Was nehme ich auf? Wie wird mein Bild aussehen? Zwei grundlegende Fragen der Fotografie. Die Antwort liegt im Sucher, der wichtigsten Schnittstelle zwischen Kamera und Benutzer. Für Messsucherkameras wird in vielen Fällen ein Aufstecksucher benötigt. Ganz im Sinne der M-Files lohnt auch hier ein Blick über Leica-Welt hinaus.
Das Konzept der M-Files ist es ja, (vorzugsweise bezahlbare) Kameras, Objektive und Zubehör vorzustellen, die nicht zum Leica M-System gehören, aber damit kompatibel sind. In diesem Sinne passt ein Streifzug durch die Palette der Aufstecksucher perfekt. Es gibt eine ganze Reihe davon, die nicht zum Leica M-System gehören oder gar nicht einmal von Leica/Leitz hergestellt wurden, die aber dennoch hervorragend zu den Kameras und Objektiven der M-Files passen. Und weit darüber hinaus eingesetzt werden können, aber das ist dann ja umso besser.
Aufstecksucher, ein Zubehör mit Tradition
Aufsteckbare Sucher gibt es seit mehr als 100 Jahren, und seither werden sie aus verschiedenen Gründen verwendet. Entweder hat die Kamera überhaupt keinen Sucher (bei sehr frühen Modellen und ironischerweise auch heute wieder bei manchen Digicams). Oder der kameraeigene Sucher kann einen bestimmten Blickwinkel nicht abdecken, weil es technisch nicht möglich oder sinnvoll ist. Ein dritter Grund kann die bessere Leistung eines externen Suchers sein.
Die Zeitreise: Hier geht es um Aufstecksucher aus acht Jahrzehnten
Im Laufe der Jahre wurden hunderte von verschiedenen Aufstecksucher-Modellen hergestellt, so dass diese ihrerseits schon wieder zu einem eigenen Sammelgebiet geworden sind. Insofern ist es unmöglich, in diesem Artikel einen vollständigen Überblick zu geben. Also gehe ich exemplarisch vor: Wir treffen auf Sucher aus acht Jahrzehnten, wobei der älteste (der ehrwürdige Leica VIOOH) ein Entwurf aus dem Jahr 1940 ist und der neueste (Ricoh GV-3) aus dem Jahr 2022. Sie alle spiegeln auf ihre Weise den Stand der Technik und die jeweiligen Anforderungen ihrer Zeit wieder.
Es geht nicht um die Brennweite, es geht um den Blickwinkel
So schön ein solches optisches Präzisionsinstrument auch ist, es hat auch einige Schwächen. Die meisten aufsteckbaren Sucher decken nur eine einzige Brennweite ab. Oder besser: nur einen bestimmten Bildwinkel. Denn natürlich kann man einen „40 mm“-Sucher a) mit einem 40-mm-Objektiv an einer Vollformatkamera, b) mit einem 26-mm-Objektiv an einer Kamera mit APS-C-Sensor wie der Ricoh GR IIIx oder c) mit einem 20-mm-Objektiv an einer sucherlosen Micro Four Thirds-Kamera wie der Olympus E-P7 verwenden.
Einige Sucher zeigen zwei oder mehr Blickwinkel an
Es gibt aber auch aufsteckbare Sucher, die mehr als einen Bildwinkel bieten können. In diesem Fall haben wir es entweder mit mehr oder weniger „zoombaren“ Ausführungen zu tun. Meist haben sie feste Rastpositionen für feste Brennweiten. Oder wir nutzen einen Sucher, der simultan einen doppelten Bildbegrenzungsrahmen zeigt. So, wie wir ihn ja von vielen Messsucherkameras kennen. So werden bei den neueren M-Modellen die Linien für ein 28-mm- und ein 90-mm-Objektiv gleichzeitig anzeigt.
