Akku ist ein Monster. Ich schaffe es nicht, ihn an einem Tag zu leeren, soviel muss ich einfach nicht fotografieren. Die „Ladegewohnheiten“ haben sich auch geändert. Das separate Ladegerät verstaubt in der Schublade, bei Bedarf stöpsele ich die Kamera direkt ans Ladegerät meines iPad Pro. Nebenbei eine kleine Gepäckerleichterung bei Reisen.
Die drei frei belegbaren Knöpfe (Daumenrad, Knopf oben re neben dem Auslöser und FN-Knopf li neben dem Monitor) verändere ich nie, um mich nicht zu verwirren. Das ginge im Bedarfsfall ziemlich schnell (ein längerer Druck reicht, um die Auswahl aufzurufen), aber für meine Bedürfnisse ist die Funktion des oberen Knopfs als Fokussierhilfe, des Daumenrades für die Einstellung der Belichtungs-Korrektur und des FN-Knopfes für Live-View ideal. Durch das Schnellauswahlmenü kommt man sowieso flott an alles andere. Rein ergonomisch finde ich übrigens den Knopf oben rechts neben dem Auslöser wesentlich besser zu erreichen als zuvor auf der Frontseite.
Die Nemesis der Systemkameras ist Staub auf dem Sensor. Die M11 ist da leider auch keine Ausnahme (im Absatz zum Verschluss gibt’s da noch was anzumerken). Warum man sich entschieden hat, den Menüpunkt „Stauberkennung“ ersatzlos zu streichen, kapier ich nicht. Auch bei der M10 musste ich regelmässig Staub entfernen und da war diese Funktion zur Darstellung der Verschmutzung echt hilfreich. Jetzt ist man wieder zurück zur kleinen Blende, defokussieren, Foto machen und absuchen des Monitors bei der Bildrückschau.
Praktisch und viel übersichtlicher hingegen ist, dass man nun bei manueller Objektiv-Wahl nur noch die Modelle präsentiert bekommt, die man benutzt.
Die Möglichkeit des elektronischen, und damit absolut geräuschlosen Verschlusses ist eine brauchbar Ergänzung. Es kommt nicht selten vor, dass ich Musiker bei klassischen Konzerten ausschliesslich mit elektronischem Verschluss fotografiere. Gewöhnlich stelle ich sonst den Verschlussmodus im Menü auf „Hybrid“, der elektronische Verschluss setzt ein, sobald das vorhandene Licht die 1/4000s des Schlitzverschlusses überfordert. Aber Vorsicht: Die noch kürzeren Belichtungszeiten eignen sich nicht, ultraschnelle Bewegungen einzufrieren, da die tatsächliche Auslesezeit des Sensors viel länger ist und zudem Zeilenweise erfolgt. „Rolling Shutter“ wird dann zum Problem.
Leica hat mit einem Firmware-Update auch eine neue Belichtungs-Messmethode eingeführt, nämlich „helle Bereiche betont“. Eine Variante der Mehrfeld-Messung, bei der die Software bei Auswahl von Zeit und ISO die Highlights stärker berücksichtigt. Das hat man früher durch Betrachtung des Histogramms und verstellen der Belichtungs-Korrektur erreicht. Ich hatte die Messmethode jetzt einige Wochen im Einsatz. Durchaus hilfreich, aber man sollte trotzdem nicht alles, was dabei herauskommt, blind übernehmen. Die Nachteile der Objektmessung bleiben eben bestehen. Gelegentlich neigt die Software zum „überkompensieren“ und mehr unterbelichten, als nötig muss im Sinn von ETTR wirklich nicht sein.
Über die Perspektiv-Korrektur habe ich genügend abgelästert, da hat sich auch nichts an meiner Meinung geändert.
Bluetooth und Geotagging soll durch Firmware in der zweiten Hälfte von 2022 kommen.
