Es ist eine Kamera, die selbst viele Leica- und M-Fans noch nie mit eigenen Augen gesehen oder gar benutzt haben: Die Zeiss Ikon SW war ein kurzlebiges Produkt, das in vielerlei Hinsicht einzigartig ist. Und wozu ist eine Kamera ohne Sucher überhaupt gut?
Sie sollte eine preiswertere Alternative zur Zeiss Ikon Messsucherkamera sein. Die moderne Wiedergeburt der Ikon selbst wurde ja 2004 vorgestellt und hatte eigentlich durchaus das Potenzial, ein ernsthafter Konkurrent für das damalige Leica-Topmodell M7 zu werden. Sie brachte neben einer Belichtungsautomatik auch einen modernen und schnellen Metalllamellenverschluss und einen beeindruckenden Sucher von erstaunlicher Größe und Klarheit mit. Aber die Zeiss Ikon war auch nicht billig, und für Brennweiten unter 28 Millimetern war, die alte systembedingte Einschränkung, ohnehin ein zusätzlicher externer Sucher erforderlich.
Die Idee einer Kamera ohne Sucher wurde nicht für die Zeiss Ikon SW erfunden
So kam die alte Idee auf: Eine Kamera, die auf den teuren Sucher mit seiner komplizierten Optik und Mechanik verzichtet. Leica hatte solche Kameras mit der Bezeichnung MD jahrzehntelang im Programm, gedacht für den wissenschaftlichen Einsatz (am Mikroskop) oder als Gehäuse für den alten Visoflex, der die analogen Leicas in eine Art Spiegelreflexkamera verwandelte. Und genau das war offensichtlich das Vorbild Zeiss Ikon SW. SW bedeutete Zeiss zufolge wörtlich „superweit“. Schließlich bieten ihre mittel-lichtstarken Superweitwinkel mit 21, 18 und für damals spektakulären 15 Millimetern ja von Haus aus eine große Schärfentiefe.
Die Zeiss Ikon SW zeigt, wohin das Unternehmen in den 2000er-Jahren wollte
Die Geschichte der Zeiss Ikon SW ist also ein weiterer Beweis dafür, dass Zeiss das klare Ziel verfolgte, den Abatz der Objektive zu fördern, indem man auch erschwingliche Kameras anbot. Immerhin kostete die Ikon in den frühen 2000er-Jahren einen Bruchteil einer M7. Und die Ikon SW, die im Oktober 2006 zu einem Preis von 929 Euro inklusive Mehrwertsteuer auf den Markt kam, war noch günstiger – immerhin 500 Euro weniger als das Messsuchermodell. Die Kamera wurde, wie die reguläre Zeiss Ikon, von Cosina in Japan hergestellt. Wie schon in Folge 5 der M-Files zu lesen war, gibt es einige technische Parallelen zu den ebenfalls von Cosina hergestellten Voigtländer Bessa-Modellen, aber die Zeiss-Kameras sind sicherlich eigenständige Kameras.
Für die Belichtungsanzeige haben sich die Konstrukteure für den Zeiss Ikon SW etwas Besonderes ausgedacht
Die Zeiss Ikon SW ist insofern ungewöhnlich, als sie eine Belichtungsautomatik mit mittenbetonter Messung bietet, die in die Kamera gar nicht so richtig reinpasst. In Ermangelung eines Suchers, in dem eine Verschlusszeit angezeigt werden könnte, verfolgt sie einen unkonventionellen Ansatz. Auf der Rückseite befinden sich drei LEDs. Je nachdem, welche davon leuchten, sieht der Benutzer die Verschlusszeit, die die Kamera anwenden wird. So bedeutet beispielsweise nur die rote LED „unter 1/15“, die rot-gelbe Kombination „zwischen 1/15 und 1/30“ und nur die grüne „schneller als 1/125“.
Der Belichtungsautomatik kann man tatsächlich vertrauen
In der Praxis funktioniert das gut, und alle Bilder, die ich mit der Zeiss Ikon SW gemacht habe, waren gut belichtet. Die drei LES können auch zur manuellen Einstellung der Belichtung verwendet werden. Eine Korrektur im Bereich zwischen -2 und +2 EV ist vorhanden. Und wenn man das Handbuch aufmerksam liest, findet man sogar die Belichtungsspeicherung. Sie nutzt den Hebel, der normalerweise dazu dient, die Rahmenlinien im Messsucher auszuwählen. Allerdings muss man schon sagen: Ohne exakten Sucher ist so ein gezieltes Anmessen nicht ganz trivial.
In der Hand hat die Zeiss Ikon SW den gleichen Formfaktor wie die reguläre Zeiss Ikon Messsucherkamera. Allerdings hat sie ja keinen Sucher und damit auch keinen Entfernungsmesser. Man muss einfach schätzen – was umso schwieriger wird, je länger die Brennweite des Objektivs und je größer die Blendenöffnung ist. Das heißt, die Zeiss Ikon SW ist ideal für nicht so lichtstarke, dafür aber sehr kurze Brennweiten – also für jene Objektive, für die man an der Messsucherkamera ohnehin einen externen Sucher braucht.
