Diese Kamera verdient einen Platz in jedem Museum: Die Epson R-D1 ist definitiv ein bahnbrechendes Stück Technik. Die weltweit erste digitale Messsucherkamera mit M-Bajonett und einem APS-C-CCD-Sensor mit 6,1 Megapixeln Auflösung kam 2004 auf den Markt. Und mit ihrer Leica-Kompatibilität verdient die Epson R-D1 auf jeden Fall einen Ehrenplatz in den M-Files.
Es muss ein ziemlicher Schock für Leica gewesen sein. Zwei Underdogs in der Kamerabranche legen schon mal vor: Epson und Cosina bringen die R-D1 auf den Markt, während Leica noch immer mit der Entwicklung der M8 kämpft. Jesko von Oeynhausen soll kürzlich erzählt haben, was in den Köpfen mancher bei Leica damals vorging, als die Epson-Kamera tatsächlich in den Läden stand. Demnach waren sie 2004, vorsichtig gesagt, mehr als überrascht, dass eine Firma, die bis dato vor allem für Drucker bekannt war, in der Lage war, eine solche Kamera auf den Markt zu bringen. Und Leica hatte ernsthaft Angst, M-Kunden zu verlieren.
Leica hatte das Digital-Rückteil zur R, Epson die Messsucherkamera
Es ist nicht so, dass Leica keine Kompetenz bei Digitalkameras gehabt hätte damals: Peter Karbe hat wiederholt klargestellt, dass die Behauptung, Leica hätte den (digitalen) Zug fast verpasst, einfach falsch ist. Tatsächlich brachte Leica Anfang 2004 das digitale Rückteil für die R8/R9 heraus. Mit 10 Megapixeln Auflösung und einem Crop-Faktor von nur 1,3 war es den meisten anderen auf APS-C basienden Lösungen zu dieser Zeit voraus. Außerdem war es technisch weitaus fortschrittlicher als alles, was in die Epson R-D1 eingebaut war.
Zwei Jahre lang hatte Epson den Markt für sich
Eine digitale M erwies sich jedoch als weitaus anspruchsvoller, da es zwischen konventionellen Messsucher-Objektiven und digitalen Sensoren, eher kompliziert ist. Das liegt unter anderem daran, dass der hintere Nodalpunkt, insbesondere bei Weitwinkelobjektiven, oft sehr nahe an der Sensorebene liegt. Das wieder bedeutet, dass die Lichtstrahlen den Sensor in einem sehr steilen Winkel erreichen. Und Leica wusste natürlich, dass eine digitale M, die nicht richtig mit den alt-ehrwürdigen M-Objektiven funktioniert, mehr als nur eine PR-Katastrophe wäre. So kam es, dass Epson ein absolut einzigartiges Produkt anbieten konnte, bis die Leica M8 im November 2006 auf den Markt kam. Und das war tatsächlich ein Medienereignis, über das unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ ausführlich berichteten.
Der Rest ist (mehr oder weniger) Geschichte. Leica verbesserte die M8 zur M8.2, mit einem besseren Handling des Infrarotspektrums, und landete schließlich 2009 mit der M9, der ersten digitalen Vollformat-Messsucherkamera, einen großen Erfolg. Die M9 war auch das letzte Modell mit einem CCD-Sensor und wird immer noch von vielen aktiven Fotografen geradezu kultisch verehrt. Mit der Leica M (Typ 240 und ihren Derivaten) ab 2013, der M10 von 2017 und schließlich der aktuellen M11-Familie blieb Leica sehr konsequent und auch wirtschaftlich höchst erfolgreich am Ball. Epson hingegen gab schon bald wieder auf.
Etwas Geschichte: Wie die Epson R-D1 ein Nischenprodukt blieb
Auch bei der Epson R-D1 gab es seinerzeit einige Verbesserungen, aber nichts wirklich Neues in Bezug auf Sensortechnologie oder Größe. Die Modelle R-D1s, R-D1x und schließlich die D-D1xG kamen mit weiterentwickeltem Schwenkdisplay und besseren SF-Karten-Schnittstellen, aber sie blieben CCD-Kameras mit 6,1 MP. Die Produktion des ersten Modells endete um 2009, die letzten Exemplare wurden an Kunden verkauft, die in einer Art Lotterie gewonnen hatten.