Low-Light und hohe ISO
Von Anfang an war schnell festzustellen, dass die M11 gegenüber der M10, mit der ich in der Hinsicht bereits sehr zufrieden war, nochmal 1-2 Blenden drauflegt. Mittlerweile habe ich die Obergrenze der Auto-ISO-Einstellung bei 25000 festgelegt. Entsprechend bleibt bei Low-Light Aufnahmen aus der Hand eigentlich kein Wunsch offen, wenn dann auch noch ein Summilux vorne drauf steckt. Ferner hat sich gezeigt, dass die theoretische Überlegung, die Auflösung für High-ISO herunterzustellen, in der Praxis wirklich keine Rolle spielt. Geringere Auflösung muss jedenfalls nicht zur Rauschminderung gewählt werden, vielleicht aber, um bei den naturgemäss längeren Zeiten die Verwackelungsgefahr bei Bildern aus der Hand einzuschränken.
Die Wärmeentwicklung der Kamera ist offenbar gering, weshalb sehr lange Belichtungszeiten möglich sind (bis zu 1h), ein Plus für die Astrofotografen (mit dem nötigen Equipment der Nachführung). Der eigentlich Low-Light und High-ISO-King bleibt weiterhin die M10-Monochrom.
Der Visoflex 2
Vorweg: Die Leica M11 definiert sich durch den Messsucher und für schnelles Fokussieren ist dieses optisch-mechanische Instrument unübertroffen. Wer damit umzugehen gelernt hat (leider ist zumindest ein gutes Auge die physische Voraussetzung), kann damit präzise die Entfernung einstellen. Systembedingt wird das bei zunehmender Brennweite schwieriger.
Ups, was ist denn das für ein Geschwür auf der Kamera? Die M11 mit dem Visoflex 2. Der Ostwestfale als geborener Diplomat antwortet, befragt zu Dingen, die er im Grunde genommen abscheulich findet: „Mmmh, wo’s hinpasst.“ Würde ich hier auch anwenden… da ist der analoge Spiegelsucher deutlich hübscher. Leider kann man mit dem um’s verrecken nicht fokussieren und der Informationsgehalt des EVF ist einfach besser, hochklappen kann man ihn auch…
Da haben wir schon zwei Punkte, wo der Visoflex ins Spiel kommt. Dass die elektronische Variante des Aufstecksuchers potthässlich ist (in jeder Reinkarnation über die Jahre), sei dahingestellt. Er ist halt nützlich. Zum einen für die Liebhaber des M-Systems, die aufgrund eingeschränkter Sehkraft den Messsucher nur schwer nutzen können aber doch nicht auf eine M verzichten wollen. Der Dioptrienausgleich hilft auch. Zum anderen, weil der Visoflex lange Brennweiten leichter fokussieren lässt.
Der Visoflex 2 beseitigt die Limitationen des Systems weitgehend und er hat auch endlich eine angemessene Auflösung. Sehr kurze oder lange Brennweiten oder fehlende Koppelung des Objektivs kein Problem. Live-View über den Monitor geht durchaus auch, aber erstens ist er bei Sonne schwieriger zu sehen, zweitens ist es nicht besonders elegant, die Kamera ständig wie ein Baby mit einer stinkenden Windel vor sich zu halten. Ach ja: Da der Visoflex sich aufklappen lässt, ermöglicht das eine flexiblere Positionierung des Fotografen zum Motiv.
Wann kommt er bei mir zum Einsatz? Meist bei Landschafts-, Makro- oder Architektur-Fotogafie, wenn es auf den exakten Bildausschnitt ankommt. Natürlich wie erwähnt für den Weitwinkel- oder Telebereich. Oder, wenn es selbst für den Messsucher zu dunkel zum fokussieren wird. Für die R-Objektive, die ich besitze, oder Fremdobjektive ohne Koppelung zum E-Messer. Schön ist auch neuerdings (Firmware-Update) die Option, den Visoflex 2 an meiner M10-Monochrom (oder an den anderen M10-Modellen) zu benutzen. Denn da kann ich ihn bestens für’s exakte Fokussieren bei Infrarot-Fotografie gebrauchen, da der Messsucher für infrarotes Licht nicht justiert ist. In dem Zusammenhang: Ein paar Probefotos zeigen mir, dass sich die Leica M11 mit einem Infrarot-Durchlassfilter RG715 durchaus für handgehaltene Infrarot-Fotografie eignet. Die M10-M ist allerdings erste Wahl, da stört kein Bayer-Filter.