Das Hauptaugenmerk des Artikels liegt auf Nicht-Leica-Produkten
Obwohl ich mich in den M-Files normalerweise auf Nicht-Leica-M-Produkte konzentriere, werde ich in dieser Folge über Aufstecksucher doch einige davon vorstellen. Immerhin sind die Leica-Leuchtrahmensucher einfach sehr beliebt. Und sie sind weit verbreitet (sowohl neu als auch gebraucht gut zu bekommen). Viel sehen sie auch als Maßstab für Qualität und Leistung an. Dieser Meinung kann man sich pauschal anschließen – oder sich zumindest die Sucher von Voigtländer, Zeiss, Olympus und Ricoh mal genauer ansehen.
Aufstecksucher für einen bestimmten Blickwinkel
Der häufigste Typ von Aufstecksuchern ist der für einen spezifischen Bildwinkel (bzw. Brennweite, siehe oben). Solches Zubehör wurde im Laufe der Jahre von vielen Herstellern produziert, zuletzt von oder für Contax, Voigtländer, Konica, Olympus, Ricoh und Leica. Ich werde mich hier auf Nicht-Leica-M-Sucher konzentrieren. Leicas aktuelle Sucher sind aus Metall (z.B. 12024 für 21mm, schwarz), während die Vorgängergeneration ein Kunststoffgehäuse (z.B. Nr. 12008 mit oder 12012 ohne Verriegelung, beide für 21mm) hatte. In jedem Fall sind sie sehr oder ziemlich kostspielig.
Voigtländer: Zwei Generationen von Aufstecksuchern
Voigtländer hat verschiedene Modelle von Aufstecksuchern für unterschiedliche Bildwinkel hergestellt. Die früheren Modelle waren ein wenig klapperig und aus Kunststoff, aber sie sind weit verbreitet und leicht zu finden. Sie haben keine Rahmenlinien – der Blickwinkel des Objektivs ist der Blickwinkel des Suchers (mehr oder weniger). Die, die ich ausprobiert habe, sind groß und hell, aber sie fallen recht leicht von der Kamera; der Kunststoffschuh hat wenig Reibung im Blitzschuh. Die neueren Voigtländer-Sucher (250 €) sitzen fester, sind ganz aus Metall, schön gestaltet und gefertigt und haben Rahmenlinien.
Zeiss: T*-Beschichtung und das wohl beste Bild
Zeiss führt in der leider viel zu wenig beachteten ZM-Reihe auch Sucher. Es gibt Aufstecksucher für Brennweiten von 15 bis 25/28 mm, und sie sind einfach hervorragend. Sie sind superhell und geben ein bemerkenswert großes Bild, sie sind streulichtresistent (dank der T*-Beschichtung) und top verarbeitet. Obwohl sie nicht so winzig sind wie die neueren Voigtländer-Sucher, treffen sie für mich genau die richtige Balance zwischen Handlichkeit und optischer Exzellenz. Die Rahmenlinien, einschließlich der Parallaxenmarken, sind bei allen Lichtverhältnissen sehr gut sichtbar. Ich würde sagen, sie sind mindestens so gut wie die aktuellen Leica-Leuchtrahmensucher und kosten nur ein wenig mehr als die Hälfte (400 € gegenüber 725 €). Aber… für den Preis hätte Zeiss wirklich ein Etui oder so etwas beifügen können.
Ricoh: Super klein, federleicht und teuer
Während Zeiss und Voigtländer Sucher für alle gängigen Weitwinkelbrennweiten anbieten, deckt Ricoh in diesem Segment nur zwei verschiedene Bildwinkel ab – kein Wunder, denn die Aufstecksucher für die beiden aktuellen GR III-Modelle sind exakt auf deren Objektive abgestimmt. Es gibt eine „28mm“-Version für die GR III (mit einer realen Brennweite von 18,3mm) und eine „40mm“-Version für die GR IIIx (26,1mm, mehr über die Kamera steht hier). Sie sind sehr klein, was bei einer so kleinen Kamera an sich ja auch Sinn ergibt. Andererseits ist das Bild einfach winzig, und es gibt keine Parallaxenmarkierungen (obwohl es Hilfslinien für ein quadratisches Bild gibt, wenn man die Idee hatte, die Kamera auf 1:1 einzustellen). Und sie sind teuer für das, was sie bieten (230-250 €).
