…in den „Steinbrüchen des Lichts“
In der Himmelfahrtswoche war ich in die Alpilles gefahren. Mit voller Absicht in eine Gegend, mir der ich bestens vertraut war. Jeder kennt das: Man verliert keine Zeit, sich erst zurechtzufinden. Die Alpilles (also: die „kleinen Alpen“) ist ein Gebirgszug südwestlich von Avignon. Der schroffe Kalkstein, aus dem er besteht, macht ein bisschen sowas wie Geo-Mimikri: Man hat den Eindruck von Hochgebirge, dabei sind die Gipfel nicht höher als z.B. bei uns in Lippe, also mal gerade Mittelgebirge. Hauptsächlich war ich zum Rennrad fahren dort und hatte die Gegend bewusst gewählt, weil man die Belastung dabei sehr beliebig steuern kann. Ich hatte vorher echt überlegt, mal wieder den Mont Ventoux anzugehen, aber fühlte mich durch den täglichen Irrsinn im Gesundheitswesen (hauptsächlich bürokratischer Natur) so ausgepowert, dass ich mir was ganz entspanntes ausgesucht (und gefunden) hatte.
Ich setzte auf bekannte Größen: In Maussane am Südrand der Alpilles kannte ich einen guten Campingplatz mit altem Baumbestand und sehr großen Stellplätzen, guten Sanitaires und bei Bedarf einem Swimming-Pool. Der Platz liegt am Ortsrand nur einen Katzensprung vom Hauptplatz entfernt, wo immer was los ist. Morgens zischte ich mit dem Rad kurz zur Boulangerie (während der Kaffee durchlief), um mir ein Croissant, ein Baguette und für Nachmittags ein Pain au Raisins zu holen.
Die Landschaft rund um die Alpilles kommt mir immer wie ein großer Garten vor. Hier sind hauptsächlich Oliven-Plantagen, die sich aber mit der natürlichen Vegetation von Pinien, Steineichen, Zedern, Akazien, Mimosen und der Macchie wunderbar vertragen. Das touristische Hauptziel ist natürlich Les Baux, jene geschichtsträchtige Burgruine auf einem Felsplateau, die täglich zig-Tausende besuchen. Das ist auch lohnenswert, aber da ich wirklich schon oft da war, habe ich mir das diesmal gespart und mich jedesmal kopfschüttelnd mit dem Rennrad durch die Auto- und Menschenmassen gezirkelt, wenn ich über den Pass durchs „Val D’Enfer“ kam.
Einmal war ich Abends, so gegen 21.00 Uhr mal nach Les Baux hinaufgefahren und stellte fest, das es um diese Zeit eine Geisterstadt ist. Völlig menschenleer. Ein extrem krasser Gegensatz zu tagsüber.
Direkt gegenüber von Maussane, nördlich des Gebirges liegt Saint Remy mit der antiken Stadt Glanum und der Abtei Saint-Paul-de-Mausole, wo van Gogh eine zeitlang war, nachdem die Bürger von Arles den „Spinner“ rausgeekelt hatten. Um diese Persönlichkeit dreht sich in der Region natürlich viel, vor allem Arles profitiert von dem Hype um den berühmten Maler, den sie einst aus der Stadt vertrieben. Aber Arles ist aus verschiedenen Gründen immer einen Besuch wert.
Rein fototechnisch hatte ich gar nichts Großes vor, die vorgenannten Ziele hatte ich bereits mehrfach heimgesucht. Es ging mir bei der Reise auch nicht darum, „Content“ für die Webseite zu schaffen, sondern „runter zu kommen“. Normalerweise bin ich ja Equipment-Minimalist, bevorzugt „one lens, one camera“. Diesmal, man weiß ja nie, hatte ich mir alle Optionen offen gehalten und alles mitgenommen: Die Leica Q3, die M11-P, die M10-M und die M6. So viele wertvolle Kameras (und Linsen) auf einen Haufen in einem Auto machten mir keine Sorgen, denn der Bulli würde die ganze Woche auf dem Campingplatz stehen, und da wissen die Nachbarn ganz schnell, wer wozu gehört (versichert ist der Kram ausserdem).
Bei den täglichen Touren mit dem Rennrad hatte ich immer eine Kamera dabei (meist die Q3 oder die M11-P). Nach kurzer Verschnaufpause auf dem Platz packte ich dann je nach angestrebter Location die kleine Hadley-Tasche und schnappte mir das E-Bike. Manchmal fuhr ich einfach der Nase nach durch das Gebirge, aber dann auf den Schotterwegen, die kreuz und quer verlaufen und die mit dem Rennrad nicht befahrbar sind (ein Eldorado für Gravelbiker). Diese Wege sind teilweise fahrtechnisch Mountainbike-Niveau und nichts für Sonntags-E-Biker. Ich war auch mehrfach in Arles (nur ca. 20km entfernt und es gibt eine schöne Nebenstrecke am Aqueduc de Barbegal vorbei), über den Bergkamm nach Glanum und St. Mausole oder besuchte den Wochenmarkt in Eygalières.
Das Wetter (immer ein wichtiger Faktor beim campen und radeln) war Anfang der Woche noch frühlingshaft kühl, aber sonnig. Nachdem der Mistral (Markise einfahren, Zelt sichern: Windstärken bis deutlich über 5 Bft!) dann sämtliche Wolken weggefegt hatte, wurde es jeden Tag wärmer. Am letzten Tag landeten wir bei 33° Celsius. Ich war an einem Freitagmittag (vor der Himmelfahrtswoche) angekommen und konnte das Wochenende schon gut nutzen. Am Montag dann war es ziemlich regnerisch angesagt. Das war vorher klar, und ich hatte mir vorgenommen, den Leica M9-Rückblick fertig zu machen.