Drei Infrarot-Bilder aus der M11. Die Dateien können in LR auch Monochrom bearbeitet werden, aber da sind sie den Bildern aus der M10-M qualitativ unterlegen. Wenn man schon Infrarot mit einem Farbsensor macht, kann man auch mit Lichttemperatur und Tönung tricksen.
Der offene Verschluss
Zu Beginn habe ich es mehr oder weniger mit Schulterzucken zur Kenntnis genommen; bei allen anderen spiegellosen Kameras ist es ja auch so: Der Verschluss geht beim einschalten der Kamera auf, Live View ist permanent.
Aber bei allen Vorgängermodellen gibt es den „echten Messsuchermodus“. Wenn „Live-View“ nicht benötigt wird, öffnet sich der Verschluss nur für’s Foto genau einmal, getreu analoger Tradition. Die Belichtungsmessung bei dem Modus erfolgte (bis zur M10) über einen Messung der Reflexion auf den Verschlusslamellen. Diese Methode, die es seit den analogen Modellen gibt, wurde oft ins lächerliche gezogen als „viel zu ungenau“. Speziell mal wieder Leute, die noch nie eine Messsucherkamera in der Hand gehabt hatten, amüsierten sich köstlich über die elitären Snobs, die superteure Kameras mit Steinzeittechnik benutzten. Zu Zeiten der M8 und M9 war das Thema bei Trollen besonders beliebt.
Ich nehme an, um von diesem „Makel“ der Uralt-Messmethode loszukommen, hat man in irgendeiner Teamsitzung beschlossen, den ursprünglichen Messsuchermodus zu knicken. Möglicherweise, um Kritiker zu Schweigen zu bringen, die sowieso nie in Erwägung ziehen würden, eine Leica-M anzufassen. Nur mal nebenbei: Diese antiquierte, simple mittenbetonte Messung funktionierte immer wunderbar! Der Witz ist doch: Selbst bei der tollsten Mehrfeldmessung muss sich der Fotograf Gedanken machen, wie das Motiv reflektiert, wie die Highlights oder sehr dunkle Bereiche verteilt sind und auf was er im Bild eigentlich Wert legt. Zum Glück bleibt mir die Sache bei der M6 und M10-M erhalten.
Der Verschluss immer geöffnet – das empfindlichste Bauteil der Kamera immer exponiert! Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bedauere ich, dass man diesen Vorteil gegenüber allen anderen Spiegellosen Kameras, den die Anwesenheit des optischen Suchers möglich macht, aufgegeben hat. Quasi ein Rückschritt der Evolution.
Also ist die M11 gezwungen, für jedes Foto den Verschluss doppelt zu betätigen. Doppelter Verschleiß, längerer „Shutter-Lag“. Aber selbst wenn der Verschluss robust ist und megalange funktioniert und der Shutterlag mit ein paar hundertstel Sekunden weiter nicht relevant ist, bleibt es immer noch dämlich. Das kann mir keiner bei Leica erzählen, dass man sich nicht mehr Dreck auf dem Sensor einfängt. Ich krieg jedesmal ’ne Krise, wenn ich durch das M-Bajonett auf den blanken Sensor starre. Mittlerweile habe ich mir anerzogen, vor jedem Objektiv-Wechsel die Kamera auszuschalten. Über sowas musste man bis zur M10 nicht nachdenken.