Nicht nur für Präzisionsfanatiker ist der doppelte Zubehörschuh ein nützliches Feature
Eine weitere Besonderheit ist der doppelte Zubehörschuh. Das bedeutet, dass man sowohl einen externen Sucher als auch eine Wasserwaage anbringen kann. Letzteres ist, auch wenn ich es ungern zugebe, bei Verwendung von Ultraweitwinkelobjektiven nicht so dumm. Die besten dieser Optiken sind verzeichnungsfrei, aber natürlich nur, solange die Kamera absolut im Wasser ist, sonst gibt’s stürzende Linien. Wer nicht gerade den Leica-Frankenfinder mit eingebauter Wasserwaage verwendet, findet bei Drittanbietern ganz schöne Lösungen. Wer mehr über Aufsteck-Sucher wissen will, wird in Folge 17 der M Files fündig.
Was wäre über die Zeiss Ikon SW noch zu sagen? Sie hat das gleiche, vom Bauhaus inspirierte Design wie das reguläre Modell, das von Henssler&Schultheiss im Schwäbischen entworfen wurde. Auch die Verarbeitungsqualität scheint ausgezeichnet zu sein, und die SW verfügt auch sonst über alle Vorzüge der Zeiss Ikon. Dazu gehören das einfache Filmeinlegen, eine attraktive Haptik, ein präziser und relativ leiser Verschluss und eine schnörkellose Ergonomie. Auch die SW hat auch den Filmrückspulhebel an der Unterseite, was bedeutet, dass man ihn „andersherum“ drehen muss (ein Pfeil bewahrt einen vor einer Katastrophe, wenn man nur, im Gegensatz zu mir bei meinen ersten Ikon-Versuchen, darauf achtet).
Die Zeiss Ikon SW hatte ein langes Leben – aber nur in den Regalen der Händler
Die Zeiss Ikon SW wurde um 2011 eingestellt, noch vor der regulären Zeiss Ikon Messsucherkamera. Es scheint, dass die SW kein kommerzieller Erfolg war, was auf den digitalen Wandel in den frühen 2000er-Jahren zurückzuführen sein wird. Aber auch konzeptionell hat sie einfach doch viele Einschränkungen. Profis waren zu der Zeit nicht mehr mit analogen M-Kameras unterwegs, und für viele Amateure bot die Zeiss Ikon SW im Vergleich zu anderen Kameras wohl einfach zu wenig. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man bisweilen noch unbenutzte Exemplare finden kann. Mit etwa 1000 Euro kostet sie nominell nicht mehr als in ihrer Blütezeit. Eine empfehlenswerte Bezugsquelle ist Jo Geier Mint&Rare in Wien mit einem sehr kundigen Service.
Alles in allem also eine etwas exotische Kamera und eine kurze Episode in der Geschichte der M-Bajonett-Kameras. Aber ich denke, die Zeiss Ikon SW ist es wert, dass man sich an sie erinnert und, was noch wichtiger ist, dass man sie rege benutzt. Man kann mit ihr ganz großartige Bilder machen, aber der Weg zum Erfolg ist nicht der einfachste.
Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M
Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt, das sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett konzentriert, die von anderen Firmen als Leica hergestellt wurden oder die nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Produkten gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Contax, Konica, Minolta, Rollei, Voigtländer und Zeiss.
Moin, Jörg-Peter.
Wie, nur ein Bild vom Vänern? 🙂
Bei den MD-Kameras war ich tatsächlich davon ausgegangen, dass sie als Repro-Kameras zur Sicherung von Dokumenten gedacht waren. Zumindest bei Leica gab es ja entsprechende Nah-Objektive und passende Stäbchen-Objektive mit festgelegtem Abstand, um, wenn ich es richtig erinnere, genau die DIN-A 4 Größe abzulichten.
Diese Variante der Zeiss IKON ist an mir vorbei gegangen. Hätte sie mir aber auch nie gekauft.
Vielen Dank für diesen Einblick.
sorry, ich meinte natürlich Stäbchen-Stativ…
Hallo Holger, danke für die Rückmeldung. Die Ikon SW ist in der Tat ein Exot. Für die Messsucherfotografie, wie wir sie kennen – mittendrin im Leben, wenn es sein muss schnell, auf eine Art unkompliziert – ist sie die falsche Kamera. Ich würde auch immer einen eingebauten Sucher nehmen, wenn es irgendwie geht. Aber in die M-Files mit ihrem irgendwie ja doch enzyklopädischen Ansatz hat die Zeiss Ikon SW dann doch gut gepasst, gerade weil sie doch exotisch ist und man nur sehr wenig über sie liest. Grüße Jörg-Peter
Hallo Joerg-Peter,
danke für Deinen gut recherchierten Bericht. Interessant was es so alles früher gab. Ich habe so eine Zeiss-Ikon auch nie in einem Fotogeschäft gesehen. Allerdings muss ich sagen, dass mich eine sucherlose M-Leica oder eine solche Zeiss-Ikon nie gereitzt hat. Als ich vor über 30 Jahren gebraucht günstig eine M-Leica Ausrüstung bekam, war der Sucher meiner Leica M2 schwarz, also defekt. Es hat nicht lange gedauert und ich habe den Sucher der M2 durch Leica reparieren lasssen obwohl ich einen Aufstecksucher hatte.
Viele Grüße Holger Bohnensack