Verkaufszahlen wurden nie veröffentlicht (man hört von 10.000 Stück insgesamt), aber ich weiß von Händlern, dass die Kamera damals kein besonders großer Erfolg war. Ihr fehlte auf der einen Seite der Leica-Faktor für den geneigten M-Besitze, auf der anderen Seite war sie viel zu teuer für Neueinsteiger. Ganz zu schweigen von den sehr eingeschränkten Möglichkeiten, echte Weitwinkel einsetzen zu können (und darum geht ja irgendwie schon bei der Messsucherfotografie, oder?), da bleiben der sensorbedingte Crop-Faktor und zugleich die Auslegung des Messsuchers echte Hindernisse.
Im Grunde ist der Epson R-D1 eine Voigtländer R2 mit Sensor
Natürlich konnte Epson diese Kamera nicht allein bauen. Und in der Tat ist die Epson R-D1 in vielerlei Hinsicht eine Cosina/Voigtländer-Kamera. Sie nutzt im Kern das Gehäuse der Voigtländer R2 Messsucherkamera und ersetzt dort im Wesentlichen den Film durch den Senso und den Platz für die Patrone durch den Batterieschacht. Man füge die nötige Elektronik, ein paar Anzeigen, einen dreh- und schwenkbaren Bildschirm (und das wir wirklich ziemlich innovativ im Jahr 2004!) und einen SD-Kartenslot hinzu, und schon ist die Digitalkamera fast fertig. Ach so, und an die Stelle des Film-Zählwerks und der Rückspulkurbel traten ein sehr eigenwilliges Anzeigeinstrument und ein neuartiges Bedienelement. Es gibt sogar noch den guten alten Filmtransporthebel zum Aufziehen des (übrigens ziemlich lauten) Verschlusses!
Ein lebender Dinosaurier schon bald nach Markteinführung also, aber es dauerte dann doch bis 2014, bis Epson die R-D1x abkündigte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Epson/Cosina im Wesentlichen die gleiche Kamera seit über zehn Jahren verkauft, und das in einer Zeit des rasanten technischen Fortschritts in der Digitalfotografie. Auch die Chuzpe muss man erst mal haben.
Die ursprüngliche Epson R-D1 hatte einen empfohlenen Verkaufspreis von rund 3.000 Euro. Zum Vergleich: Die Olympus E-1 Four Thirds-DSLR kostete 2003 etwa 2.000 Euro und die Canon EOS 5D Vollformat-DSLR lag2005 bei etwa 3.400 Euro. Und der Preis für die damals neue Leica M8 betrug am Tag ihrer Markteinführung im November 2006 4.195 Euro. Nach ein paar Jahren wurden die R-D1 als Ladenhüter jedoch für deutlich weniger verkauft. Inzwischen, 2024, hat der Hersteller jeglichen Support für die Kamera eingestellt.
Die Epson R-D1 in der praktischen Anwendung
Also, eines vorab: Diese ganze Kamera schreit ‚analog‘: Anstelle eines oberen LCD- oder LED-Displays gibt es eine Reihe analoger Zeigeranzeigen für Akku, Weißabgleich, verbleibenden Speicherplatz auf der (maximal 2 GB großen) SD-Karte und Dateiformat (RAW, High, Normal). Es wirkt tatsächlich ein bisschen wie das Armaturenbrett eines VW-Käfer in einem Elektroauto. Wörter dafür gibt es genügend: eklektisch, retro, originell, verspielt, das ist wohl vor allem Geschmackssache. Aber festzuhalten ist schon auch: Wer noch aus der Film-Ära kommt, wird das Handbuch (kostenloser Download von Epson hier) kaum brauchen, alles ist ziemlich selbsterklärend.
Oh, dieser wunderbare „Rückspulknopf“ – da steckt so viel Liebe zum Detail drin!