Olympus: Eine preiswerte Lösung nicht nur für Micro Four Thirds
Wird einen Sucher für ein 35er oder ein anderes Objektiv mit dem Bildwinkel von etwa 63 Grad (vulgo: fürs 35er) benötigt, ist der optische Sucher VF-1 von Olympus eine ernsthafte Überlegung wert. Er wurde vor vielen Jahren zusammen mit dem Micro Four Thirds 2,8/17 Objektiv eingeführt. Denn diese Pancake-Linsen wurden oft mit einer Pen-Kamera verkauft, was einen gewissen Retro-Charme ergab. Doch diese Pen-Modelle hatten oft keinen Sucher, sondern nur ein Display auf der Rückseite. So wurde der VF-1 entwickelt. Dieser ist klein und preiswert, sicher nicht großartig, er kann aber hilfreich sein und ist leicht gebraucht zu bekommen. Er wurde nur in Silber hergestellt (das Gehäuse ist aus Kunststoff).
Leica: Der 36-mm-Sucher ist echt gut… nicht nur für X-Kameras
Apropos Aufstecksucher für 35-mm-Objektive: Leicas eigener Sucher für die X-Serie ist auf jeden Fall auch eine Erwähnung wert. Er wurde für ein 36-mm-Äquivalent entwickelt, aber man kann ihn bedenkenlos mit einem 35-mm-Objektiv verwenden, und mit ein wenig Übung funktioniert er auch mit einem 40er. Es ist ein wirklich guter Leuchtrahmensucher (Leica Nr. 18707) mit einem klaren und großen Bild. Er ist nicht ganz aus Metall, aber er ist offensichtlich ordentlich gebaut und optisch prima, auch Parallaxenmarken fehlen nicht.
Aufstecksucher mit mehreren Rahmen
Wie erwähnt, gibt es gar nicht so wenige Aufstecksucher für mehr als einen einzigen Bildwinkel. Die für zwei Bildwinkel funktionieren alle auf die gleiche Weise: Es gibt zwei Rahmen oder zwei Gruppen von Rahmenlinien innerhalb des Suchers. Der innere Rahmen ist natürlich für die längere Brennweite (engerer Bildwinkel), der äußere für die kürzere Brennweite (weiterer Bildwinkel).
Voigtländer: 21/25 für die Standardbrennweiten unter 28
Voigtländer bietet einen 21/25-mm-Sucher an. Es ist ein Modell der zweiten Generation, sehr klein und gut verarbeitet. Die acht Grad Unterschied im Bildwinkel reichen gerade so aus, um etwas Platz zwischen den beiden Rahmen zu lassen. Was aber klasse ist: Auch der äußere Rahmen hat rundum noch ein wenig Luft. So kann man sehen, was gerade außerhalb des späteren Bildes ist. Und man kann sofort überprüfen, ob die andere Brennweite für das, was man in seinem Bild zeigen möchte, vielleicht sogar besser geeignet ist (wobei sicher die wenigsten ein 21 und ein 25 gleichzeitig mit sich herumtragen).
Konica: Der verrückte Sucher für die verrückte 21/35 Dual-Hexanon
Ein anderes, echt extremes, Beispiel ist der Konica-Sucher für das Dual-Hexanon-Objektiv 21/35 (VL-6, nicht mehr lieferbar). Der Sucher, der mit dem Objektiv ausgeliefert wurde, hat zwei Rahmenlinien für 21 und 35 mm. Der einzige Nachteil ist, dass der 35-mm-Rahmen sehr klein ist (ähnlich wie der 90er-Rahmen an der M6). Der Sucher der Konica selbst ist hell und gut. Es gibt auffallende Ähnlichkeiten mit den Voigtländer-Suchern der ersten Generation.