Das Mindeste, was Leica tun kann, um das Problem abzumildern: Firmwareupdate. Die Kamera merkt ja, wenn kein Objektiv davor ist, dann sollte der Verschluss automatisch zugehen. Den alten Messsuchermodus kann man hingegen nur wieder herstellen, wenn man bei künftigen Modellen (M11-P?) die entsprechende Hardware (reflektierende Lamellen und Messzelle im Gehäuse) wieder verbaut.
Unterm Strich
Und wenn diese Geschichte mit dem offenen Verschluss nicht wäre (und darum Abzüge in der B-Note), würde ich sagen: Die Leica M11 ist auf der Höhe der Zeit! Der Sensor ist mega, die Benutzeroberfläche gut durchdacht und viele punktuelle Verbesserungen der Hard- und Software machen in der Summe eine Menge aus. Dabei bleiben die traditionellen Vorteile des M-Systems bestehen, vor allem die Kompaktheit der Ausrüstung und die unendliche Abwärtskompatibilität der Objektive. Und der „Charakter“ von Vintage-Objektiven bleibt auch bei 60 MP in vollem Mass erhalten, selbst wenn die Auflösung für manche Linsen overkill ist (tatsächlich sind die meisten überraschend gut).
In den letzten Monaten hat mich die M11 bei allen möglichen Gelegenheiten begleitet, im Skiurlaub, bei Wanderungen, Radtouren (auch mit dem Rennrad), Familienfeiern, Konzerten, Friedensdemos, einer Hochzeit und diversen andere Events. Kein einziges Mal hatte ich das Gefühl, mit ihr nicht gut ausgerüstet zu sein für den jeweiligen Job. Was meine persönliche Bandbreite an fotografischen Ereignissen betrifft, bin ich mit der Kamera bestens bedient. Das mag ein Fotograf, der Tätigkeitsfelder abdeckt, die schnellen Autofokus und/oder lange Bennweiten erfordern, ganz anders sehen. Und warum auch nicht, die Ausrüstung muss dem Zweck gerecht werden.
Die Leica M11 ist eines der ultimativen Bilderstellungswerkzeuge mit Mittelformat-Ambitionen. Trotzdem steht gerade meine M4 vor mir auf dem Schreibtisch und wartet auf den nächsten Film. Vielleicht geht es nur mir so, aber gegen die „Vibrations“ von so einer analogen M fühlt sich die digitale Ausgabe sehr prosaisch an.
P.S. 25.05.22: Mike Evans sandte mir gestern einen Link zu einem interessanten Interview mit Stefan Daniel. Unter anderem fand ich eine Aussage signifikant: „Solange ich bei Leica noch etwas zu sagen habe, wird es keine M ohne Messsucher geben.“
Soviel zu Gerüchten über eine M11 nur mit EVF.
Hatte in meiner Jugend das Vergnügen mit einer M4 samt aufgesetztem Belichtungsmesser mit 50mm/1.2 und 35mm/1.4. Dank leisem Gummirolltuch Verschluß eine traumhafte Kombo für unbemerkte low-light Fotografie. Aber das war in 1970er Jahren. Den selben Zweck erfüllt bei mir seit bald 10 Jahren nun eine Sony RX1R. Die ist, dank Zetralverschluß, eigentlich geräuschlos und bietet den Komfort, den ich heute nicht mehr missen möchte. Aber ich habe durchaus Verständnis, wenn auch heute noch jemand Freude an eigentlich nicht mehr zeitgemäßer Technik hat. In ein paar Jahren muss man wohl akzeptieren, dass die gesammte Fotografie abseits eines Handys überholt ist. Ob es dann wohl noch Fotografen geben wird, die eine schwere Ausrüstung mit sich herumschleppen? Sicher, einfach weil es Freude macht.
P.S.: Ein Metall Schlitzverschluß ist in der Tat empfindlicher als der Sensor selbst. Insbesondere bei spiegellosen Kameras kann er schnell mal berührt werden und dabei Schaden nehmen. Außerdem lässt Staub in verschleißen bis hin zu Blockade.