Und die Epson R-D1 hat tatsächlich einige wunderbare Detail-Lösungen. Der ‚Rückspul‘-Knopf ist ein Scroll-Rad, mit dem man durch das Menü blättern kann. Dieses ist tatsächlich hübsch gemacht und sieht in all seiner Originalität auch nach 20 Jahren noch attraktiv aus. Finde ich jedenfalls. Man kann das Einstellrad sogar anheben, um eine zweite Funktion aufzurufen! Leica hat mehr als zehn Jahre gebraucht, um diese Idee in Form der ISO-Einstellung der M10 zu übernehmen. Der Bildfeldwähler/Brennweiteneinstellung (es gibt keine Automatikfunktion wie bei den M- Leicas) ist von anderen, analogen Voigtländer-Kameras wie den in den M-Files auch schon vorgestellten Modellen R3M (längere Brennweiten) und der R4M (die Weitwinkelspezialistin) bekannt. Auch der kleine Hebel auf der Rückseite zur Einstellung von Weißabgleich und Bildqualität ist eine nette Idee. Alles in allem würde ich sagen, dass die Machart dieser Kamera auch heute noch recht beeindruckend ist.
Die Epson R-D1 ist im Kern vor allem für die Verwendung mit ihrer Zeitautomatik konzipiert – Nutzer wählen die Blende, und die Kamera steuert die richtige Belichtungszeit ein, je nach dem gewählten ISO-Wert natürlich. Eine ISO-Automatik gibt es selbstredend nicht, aber über das allgemein bekannte Einstellrad lässt sich die Belichtungszeit im M-Modus frei einstellen. Im AE-Modus wird dieses Rad zur Korrektur der Belichtung verwendet. In die Kamera verbaut sind LEDs, die im Sucher, die Verschlusszeit einspiegeln. Diese sind auch bei hellen Lichtverhältnissen gut sichtbar und reichen von 1 (eine volle Sekunde) bis 2000, wobei blinkende Zeitwert-LEDs anzeigen, dass ein Korrekturfaktor eingestellt ist. Immerhin.
Eine Anleitung für die Epson R-D1 braucht man kaum
Alles in allem ist die Epson R-D1 Kamera, mit der sich niemand schwer tun wird, der oder die schon einmal mit einer Messsucherkamera gearbeitet hat. Das Einzige, was man beachten muss, ist, dass das 28er natürlich nur den Bildwinkel eines 42-mm-Objektivs ergibt. Wer es weiter braucht, sagen wir die M-Klassiker 35 oder 28 mm (63/75 Grad Diagonale) im Vollformat-Äquivalent, benötigt ein 24er beziehungsweise sogar ein 18er Vollformat-Objektiv und einen externen 35/28-Sucher (über dieses bisweilen wichtige Zubehörteil gibt es hier eine extra M-Files-Folge). Andererseits wird dank des Crop-Faktors aus dem 35er ein etwas längeres 50er und aus dem 50 ein 75er.
Der 2-Zoll-Monitor auf der Rückseite verdient eine noch besondere Erwähnung. Er ist irgendwie von begrenztem Nutzen, wenn es darum geht, die eben gemachte Aufnahme zu beurteilen. Es dauert ewig, und die Auflösung ist mies. Es gibt natürlich auch keinen Live-View, was dem Klappmechanismus so ein bisschen den Sinn fürs Fotografieren zum Beispiel in Bodennähe oder über Kopf nimmt.
Aber der geneigte Benutzer kann den gesamten Bildschirm umklappen, und bekommt dann eine Kamera, die in Aussehen und Bedienung sehr auf das Wesentl… äh, also: minimalistisch geworden ist. Sogar die Filmempfindlichkeits-Merkscheibe von M3 in Konsorten haben die Designer nachempfunden. Jedenfalls lässt diese Kamera im Handumdrehen in ein Leica-D-ähnliches Modell verwandeln. Und schon geht es los mit einer Art zu fotografieren wie bei der Markteinführung der Leica M3 vor genau 70 Jahren. Das macht Spaß… und wurde schon vor zwanzig Jahren entwickelt, als das Wort retro noch gar nicht so in aller Munde war.
