Nachtansichten mit der Leica M11-P
Die „Nachtansichten“ in Bielefeld sind ein Event, bei dem diverse Strassen und Plätze illuminiert sind und alle Galerien, Theater, Museen, Kirchen und alles mögliche geöffnet sind und überall Konzerte oder andere Happenings stattfinden. Mit einer Karte kann man überall rein. Klar, sowas gibt’s auch in anderen Städten, aber die sind nun mal nicht unsere ostwestfälische Metropole.
Ich wurde von meiner Frau aus der selbstgewählten Lethargie gerüttelt und dorthin verfrachtet, weil eine unserer guten Bekannten (die Musikerin ist) auch in einer der Kirchen „eine Mucke“ hatte. Das war noch am frühen Abend und danach besuchten wir die diversen Locations. Bei zunehmender Dunkelheit wurde das Licht immer interessanter, obwohl von mir aus die blaue Stunde gerne permanent sein dürfte.
Ursprünglich dachte ich „Nacht? Beleuchtung? Ein Job für die Q3!“, aber die hatte ich zuletzt so oft benutzt, dass ich richtig Entzugserscheinungen hatte, mal wieder zur M11-P zu greifen. Da ich mich nicht übermäßig mit Equipment belasten wollte, kam nur das 35er Apo-Summicron auf die Kamera, weil das so in die kleine PacSafe-Tasche passt. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, das 28er Summicron oder zusätzlich das 21mm Color-Skopar einzustecken, aber das war mir schon wieder zu viel Aufwand.
Zur blauen Stunde waren wir im Ravensberger Park, wo historische Fabrikgebäude (eine ehemalige Flachsspinnerei, im 19. Jahrhundert eine der größten in Europa) und Villen zu Museen, Kino und Volkshochschule umgewandelt sind.
Nach einem Gang durch das Historische Museum gingen wir über den Kesselbrink zum Jahnplatz, wo „um die Ecke“ das Rathaus ist.
Es war trocken, das fast sommerlich milde Wetter lockte tausende in die Stadt, besonders später am Alten Markt war es extrem voll. Konfrontationstherapie für Agoraphobiker.
Ausserdem, und das war wirklich auffällig, roch es ungefähr an jeder Ecke nach Gras. Und ich meine nicht das hinter unserem Haus. An dem Abend konnte man im vorübergehen stoned werden, vor allem am Kesselbrink.
In der Nicolaikirche tobte ein Rock-Konzert. Sie war natürlich proppenvoll und die Bässe erschütterten das gotische Mauerwerk. Es erinnerte mich zwar mehr an eine schwarze Messe, aber man muss halt offen sein.
Am Klosterplatz ging’s auch bunt zu, der richtige Ort für ein Bier. Dann weiter Richtung Kunsthalle, die natürlich auch offen war. Durch den Skulpturenpark kurz in eine Bar mit Live-Musik, dann weiter zur Marienkirche, in der ein Orgelkonzert stattfand.
Es war schon nach Mitternacht und wir gingen am Rathaus vorbei zurück zum Ravensberger Park. In der Volkshochschule spielte eine kleine Band, die mir bekannt vorkam. Es waren Mitglieder der Canaillen-Bagage, der Schauspieltruppe, deren Stücke ich schon häufig abgelichtet hatte. Ich sprach in der Pause kurz mit Michael Zimmermann, dem Chef der Truppe, der mich einlud, im Sommer bei dem Stück auf der Burg Vlotho wieder dabei zu sein.
Dann waren wir gar. Es war 1.00 Uhr Nachts und wir hatten einige Kilometer durch die Stadt zurückgelegt. Die Fotos sichtete ich heute morgen und fand, dass die M11-P sich trotz nicht vorhandener Bildstabilisierung sehr gut geschlagen hat. Wenn man deswegen nun mal bei kürzeren Belichtungszeiten bleibt, macht das die überragende ISO-Fähigkeit des Sensors mehr als wett. Ausserdem konnte ich das Apo-Summicron natürlich unbesorgt durchgängig bei Blende f/2 lassen. Aber sogar, wenn es die Kamera mal bis 25.000 ISO trieb und DNG’s im Postprocessing noch 1-2 Blenden hochgezogen wurden, ergab das ohne KI-Entrauschung noch ein brauchbares Ergebnis.