Das empfindlichste Teil ist der Schlitzverschluss, nicht der Sensor. Die Entscheidung der meisten Hersteller, den Verschluss eben gerade NICHT als „Schutz“ zu sehen, beruht auf Erfahrung. Mehr Auslösungen werden dadurch auch nicht produziert, wenn man den elektronischen ersten Vorhang nutzt.
Der Sensor der M11 ist nichts besonderes, sondern kommt von Sony und hat ziemlich exakt die Daten, wie der in der A7R4. Die bietet für einen Bruchteil des Preises einen starken AF, Bildstabilisator, 1/8000 Sekunde, einen integrierten EVF, einen gescheiten Handgriff, und man kann dank Focus Peaking und Suchervergrößerung auch Leica Objektive bei wenig Licht besser fokussieren, als mit dem Messsucher.
Dass man in ein deutlich kleineres Gehäuse einen srabilisierten FF-Sensor bekommt, zeigt die A7c.
https://bit.ly/3xsChy6
Sony Marketing?
Hallo Anonymus,
Mag sein, dass der Verschluss empfindlicher ist als der Sensor, aber ärgerlicher ist der Staub auf dem Sensor, im offenen Gehäuse fummele ich grundsätzlich nicht herum. Richtig, die M 11 hat kein Blümchen-Fotografier-Automatik-Programm und keine Motivklingel. Braucht jemand, der Fotografieren kann nicht, und ich verwackele auch keine Bilder. Richtig, die M11 ist teuer, kein Karstadtpreis, für das Geld kann man woanders einen ganzen Rücksack voll Zeugs kaufen. Porsche ist auch teurer als FIAT, war vorher auch schon bekannt. Über den Preis ärgert man sich nur einmal, über aussergewöhnlich gute Bilder freut man sich jedes Mal – das macht den Unterschied.
Herzliche Grüße
Wieland Hoppen
PS Anonymus: James Bond trägt keine Kapuzen-Sweatshirts und benutzt kein Pseudonym…
Lieber Claus,
ich bin auch der Versuchung erlegen und habe mir vergangene Woche die M 11 gekauft – meine M 10 wurde zu einem guten Preis in Zahlung genommen. Natürlich hatte ich mir vorher 100 mal gesagt, dass die M 10 eine sehr gute Kamera ist, die hervorragende Bilder macht, aber die Neugier war zu groß, vor allen da die Leica Objektive noch erhebliche Reserven bieten. Die ersten Probefotos bestätigen mir dies, nicht nur die neueren in der Tasche (Super-Elmar-M 3,4/21 mm Asph., Elmarit-M 2,8/28 Asph. und das Summarit 2,4/75 mm) schneiden sehr gut ab, auch die über 30 Jahre alten Oldies Summicron 2,0/50 mm und 2,0/35 mm („King of Bokeh“) liefern überzeugende Resultate.
Der blank ziehende Sensor nervt mich auch, vor allem, wenn man den Staub erst zuhause auf dem Computerbildschirm bemerkt. Albern finde ich, dass im Lieferumfang die ausführliche Bedienungsanleitung nicht enthalten ist. Man erhält sie per Download oder fordert sie bei Leica an. Aber 177 Seiten zuhause auszudrucken hatte ich keine Lust. Gab es bei der M 10 noch eine SD Karte dazu, so ist sie nicht mehr enthalten. Zwar sind das nur unwesentliche Kleinigkeiten, aber € 8.350,– für das gute Stück sind eben keine Kleinigkeit, das sollte man bei Leica auch wissen.
Ich habe mit meiner neuen Leica viel Spass beim Fotografieren, hatte ich bei der M 10 das Gefühl, dass die Objektive mehr können als der Sensor, könnte das jetzt anders sein – und die Apo-Summicrone 35 und 50 mm sind mir zu teuer.
Meine M 4-P halte ich in Ehren, aber ich habe keinen Bedarf wieder analog zu fotografieren, zu sehr geniesse ich es nach meiner Fotorunde den Chip in den Computer zu schieben und mir gleich die Bilder groß und strahlend ansehen zu können.