Zeiss: Die Kombination 25/28 hat ihre Grenzen
Zeiss hat auch einen kombinierten Sucher, 25/28mm. Er ist genauso gut gebaut und schön wie die anderen Zeiss-Sucher und hat ein ebenso helles und großes Bild. Als Bonus bietet er einen guten 25/28-Vergleich. Aber auch hier der Unterschied zwischen dem 82-Grad-Winkel des 25ers und dem 75-Grad-Winkel des 28ers ist nicht so bedeutend. Ich würde ihn eher als einen 25-mm-Sucher mit einem kleinen Extra einstufen. In der Praxis würde man ja nie ein 25er mit einem 28er kombinieren, sondern eher mit einem 50er (übrigens eine sehr schöne Kombination). Ideal ist der Zeiss-Sucher übrigens für Brillenträger, die den Leica-0.72-Sucher mit den 28er Rahmenlinien nicht überblicken können.
Ricoh: Der günstigste Kombi-Aufstecksucher ist der praktischste
Schließlich hat Ricoh auch einen Dual-Aufstecksucher für 21 und 28 mm (GV-1, 160 €) im Programm. Er wurde für jene GR-Modelle entwickelt, die mit einem Weitwinkelkonverter ausgestattet werden können. Er ist nicht so klein und nicht teuer wie die späteren Aufstecksucher, somit er ist eine gute Wahl für alle, die nur gelegentlich ein 21-mm-Objektiv an der Messsucherkamera verwenden. Und er ist nicht so hell wie ein Leica- oder Zeiss-Sucher und auch nicht so genau, aber er ist sicherlich gut genug für Einsteiger oder gelegentliche Nutzer.
Aufstecksucher mit einem „Zoom“-Mechanismus
Ein Sucher für drei oder mehr Bildwinkel: Das ist keineswegs eine neue Erfindung. Leica verkaufte sie bereits in den 1930er Jahren. Der heute legendäre VIDOM wurde 1933 eingeführt und 1940 durch den VIOOH ersetzt. Doch auch später gab es ein paar bemerkenswerte Entwicklungen (auch von Voigtländer, 15-35mm, siehe unten).
Über Jahrzehnte gebaut: Der VIOOH
Ich habe mit einigem Erfolg einen VIOOH verwendet, wahrscheinlich ein spätes Modell. In den Jahrzehnten, während derer dieser Sucher gebaut wurde, gab es viele kleine Veränderungen, die sind schon eine Wissenschaft für sich. Der von mir verwendete ist mit 3,5,5, 8,5, 9 und 13,5 (in Zentimetern Brennweite) graviert. Andere Modelle haben 7,3 oder 10,5; diese Seite gibt einen sehr guten Überblick. Die Besonderheit des VIOOH besteht darin, dass es nicht zoomen kann, sondern den Blickwinkel durch variable Masken verändert. Der Vergrößerungsfaktor ist konstant, so dass man bei 3,5 ein großes Bild sieht und bei 13,5 nicht viel mehr als den Blick durch ein sehr kleines Schlüsselloch.
15 bis 35 Millimeter, für Vollformat und Crop-Kameras: Voigtländer DA466A
In gewisser Weise ist der Voigtländer-Zoom-Sucher für 15 bis 35 Millimeter durchaus ein Nachfolger des VIOOH – schon wegen der Retro-Gestaltung. Hier geht es um Typ A, der für Vollformat geeignet ist und mit einem genialen Mechanismus (zusätzliche Skalen) auch für Kameras mit Crop-Sensor verwendet werden kann (1,3-fach für die M8, 1,5-fach zum Beispiel für die Pixii).
Wenn man zum Beispiel die mit x1.5 bezeichnete Skala verwendet, stellt man 21 mm auf der Vollformat-Skala ein und kann direkt ablesen, dass es ein 14-mm-Objektiv braucht, um diesen Blickwinkel APS-C-Sensor abzudecken. Oder andersherum: Wer auf der x1.5-Skala 18-mm einstellt, sieht, dass dies in etwa den Bildwinkel eines 28-mm-Objektivs im Vollformat abdeckt (tatsächlich sind es 27, aber es gibt keine Rastung für diesen Wert, Zwischenpositionen sind jedoch möglich).