Die Bilder dafür hatte ich schon zuhause ausgesucht und wer weiß, möglicherweise haben ein paar davon mein Unterbewusstsein für mein Reiseziel getriggert. Die sind auch in dieser Gegend entstanden, da wir 2012 mit der ganzen Familie in Orgon im „Vallée Hereuse“ gecampt hatten und das war eine wunderschöne Zeit. Auch damals hatten wir natürlich Les Baux besucht und da war mir zum ersten Mal der stillgelegte Kalksteinbruch gleich „nebenan“ aufgefallen, der sich nun „Carrières des Lumières“ nannte und Bilder von van Gogh immersiv projiziert anbot. Zu der Zeit ging das an mir vorbei. Auch in den Folgejahren ignorierte ich den Steinbruch. Aber an dem Montag Morgen erschien mir die Aussicht, den ganzen Tag am oder im Bulli zu bleiben, ein wenig zu passiv und einschränkend, zumal es zwar wolkenverhangen war, aber nicht regnete. Da sollte erst Mittags was kommen.
Ich checkte die Website und stellte fest, dass die Carrières um 9.30 Uhr öffneten. Karte buchte ich flugs online und da es schon kurz nach 9.00 war, packte ich schnell die Hadley und schwang mich aufs E-Bike. Bis Les Baux sind es nur 5km, da war ich locker rechtzeitig da. Und als dann Einlass war, nahm ich die Kamera aus der Tasche und dachte innerlich Fluchworte, die ich hier nicht guten Gewissens wiedergeben kann. Denn im halbdunkel des Bullis war mir ein Fehler unterlaufen, der nur Leica-Usern passieren kann: Statt der M11-P hatte ich die M6 gegriffen. Das wäre ja noch mit einem halbwegs empfindlichen Film ok gewesen, aber in Erwartung von viel Sonnenschein hatte ich in die am Vortag schon einen Silbersalz 50D eingelegt, der mich mit ganzen 25ASA für Low-Light-Aufnahmen beglückte. Einen anderen Film hatte ich ausserdem nicht mit (im Bulli war ein Portra 800, arrgh!).
Naja, ich besuchte trotzdem die Show und liess das Ganze auf mich wirken. Das „Immersive“ ist schon ein Erlebnis der Sinne und bringt sicher vielen Kunst näher, die sie sonst nie wahrnehmen würden. Das Program war das alte Ägypten und danach die Bilder der „Orientalistes“ Ingres, Delacroix und Gérôme. Mit Videomapping und passend unterlegter Musik wird der Zuschauer mitten hinein versetzt. Ich machte sogar ein paar Fotos mit auf einem Geländer aufgelegter Kamera, aber ob die was wurden… der Film ist jetzt zum Entwickeln.
Ich nutzte den Rest des Tages, den M9-Artikel fertig zu stellen. Aber irgendwie nagte die Sache mit der verwechselten Kamera an mir. Ich beschloss, am nächsten Morgen einen neuen Versuch zu machen. Wenigstens wusste ich jetzt ganz genau, was ich zu erwarten hatte und nahm deswegen die M11-P und die Leica Q3 mit. Ja, und die waren auch in der Tasche, als ich dort ankam.
Die Projektion auf die riesigen Kalksteinflächen der Wände und Säulen hüllen die Besucher ein, die nach Lust und Laune flanieren können. Nach und nach füllte sich der Steinbruch, aber selbst hunderte von Leuten hatten reichlich Platz. Ich hatte bereits am Vortag die besten Winkel für Fotos ausgespäht und begab mich gleich dorthin. Zunächst hatte ich das 21mm Color-Skopar auf der M11-P, um möglichst einen Gesamteindruck einzufangen, stellte aber schnell fest, dass das die Leica Q3 technisch besser konnte, einfach, weil das Color Skopar einen deutlichen Nachteil in der Lichtstärke hatte. Dafür war die M11-P mit dem 35mm Apo-Summicron und insbesondere mit dem 50mm Summilux wunderbar für das einfangen von Details, als ich selbst durch die Gänge spazierte.
Die Helligkeit konnte stark variieren. Zur Schonung der Highlights hatte ich bei beiden Kameras schon mal -1 EV Belichtungskorrektur gewählt. Blende natürlich soweit offen wie möglich, kam es bei Auto-ISO trotzdem vor, dass 25.000 erreicht wurde. Das kratzt einen selbst ohne KI-Rauschunterdrückung bei den Sensoren wenig.
Und als ich mir die DNG’s dieses zweiten Besuchs auf dem Macbook ansah, war ich selbst verblüfft von der Tiefenwirkung mancher Aufnahmen. Jedenfalls hatte die Aktion zumindest fototechnisch Spass gemacht, obwohl dieses bunte Treiben nicht jedermanns Sache sein mag. Ich habe ein Faible für diese farbenfroh illuminierten Events (z.B. auch „Der Hermann leuchtet“), weil das, was dabei herauskommt auch so eine Art Benchmark für die Fähigkeit einer Kamera/Objektiv-Kombination darstellt.
Den Rest der Woche verbrachte ich ausschliesslich mit Outdoor-Aktivitäten und benutzte immer mal eine andere Kamera. Ein paar lohnende Locations finden sich immer, auch wenn man die Gegend schon oft besucht hat. Ich denke, ein Artikel über das, was mit der M10-Monochrom einzufangen war, wird auch noch folgen: Leica M10-M: „Architektur und Antike Artefakte“ (oder so ähnlich, mal sehen).