Auch die M 11 habe ich wieder sehr oft „one lens, one camera“ dabei, meist mit dem 28 er, ideal für Streetfotografie. Erfreulicherweise wurde die Kamera noch ein bisschen leichter und liegt jetzt leistungsmäßig im Mittelformat.
Das Digitalzoom erscheint mir überflüssig, Bildausschnitte kann ich zuhause am Computer selbst festlegen.
Mein erster Eindruck: die haben in Wetzlar einen sehr guten Job gemacht, Chapeau!
Herzliche Grüße
Wieland
Hallo Claus,
wenn es Dich tröstet, geht es nicht nur Dir so. Ob von einer analogen Leica „Vibrations“ ausgehen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall macht es mir deutlich mehr Spaß als mit der M10 zu fotografieren. Bei der Preisentwicklung der fotografischen Filme komme ich leider deutlich seltener dazu. Die Preise haben sich in den letzten zwei Jahren fast verdoppelt und ich überlege es mir zweimal, bevor ich einen Film in die Kamera einlege.
Viele Grüße
Stefano
Hallo Stefano,
schön, dass ich nicht der einzige Nerd hier bin. Analog bleibt auch für mich ein Faktor, der einen einzigartigen Reiz beim Fotografieren ausmacht und jedes gelungene Bild zählt dreifach. Die Preisentwicklung ist leider ein unwillkommener Dämpfer.
Viele Grüße,
Claus
Hallo Claus!
Vielen Dank für diese ausgewogene und ehrliche „Halbzeitbilanz“ zur M11. Nach wie vor bin ich mit der M11 nicht wirklich warm geworden. Deine Kritik zu Verschluss und Belichtungsmessung kann ich nachvollziehen und bestätigen. Hinzu kommt in meinem Fall, dass ich absolut keine Verwendung für die 60MP habe, ganz im Gegenteil, diese sogar hinderlich für meinen Workflow finde. Das ist natürlich mein persönliches Ding und mag jeder für sich anders beurteilen.
Wenn man auch noch eine SL2 besitzt, kommt man allerdings nicht um den Vergleich beider Kameras aus rein technischer Sicht herum. Warum die SL gerade was Auslöseverzögerung und Geschwindigkeit im Single Shot Mode angeht so viel schneller ist, erschließt sich mir nicht. Leica kann es ja im Prinzip. Warum nicht bei der M11? Selbst eine Reduktion der Auflösung bring hier keinen Vorteil. An der Schreib -oder Kartengeschwindigkeit kann es also nicht liegen.
Was ich an der M11 aber wirklich vermisse, ist der wirklich geniale Bildstabilisator der SL2, gerade in Verbindung mit M Glas. Leica spricht von einem Vorteil von 5,5 Blendenstufen. So weit möchte ich jetzt mal nicht gehen, aber 4 Blenden sind tatsächlich auf jeden Fall realistisch. Gerade bei nächtlichen Spaziergängen oder schlechten Lichtverhältnissen ein wirklich entscheidender Vorteil der mir an der M11 einfach fehlt, da nützt auch die gute ISO Performance wenig. Statt der 60MP wäre das ein entscheidender Punkt gewesen oder vielleicht auch gerade wegen der hohen Auflösung ein wirklich sinnvolles Feature.
Laut Leica hätte ein Stabi wohl nicht mehr in die Kamera gepasst ohne den Formfaktor des Gehäuses zu ändern. Gut, das lassen wir jetzt mal so dahingestellt und setzten dies auf die Wunschliste für die M12.
Liebe Grüße aus dem Rheingau.
Andy
Hallo Andy,
ja, das war beim Übergang von der M240 zur M10 kein Thema. Der Fortschritt gegenüber der M240 war so klar, da gab’s keine Adaptionsprobleme.