Der Voigtländer Zoomfinder ist recht kompakt und bietet sogar eine Dioptrienkorrektur am Okular (eine Seltenheit bei aufsteckbaren Suchern). Auch in anderer Hinsicht ist das Teilchen echt super: total helles Sucherbild, einfach in der Benutzung und zumindest hinreichend präzise (hier stehen noch einige technische Daten). Schade, dass er nicht mehr hergestellt wird, er ist auch gebraucht nur sehr schwer zu finden (Hersteller-Artikelnummer DA466A). Ach ja, Typ B gab es auch noch, für Micro Four Thirds, was hier aber nicht weiter interessiert.
Made in Japan: Leicas variabler Sucher 12013
Eine viel neuere Konstruktion ist der Leica 21-24-28-mm Sucher (12013, 12014 in silber). Dieser hat einen echten Zoom-Mechanismus mit zunehmender Vergrößerung (korrekt müsste man sagen: mit abnehmendem Verkleinerungsfaktor), je länger die eingestellte Brennweite ist. Er ist ein schönes Stück, fast ganz Glas und Metall; wobei ausgerechnet der Montageschuh aus Kunststoff ist (vielleicht schont’s den Blitzschuh besser). Trotz der auffälligen Gravur „Leica Camera Germany“ wird er in Japan hergestellt (wie eine deutlich weniger auffällige Gravur auf der Unterseite zeigt).
Der 12013/12014 hat keine Rahmenlinien, was ziemlich von dem abweicht, was man von der Messsucherfotografie gewohnt ist und vielleicht auch besonders an ihr schätzt – es gibt keine Chance zu sehen, was gerade außerhalb der Bildränder ist. Somit fühlt es sich an, als würde man in einen Tunnel schauen, aber dieser ist immerhin ziemlich groß und hell. Und das Lederetui ist schön, wie ein Mini-M-Objektivköcher. Laut Leica Wiki wurde der 12013 im Jahr 2006 eingeführt (die Zeichnung mit den Rahmenlinien ist in dem Wiki-Artikel falsch), inzwischen aber wieder eingestellt.
Und dann noch der Frankenfinder: So hell, so klar – und so groß
Schließlich gibt’s noch den Leica Universal-Weitwinkelsucher für das M-System alias Frankenfinder (12011). Es wurde schon viel über diesen Sucher geschrieben und gesagt; vieles davon ist Unsinn, aber es gibt auch sehr kompetente Bewertungen wie die von Dante Stella. Der Universal-Weitwinkelsucher ist groß, aber hammergut, sowohl optisch (so klar!!!) als auch mechanisch. Er ist im Vollformat mit 16, 18, 21, 24 und 28 mm kompatibel. Für alle, die mehrere Objektive in diesem Bereich haben und die Größe nicht scheuen, kann der in Deutschland hergestellte Frankenfinder trotz seines krassen Preises (885 €) auch finanziell sinnvoll sein – falls das hier überhaupt eine legitime Kategorie ist…
Ähnlich wie der alte VIOOH hat der Frankenfinder eine feste Vergrößerung. Aber er funktioniert natürlich nicht mehr mit Masken, sondern mit wunderbar hellen Leuchtrahmen. Diese wandern je nach verwendeter Brennweite weiter zum Rand oder zur Mitte. Das ist clever, denn damit können die Nutzerinnen und Nutzer leicht ermitteln, wie das Bild bei Verwendung einer anderen Brennweite wirken würde. Und weil es ein Meisterstück ist, kann man natürlich auch den Abstand zwischen 0,5 Meter und unendlich einstellen, um die Parallaxe auszugleichen. Eine eingebaute Wasserwaage mit phosphoreszierend hinterleuchteter Libelle – sichtbar durch das Okular (!) – ist das Tüpfelchen auf dem i.