Bilder aus der Epson R-D1
Ich habe die Epson R-D1 hauptsächlich mit dem Voigtländer Color-Skopar 2,8/28 verwendet. Ich kann nicht wirklich sagen, warum, aber es fühlte sich einfach richtig an, diese Kamera mit diesem neuen und super kleinen Objektiv zu kombinieren. Und es ist ein bisschen ja auch: Cosina zu Cosina. Zusätzlich habe ich für Versuche das Leica APO-Summicron-M 50 an die R-D1 gepackt. Damit wollte ich mögliche negative Auswirkungen der verwendeten Optik auf das Bildergebnis ausschließen: Das 50er APO war das beste Objektiv, auf das ich für diesen Test zugreifen konnte (es ist auf jeden Fall ein Weltklasse-Objektiv), und ich war sicher, dass es das Maximum aus dem Sensor herausholen würde. Andere Objektive, die ich an der Epson hatte, waren das Laowa 4,0/14 (das zu einem 21er wird) und das neue Voigtländer 1,5/50 (hier also ein 75er).
Ich habe den Beispielen die EXIF-Daten mitgegeben – so, wie sie von der Kamera eben aufgezeichnet wurden. Die Belichtungszeiten wirken für mich etwas unkonventionell, und die Blende wird vom Epson R-D1 weder gemessen noch geschätzt (und ich habe mir nicht die Mühe gemacht, sie jedes Mal aufzuschreiben). Ich habe die Bilder mäßig nachbearbeitet, um das Beste aus den RAW-Dateien herauszuholen, ohne dass ein falscher Eindruck entsteht.
Hierbei ist es gut zu bedenken, dass die Gesamtbildqualität immer eine Funktion der Sensor- und Objektivauflösung ist. Deshalb ergibt ein hochauflösendes Objektiv auch auf einem niedrig auflösenden Sensor Sinn und ein hochauflösender Sensor holt das Beste aus einem minderwertigen Objektiv heraus. Jono Slack schrieb darüber am Ende seines wunderbaren M11-Berichts hier auf Macfilos und zitierte dabei aus einem ausgezeichneten Blog-Artikel von Roger Cicala. Ich bin ziemlich überzeugt von diesem Ansatz, der zeigt, dass der Satz „Dieses Objektiv ist zu gut für meine Kamera“ tatsächlich irreführend ist.
Die Fokussierung der Epson R-D1 kann knifflig sein
Ich war gespannt, wie meine Trefferquote bei der Bildschärfe sein würde. Der Messsucher mit seiner 1,0-fachen Vergrößerung ist erstaunlich, da ist dann eben die positive Seite dran, dass die Kamera für echte Weitwinkelobjektive so schlecht geeignet ist. Ich habe es tatsächlich auch geschafft, mit beiden Augen zu fotografieren, was eine interessante Erfahrung war. Das Entfernungsmesser-Feld der Epson R-D1 ist ziemlich klein, und der Sucher ist auch nicht der hellste, den ich je gesehen habe. Außerdem beträgt die effektive Messbasis nur 37 mm (Leica M10 mit 0,72er Sucher: 50,6 mm). Daher auch die wenig mutige Entscheidung für das Voigtländer 2,8/28. Die Ergebnisse damit waren aber tatsächlich gut. Ich ging dann weiter zum APO-Summicron 50 und hatte immerhin noch eine ordentliche Erfolgsquote bei Offenblende. Aber das Fokussieren Blende 1,5 mit dem Voigtländer Nokton 50 und auf nahe Distanz nahm dann eher Lotterie-Charakter an.