Die M11 muss da mehr Überzeugungsarbeit leisten. Mir hätten auch 40MP (wie bei der M10-M) mehr als gereicht (schon Overkill), aber ich finde, die hohe Auflösung ist kein wirklicher Beschwerdepunkt bei der M11, weil man nicht gezwungen ist, sie zu nutzen. Mir reichen in vielen Fällen die 36 MP.
So gut die SL2 sein mag, ist sie für mich allein wegen der Größe ein No-Go. Der Form-Faktor ist für mich extrem wichtig. Ich stelle mir z.B. vor, wie ich mit so einem Behemoth von Kamera durch den Leineweber-Markt gepflügt wäre… beängstigend. Die M11 ist da deutlich diskreter. Mehrere, die ich fotografierte, waren überzeugt, es handele sich um eine analoge Kamera und fanden das ganz herzig. Was die wohl zu einer SL gesagt hätten? Einen Messsucher hat sie auch nicht. Und da bin ich vielleicht jetzt auch ein bisschen verbohrt: Aber bevor die Kamera wieder größer wird, verzichte ich auf den Stabi. Und schliesslich, was kann man sonst bei der M12 verbessern? 😉
Ich will mir gewiss nicht alles schönreden, aber das einzige Hühnchen, das ich mit Leica zu rupfen habe, ist der dämliche offene Verschluss.
Es ist ganz klar, dass die SL2 eine Super-Kamera ist, aber von Beginn an (war das nicht 2015?) war ich nicht in der Zielgruppe dafür.
Viele Grüße, schönen Abend,
Claus
Lieber Claus,
es ist schön, über die M11 zu lesen, wenn nach 6 Monaten der „Lack“ des Neuen abgeblättert ist.
Ich habe keinen Zweifel, daß die M11 absolut auf der Höhe der Zeit ist, wenn der Nutzer sich auf die Bedienung eines Messsuchers einläßt.
Aber, der Verschluß ist immer offen, auch beim Objektivwechsel? Das ist kraß. Ich habe mir schon lange angewöhnt beim Wechsel, egal bei welcher Kamera, dieselbe abzuschalten, um die statische Aufladung um den Verschluß zu reduzieren. Bei der Haltbarkeit desselben habe ich keine Bedenken. Ich gehe davon aus, daß der Verschluß für mindestens 300.000 Auslösungen ausgelegt ist. Das wären dann statistische 150.000 Bilder, bis ein Tausch erforderlich wäre. Sicher werden einige diese Zahl der Auslösungen erreichen. Aber bis dahin sind mindestens 5 Jahre vergangen, denke ich, oder machst du mehr als 30.000 Fotos im Jahr?
Egal, ich hoffe, daß Leica hier per Software-Update Abhilfe schafft. Das ewige Sensorreinigen ist nervig.
Viele Grüße,
Dirk
Lieber Dirk,
nein, die Anzahl der Auslösungen wird kein Problem sein. Ich hoffe nur, dass es machbar ist, dass der Verschluss beim Objektiv-Wechsel zugeht.
Viele Grüße,
Claus
Lieber Herr Sassenberg,
haben Sie vielen Dank für Ihre fundierten Beiträge zur Meßsucherwelt, die ich regelmäßig und gern lese. Die Sache mit dem offenen Verschluss und dem dadurch verschmutzungsanfälligen Sensor ist in der Tat misslich. Bleibt zu hoffen, dass Leica in die M11 einen besonders haltbaren Verschluss einbaut.
Eine Frage am Rande: Welche Streulichtblende verwenden Sie für das Ultron? Die auf dem Foto mit der M11 oben zu sehende Blende scheint nicht das – preislich ambitioniert positionierte – Original von Voigtländer zu sein.
Nochmals vielen Dank und beste Grüße
Georg Felsheim
Guten Abend Herr Felsheim,
doch, auf dem Foto ist eine für das 35er Ultron passende Streulichtblende LH-4N von Voigtländer mit dem stolzen Preis von 79 Euro zu sehen.
Die oft gezeigte Blende LH-12 ist in der Tat teurer… und viel hässlicher. 😉
Viele Grüße,
Claus Sassenberg