Ich hatte mal wieder richtig Biss, was mit der M11-P zu machen. Die Kamera ist für mich intuitiv zu bedienen, dabei denkt sie nicht für mich. Ich muss schon selbst sehen, wo ich auch bis zu -2 Blenden Belichtungskorrektur mache, oder wo ich (bei Mittenbetonter Messmethode) die Belichtung im Bild messe und ob es immer klug ist, ISO auf Automatik zu lassen. Ich war zu faul, den Visoflex mitzunehmen, also habe ich manchmal die Bildkomposition über das Display gemacht. Ohne Perspektivkorrektur in der Kamera, ich finde sie „zu hart“. Wenn nötig, mache ich die lieber (moderat) in Lightroom.
Hat jedenfalls Spass gemacht. Ich war so leicht unterwegs, wie es nur möglich war (ich sah einige mit Stativ und dicken Fotorucksäcken). Das sei auch jedem selbst überlassen, wie er sich ausstattet, aber ich geniesse die Freiheit mit „one lens, one camera“ bei solchen Gelegenheiten. und da muss man mit der M11-P und einer guten Optik (das 35mm Ultron z.B. hätte sich sicher auch gut geschlagen) keine Abstriche machen.
Sehr schön, Claus. Ich kann mit dieser ganzen bunten Illuminiererei zwar nichts anfangen (bin vielleicht aber auch einfach nicht erleuchtet genug), aber die Leistung der M11 kann ich anhand dieser Bilder nochmals besser würdigen. Sehr beeindruckend (und da meine ich nicht nur die Leistung der Kamera, sondern insbesondere auch die des Fotografen)! Grüße aus dem Süden, Jörg-Peter
Moin, Claus.
Mal wieder ein spannendes Thema und eine Erinnerung an Bielefeld, als ich nach dem Leinenweberfest den letzten Zug verpasste und dann bis 5.00 Uhr durchmachen musste:-)
Zur Belichtung habe ich eine Frage, denn die Situationen habe ich oft bei Konzerten. Ich selbst versuche, auf die hellsten Punkte zu belichten, was die Kamera ja auch als bevorzugt einstellen lässt.
Läuft man bei mittenbetonter Belichtung nicht Gefahr, dass die hellen Bereiche ausfressen?
Ich selbst nutze die Perspektivkorrektur mitunter übrigens, um bei der Anzeige der Schärfenebene einfach ein gerades Bild zu haben, möglichst ohne die Kamera dabei zu verziehen. Ich hab noch nicht verstanden, warum mann das Gitter nicht zusammen mit der Schärfeebene im Display anzeigen kann. (Manchmal habe ich da aber tatsächlich Glück und überliste die Elektronik:-) )
Lieber Gruß und vielen Dank.
Moin Kai,
Berechtigte Frage. Wenn man sehr helle kleine Bereiche hat, auf die man Wert legt, ist die mittenbetonte Messung eher fehl am Platz. Bei diesen Städteszenen hatte ich grundsätzlich schon mal -1, -1,3 teilweise -2 EV Belichtungskorrektur, dann richte ich die mittenbetonte Messung auf die helleren Bildanteile und das klappt dann ganz gut. Und man kann ja mal bei einer Bildrückschau aufs Histogramm gucken, ob man richtig liegt. Ganz helle Lichtquellen wie Spots oder Strassenlaternen ignoriere ich, sie können von mir aus ausfressen, soweit nehme ich die Belichtung nicht zurück. Aber wenn, sagen wir, ein Musiker im Scheinwerferlicht steht, ist es mit Sicherheit praktischer, eine Spotmessung vorzunehmen.
Viele Grüße in den Norden,
Claus