Auflösung: Zurück in die Zukunft mit 6,1 MP
6,1 Megapixel klingt im Jahr 2024 lächerlich? Moment mal. Die Bilder haben 3008×2000 Pixel. Und was hat so ein durchschnittlicher Monitor? 1920 an der langen Seite? 2560? Wer also keinen 4k-Bildschirm hat, sieht die Bilder des Epson R-D1 also nicht in voller Auflösung. Sicher, es gibt dann schon große Einschränkungen beim Croppen, und Ausdrucke in A3 sehen aus nächster Nähe körnig aus. Aber wer gut ist im formatfüllenden Fotografieren (vielleicht dank reichlicher Übung mit Diafilmen), kann mit diesen 6,1 Megapixeln mehr erreichen, als man vielleicht so denkt. Wenn dann auch noch Beleuchtung und Motivkontrast gut sind, ist das, was die Epson R-D1 so fabriziert, mehr als erfreulich. Außerdem haben die RAW-Dateien nur schlanke 9,7 MB!
Die Welt in ihren schönsten Farben
Natürlich ist es immer auch Geschmackssache, und die Nachbearbeitung kann viel mit den Farben digitaler Bilder anstellen. Dennoch verdienen die Farbcharakteristik der Bilder aus der Epson R-D1 eine besondere Erwähnung: Dank des CCD-Sensors (glaube ich) sind die Bilder reich an Farbnuancen, gut gesättigt, und die (in Lightroom) bearbeiteten RAW-Dateien haben einen ausgeprägt warmen Ton. Wer parallel dazu JPGs aufzeichnet, kann einen deutlichen Unterschied feststellen: Die JPGs sehen kühler aus und tendieren eher ins Blaugrüne. Auf jeden Fall ein schönes Ergebnis für eine so alte Kamera.
Monochrom-Modus: Wird die Epson R-D1 überschätzt?
Der Epson R-D1 ist auch so ein bisschen berühmt für ihren Monochrom-Modus, und von der Leica M9 Monochrom wissen wir ja auch, dass dies ein Feld ist, auf dem CCD-Sensoren brillieren können. Allerdings muss man schon unterschieden zwischen Kameras, die von vornherein keinen Bayer-Filter eingebaut haben und nur schwarzweiße Bilder aufzeichnen wie die monochromen M-Leicas, und Kameras, die halt aus dem Farbbild Graustufen errechnen.
Eine solche ist die Epson R-D1, und wer mit ihr Schwarz-Weiß-Bilder machen möchte, muss darauf achten, dass RAW+JPG ausgewählt ist – die RAW-Dateien behalten die Farbinformationen, nur die JPG-Versionen werden konvertiert. Für diese lassen sich dafür aber elektronische „Filter“ auswählen. Solche Algorithmen gibt es für Gelb-, Orange-, Rot- und Grünfiltereffekte. Ich fand die Unterschiede zwischen Gelb, Orange und Rot nicht allzu groß. Aber das hängt natürlich auch von den Farben des Motivs ab. Und ich muss einräumen, dass meine Kenntnisse da eingeschränkt sind. Wenn ich Schwarz-Weiß-Bilder haben will mache ich das entweder in der Nachbearbeitung oder gleich mit einer Monochrom-Kamera (in diesem Fall immer mit Farbfiltern – hier steht, warum sie unverzichtbar sind).
Hoher ISO-Wert? Besser als man denken würde
Der ISO-Bereich der Epson R-D1 reicht von 200 bis 1600. Ich habe die Kamera hauptsächlich bei Basis-ISO verwendet und erwartet, dass die Bildqualität bei höheren ISO-Werten schnell nachlassen würde. Umso mehr war ich überrascht, bis ISO 800 gute Ergebnisse zu sehen, und selbst bei ISO 1600 sind die Bilder brauchbar. Nach heutigen Maßstäben ist ein akzeptables Bildrauschen bei ISO 1600 sicherlich nicht, aber für 2004 ist das schon recht beeindruckend. Und wer RAW fotografiert, kann dann auch noch die KI-Entrauschungs-Zauber-Algorithmen ranlassen. Die Verwendung von lichtstarken Objektiven ist wie gesagt weniger eine Option in dunklen Stunden – da fehlt es irgendwann doch an der Präzision des Messsuchers, wenn es bei Blende 1,2 oder 1,4 zum Schwur kommt (und das niedrig auflösende Display auf der Rückseite ist auch keine große Hilfe, wenn man hinterher wissen will, ob die Schärfe sitzt).