Elektronische Aufstecksucher
Mit dem Aufkommen von Live View – ermöglicht durch den Wechsel von CCD- zu CMOS-Sensoren – wurde es erstmals möglich, das Bild während der Aufnahme auf einem Display zu zeigen. Da bietet sich natürlich das Rückseitendisplay an, wobei aber doch erhebliche Nachteile auftreten. So war das erste spiegellose System überhaupt, Micro Four Thirds, Vorreiter für den elektronischen Sucher (EVF: electronic viewfinder). Und das zu einer Zeit, als das SLR-Prinzip noch überall sonst vorherrschte! Für Kameras ohne eingebauten EVF gab es aufsteckbare Sucher. Und ja, sie sind nützlich – anders als bei der Arbeit mit dem Display hält man die Kamera nah am Körper, was das Verwackeln reduziert. Und man sieht auch bei hellem Sonnenlicht ein klares Bild.
EVF-2: Leica oder die günstige Olympus-Alternative?
Der erste elektronische Sucher von Olympus war der VF-2 (damals beeindruckende 1,44 MP), der auf die sucherlosen Pen-Kameras gesteckt werden konnte. Er funktionierte aber auf der ZX-1, einer damals bahnbrechenden Kompaktkamera mit einem 1-Zoll-Sensor und sehr guter Bildqualität. Es heißt, dass der VF-2 tatsächlich von Epson hergestellt wurde, und Leica wird ihn ebenfalls von dort bezogen haben. Die Leica M (Typ 240) und die M Monochrom (Typ 246), aber auch Modelle der X-Serie, haben eine elektronische Schnittstelle für einen EVF unterhalb des Blitzschuhs. Wer also einen EVF für eine dieser Kameras benötigt, kann zum Olympus VF-2 anstelle des Leica EVF-2 greifen (kostet gebraucht so in etwa die Hälfe, unter 200 € im Vergleich zu über 300 € im Februar 2023).
Die EVFs von Olympus und Leica sind bis auf das Marken-Logo tatsächlich identisch. Ich habe aus der Generation nur eine M 262, die kein Live View kann, aber ich benutze den Olympus EVF-2 an der X-E, die (wie die X2 und X Vario) die notwendige Schnittstelle hat. Die Auflösung ist zu gering für präzises Fokussieren oder sich schnell bewegende Objekte, aber zur Festlegung des Bildausschnitts ist er besser, als man denkt. Und dazu noch ein fun fact: Der neuere (!) Olympus VF-3 ist als Nachfolger schlechter als der VF-2.
Leica Visoflex 020: Endlich eine akzeptable Auflösung
Mit der Leica T (später in TL ungetauft) erschien der elektronische Sucher Visoflex 020 (520 €, gebraucht deutlich günstiger). Er kam im Mai 2014 auf den Markt, hat eine Auflösung von 2,36 MP (damals ein ordentlicher Wert) und wurde ab 2017 der EVF für die M10. Er hat eine andere elektronische Schnittstelle als der Olympus VF2/Leica EVF-2, führte aber über eine sehr praktische Funktion fort: Das schwenkbare Okular ermöglicht es, mit der Kamera vor der Brust zu fotografieren (ein bisschen wie bei der zweiäugigen Rolleiflex und ähnlichen Kameras).
Ich finde den Visoflex 020 trotz seiner für heutige Verhältnisse mäßigen Auflösung sehr nützlich, wenn man ein Superweitwinkel oder auch ein Objektiv mit notorischem Fokus-Shift verwendet. Der Nachteil ist, dass er den Akku der M10 atemberaubend schnell entleert und die Kamera zu einem sperrigen Teil macht, das mit dem EVF kaum in die übliche Tasche passt.