Der Leica voraus: So unkompliziert kann das Belichten sein
Mit der Messung auf den Verschlusslamellen setzt die Epson R-D1 auf eine recht konventionelle Technik zur Belichtungsmessung. Im Grunde ist es die gleiche wie bei allen Leica-M-Digitalkameras bis zur M10. Nur die M11 nutzt den Sensor selbst, um das Licht zu messen. An der Leistung der Epson gibt es diesbezüglich aber absolut nichts auszusetzen. Die Charakteristik ist mittengewichtet und weitaus konventioneller als Leicas sehr spezielles (und anfangs schwer zu durchdringendes) Messprinzip, das ja eher punktförmig ist. Die Belichtungskorrektur erfolgt wie erwähnt über das Zeiteneinstellrad.
RAW oder JPG? Diese Frage stellt sich bei der Epson R-D1 eigentlich nicht
Ich habe eigentlich nur mit RAW-Dateien gearbeitet. Die Epson R-D1 kann aber parallel beide Dateiformate speichern, und ich habe ein paar schnelle Tests gemacht. Wozu ich nicht kam: Die Kamera bietet die Möglichkeit, einige Voreinstellungen für „Filme“ mit Parametern für Kantenverstärkung, Sättigung, Farbton und Kontrast vorzunehmen. Ich habe das übersprungen, weil ich mehr an der reinen Leistung des Sensors interessiert war. Und da muss ich sagen: Für eine 20 Jahre alte Kamera ist das alles ziemlich erstaunlich. Die JPG-Versionen der Dateien sahen für mich etwas blauer oder grüner aus, und die Spitzlichter neigten stärker zum Ausfressen. Aber da sogar die neueste Lightroom-Version diesen Kameradinosaurier unterstützt, sehe ich keinen wirklichen Grund, nicht im RAW-Format zu fotografieren (oder, in diesem Fall, ERW, das ist die korrekte Bezeichnung des Dateiformats).
Einige abschließende Gedanken zur Epson R-D1
Die Entscheidung, die Epson R-D1 in den frühen 2000er Jahren zu entwickeln, zu produzieren und zu verkaufen, war auf jeden Fall ein echt mutiger Schritt. Epson und Cosina brachten eine Kamera auf den Markt, die in vielerlei Hinsicht revolutionär und zugleich in manch anderer Hinsicht ziemlich konservativ war. Zum Beispiel war der 6,1-MP-CCD-Sensor schon zu dieser Zeit nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik. Auch die kurze Entfernungsmessbasis weist die gleichen Einschränkungen auf, wie sie auch bei den analogen Voigtländer-Kameras charakteristisch sind. In einem zeitgenössischen Bericht für Luminous Landscapes schreibt der bekannte Experte Sean Reid: “ In most important respects, the R-D1 functions as the digital rangefinder that many of us have been waiting years for.“ Wer will, kann den Testbericht von Sean Reid auch als einen der kostenlosen Artikel auf Reids ansonsten bezahlpflichtiger (und großartiger!) Website lesen.
Heute ist die Epson R-D1 wohl hauptsächlich von historischem Interesse. Sie war ein Pionier-Produkt, das Leica in gewisser Weise in den Schatten stellte. Aber die Wetzlarer reagierten darauf mit einer viel moderneren Kamera mit größerem Sensor und weitaus besserer Kompatibilität mit einer großen Anzahl von alten Leica M-Objektiven. So schön die Bilder dieser Kamera also auch sein mögen, wären es heute doch eher Sammler, die eine Epson R-D1 kaufen würden. Immer mal wieder wird eine angeboten, und das bezeichnenderweise oft zu Preisen, die über denen der Leica M8 liegen, so dass jeder aktive Fotograf lieber zu einer gebrauchten M240 greifen sollte (Macfilos-Kollege Keith James beweist, was man mit dieser Kamera so hinbekommen kann,und dieser Artikel ist der erste einer sehr empfehlenswerten Serie).