Visoflex 2, der Bolide von Aufstecksucher für die M11
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch Leicas neuesten elektronischen Aufstecksucher, den Visoflex 2 (725 €), erwähnen. Er hat die gleiche elektronische Schnittstelle mit der Kamera wie der Visoflex 020, aber die M11 scheint einen leistungsfähigeren Signalausgang zu besitzen. Daher kann der Visoflex 2 seine volle Auflösung von 3,7 MP nur in Verbindung mit der M11 liefern. Er funktioniert auch mit der M10, allerdings mit eingeschränkter Auflösung. Da ist er also keine wirkliche Verbesserun. Ich konnte den neuen Visoflex an einer M11 ausprobieren und muss sagen: Ich war ziemlich beeindruckt.
Wer mehr dazu wissen will, lese den Macfilos-Artikel von Mike Evans über den Visoflex 2, der sich an das Teil auch erst mal gewöhnen musste. Ich finde, er zieht einen interessanten Vergleich mit dem Frankenfinder, denn diese beiden sehr unterschiedlichen Aufstecksucher haben mehr gemeinsam, als man zunächst denkt: Beide verfügen über Technik auf höchstem Niveau, beide sind etwas klobig, und beide haben das Potenzial, die Leica-Gemeinde in Befürworter und Gegner zu spalten.
Zusammenfassung: Aufstecksucher, ihre Vor- und ihre Nachteile
Bleibt die Frage offen, ob das Arbeiten mit Aufstecksuchern sinnvoll ist. Ich würde es mal so sagen: Bequem ist es jedenfalls nicht. Man bringt sich um jene schnelle und intuitive Arbeitsweise, die – nach einiger Übung – die Arbeit mit einer Messsucherkamera so einzigartig macht. Es sind ja nun mindestens zwei Schritte nötig, um alles korrekt einzustellen: Ein Blick durch den Sucher der Kamera, um scharfzustellen und die Belichtung zu kontrollieren, und einen zweiten Blick durch den Aufstecksucher, um dann den gewünschten Bildausschnitt festzulegen. Und zwar in dieser Reihenfolge! Und wer gar eine Kamera ohne Belichtungsmessung hat, muss noch einen dritten Arbeitsschritt für das Ablesen des Belichtungsmessers einbauen. Das ist weder schnell noch intuitiv, wenn man nicht mit Zonenfokus und geschätzter Belichtung arbeitet (was man beides lernen kann).
Und doch kann ein Aufstecksucher eine Rettung sein
Es gibt jedoch Situationen, in denen ein so ein Aufstecksucher absolut sinnvoll ist. Am häufigsten ist dies der Fall, wenn man an der Messsucherkamera (mit Ausnahme der Bessa R4M oder R4A) ein Weitwinkel unter 28mm nutzt. Oder der Sucher der Kamera ist so beschädigt, dass man nicht mehr viel sieht. Schließlich gibt es bis heute Kameras ohne Sucher, und bei digitalen Modellen kann es sein, dass man den Bildschirm aus verschiedenen Gründen nicht verwenden möchten. Als ich neulich mit der GR IIIx beim Skifahren war, wäre der kleine Aufstecksucher eine große Hilfe gewesen…
Aufstecksucher und die Entdeckung der Langsamkeit
Wenn es nun konkret um die Frage geht, welcher Sucher es werden soll, würde ich zu einem von Zeiss raten, wenn man nur eine Brennweite braucht. Diese Teile sind einfach schön, hell und groß. Der Frankenfinder von Leica ist der vielseitigste und genaueste, aber sperrig. Wenn man den Aufstecksucher aber nur ab und zu braucht, sind die günstigen älteren oder die ebenfalls nicht allzu teuren neueren Voigtländer-Sucher vielleicht genau das Richtige. So oder so: Es kommt auf einen Versuch an. Für manche war die Arbeit mit dem Aufstecksucher schon ein Stück Entdeckung der Langsamkeit.
Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M
Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt, das sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett konzentriert, die von anderen Firmen als Leica hergestellt wurden oder die nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Produkten gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Contax, Konica, Minolta, Rollei, Voigtländer und Zeiss.