Wie schade: Am Ende erwies sich die Epson R-D1 als Sackgasse
Leider erwies sich die Zusammenarbeit zwischen Epson und Cosina als Sackgasse: Epson verlor offenbar das Interesse am Fotogeschäft und Voigtländer konzentrierte sich zunächst auf analoge Kameras und nun auch schon wieder seit vielen Jahren nur noch auf Objektive. Aber auch aus heutiger Sicht ist doch zu sagen: Hut ab vor den mutigen Leuten von vor mehr als 20 Jahren. Oder, um Sean Reid in der erwähnten Rezension von 2004 das letzte Wort zu geben: “ This is an exceptional little camera, one of the best and most enjoyable I have ever used.“
Die M Files wären nicht vollständig (wenn das überhaupt ein Ziel sein kann) ohne diese Episode zur Epson R-D1. Aber dieser Artikel wäre ohne die Unterstützung von David B. nicht möglich gewesen. Er hat mir seine R-D1, eine Kamera in hervorragendem Zustand, für einen längeren Zeitraum geliehen. Daher möchte ich ihm diese Folge der M Files persönlich widmen. Danke, David, für deine Hilfe, dein Vertrauen und deine Großzügigkeit.
Die M-Files: M-Mount-Objektive, -Kameras und passendes Zubehör jenseits von Leica M
Die M-Files sind ein Langzeit-Projekt. Es konzentriert sich auf Foto-Ausrüstungsteile mit oder für Leica M-Bajonett, die von anderen Firmen als Leica hergestellt werden/wurden oder die sonstwie nicht zum M-System von Leica gehören. Es verfolgt einen mehr oder weniger enzyklopädischen Ansatz, ohne wissenschaftlich zu sein. Der Schwerpunkt liegt immer auf der praktischen Nutzung von Kameras, Objektiven und anderen Produkten. Zu den in den M-Files besprochenen Ausrüstungsteilen gehören Kameras, Objektive, Sucher, Belichtungsmesser und mehr. Einige der Marken auf der wachsenden Liste sind Billingham, Contax, Gossen, Konica, Minolta, Rollei, Sekonic, Voigtländer und Zeiss.
Lieber Markus Kebschull, vielen Dank für die freundliche Rückmeldung. Tatsächlich geht es mir auch oft so, dass ich ein Voigtländer-, Zeiss- oder auch Minolta-Objektiv in die Hand nehme und mir denke, dass das noch in Jahrzehnten mir oder jemand anderem Freude bereiten könnte. Darum versuche ich ja auch, die schnelllebige Digitalkamera-Seite der M-Files nicht so in den Vordergrund zu stellen. Oder andersherum: Die Konzentration auf Nicht-Leica-Kameras führt einen zumeist von selbst in die nachhaltigeren Gefilde aus der Vor-Digital-Zeit. Wobei ich zur Ehrenrettung sagen muss, dass auch die digitalen Leicas ab der M (Typ 240 und Derivate) sehr langlebig und bis heute eine Kaufempfehlung sind. Viele Grüße und ja, wir machen weiter so (so lange ich Lust und Zeit habe), Jörg-Peter Rau
Die M-Files machen richtig Freude. Nach jedem Bericht wird erst einmal geprüft, wo und wie man die beschriebenen obskuren Objekte der Begierde vielleicht bekommen kann…die Recherche bringt einen wieder zur Besinnung, aber die Freude etwas über diese „historischen“ Stücke gelesen zu haben hinterlässt einfach ein schönes Gefühl. Oft sollte man es dabei belassen, denn digitales hat einfach ein „Verfallsdatum“…analoges, mechanisches ist doch noch eine andere Geschichte: Man wird mit Glück auch noch in Jahrzehnten funktionierendes finden. Da sind bei digitaler Technik durchaus Zweifel angebracht…oder ist meine Sicht an dieser Stelle zu pessimistisch? Anyway: Vielen Dank für das Teilen Ihrer aller Berichte, Ideen, Anregungen: Weiter so!