Ein bisschen ruhig ist es geworden um den Hashtag #filmisnotdead, den Leica letztes Jahr auf gegebenem Anlass gerne mal benutzt hat. Was nichts daran ändert, dass Film tatsächlich ganz lebendig wirkt. Auch in der Kinoproduktion. Jüngstes Beispiel: Christopher Nolans analoges Epos „Oppenheimer“.

Für der Einführung der neuen alten M6 hat Leica natürlich ein bisschen Marketing-Getöse gebraucht. Der gute alte Silberhalogenidfilm, dacht man wohl, hätte ein bisschen digitale Inszenierung verdient. Der Hashtag #filmisnotdead sollte die Leute neugierig machen auf das, was die meisten wohl eh längst wussten – dass Leica eine neue Messsucherkamera für  Film auf den Markt bringen würde. Und dafür sollte es auch einen instagrammable Grund dafür geben, und da kam #filmisnotdead gerade recht. Wie auch immer, Film lebt auch ohne Social-Media-Gedöns und wird bis heute gerne verwendet. Gleichwohl hat es mich überrascht, dass sogar lange Hollywood-Kinoproduktionen mit ihren vielen Aufnahmestunden immer noch auf Film gedreht werden.

Oppenheimer: „Shot with IMAX film cameras“

„Gedreht mit IMAX-Filmkameras“: Der neue Film „Oppenheimer“ ist ein weiterer lebender Beweis für #filmisnotdead.

In einigen Kritiken zu Christopher Nolans „Oppenheimer“ hatte ich schon kurz nach dem Deutschlandstart über eine besondere visuelle Qualität der Aufnahmen gelesen. Hoyte van Hoytema, der Kameramann, wurde für die Ästhetik des Films gelobt, während die Gesamtbewertung ja eher gemischt ausfiel. In die Bewertung des ganzen Films will ich jetzt nicht einsteigen. Aber ich muss schon sagen, dass ich von dem Zusatz „shot with IMAX film cameras“ irgendwie fasziniert war, als ich das Filmplakat in Schweden sah. Openheimer analog, kann das sein? #filmisnotdead im großen Kinogeschäft? Ja, ich hatte das schon mal gehört über „La La Land“, „Dunkirk“, „Babylon“ oder „Asteroid City“ 

„Film cameras“ interpretiert man als Analogue Native ja wohl als „Kameras für analogen Film“ heißen, oder? Und tatsächlich wurde der gesamte „Oppenheimer“ auf 65-mm-Material gedreht. Das Ergebnis sind Bilder mit krasser Auflösung, die am besten in speziellen IMAX-Kinos aufgeführt werden. Ich bin in solchen Kino-Fragen nun echt kein Experte. Doch klar ist mir schon auch, dass solche riesigen Negative einen besonderen Look in Bezug auf Detailauflösung, Tiefenschärfe und Gesamtbild erzeugten. Oder wie der Kameramann Hoyte van Hoytema über das analoge Projekt von Oppenheimer sagt: “ There is still nothing that can beat the resolution, depth, colour and roundness of the analogue image, nor the overall feeling that film conveys „.

„Oppenheimer“, analog, echt jetzt? Ja, sagt Kodak

Nachdem ich dieses Zitat in einem langen und interessanten (vor allem gegen Ende) von Kodak selbst veröffentlichten Artikel entdeckt hatte, erhielt ich von deren Direktor für Kommunikation die Bestätigung, dass Nolan für seinen „Oppenheimer“-Film tatsächlich analogen Kodak-Film verwendet hat. Das Schwarzweiß-Material, der in vielen langen Einstellungen des Films verwendet wurde, sei speziell für diese Produktion hergestellt worden. Sieht bombastisch (pun intended) aus. Ich kann ihr aus Copyright-Gründen hier keine Oppenheimer-analog-Filmstills einbauen, aber die transportieren es auch nicht richtig. Muss man selbst sehen.

Ein bisschen wie ein Mittelformat-Dia für digital versaute Augen

Auf mich wirkte es ein bisschen so, als würde man Mittelformatdias betrachten. Und zwar, nachdem man zuvor ganz lange nur Bilder gesehen hatte, die aus einer Digicam mit Klein-Sensor gemacht wurden. Die Farben wirken auf mich gesättigt und gedämpft zugleich, während die schwarz-weißen Passagen eine enorme Bandbreite an Grautönen aufweisen. Das sieht alles irgendwie klassisch aus. Ich nehme an, dass Nolan in all seinem Ehrgeiz auch nichts Bescheideneres wollte, als ein zeitloses Stück Kultur zu schaffen. Die Tiefenschärfe ist bemerkenswert gering, was bei den verwendeten, gar nicht so furchtbar engen, Bildwinkeln (ergo: nicht so langen Brennweiten) nur mit einem großen „Sensor“ (in diesem Fall Film), und großen Blendenöffnungen erreicht werden kann. Man darf wohl davon ausgehen, dass Hoyte van Hoytema in dieser Hinsicht Zugang zu allem hatte, was er wollte.

„Oppenheimer“ und die analoge Ästhetik: Fast ein Noctilux-Rendering

Einige Szenen, vor allem in der zweiten Hälfte des Films (nach der Bombenexplosion), erinnerten mich fast an Noctilux-Bilder. Es liegt wohl an dieser extrem geringen Schärfentiefe, bei der die Pupille des einen Auges scharf und die des anderen bereits ein wenig verschwommen sein kann. An einigen Stellen habe ich mich gefragt, ob das wirklich beabsichtigt war (und ja, man während der 180 langen Minuten des Films viel Zeit, sich all diese Details anzuschauen). Oder ob selbst ein Kameramann vom Schlage eines Hoyte van Hoytemas Liga manchmal mit dem Fokus auch danebenliegt.

Wenn Algorithmen gut genug wären, würde niemand analog filmen, oder?

Vielleicht hätte man den analogen Look von „Oppenheimer“ auch mit digitalem Videosequenzen und Algorithmen erzeugen können. Film ist schließlich teuer. Selbst (oder gerade) bei einem Produktionsbudget von 100 Millionen Euro werden auch Kaufleute ihr Wörtchen mitreden. Andererseits müssen Nolan und van Hoytema ja schon ihre Gründe haben, diesen kostspieligen Weg zu gehen. In dem bereits erwähnten Kodak-Artikel wird van Hoytema so zitiert: „Shooting Oppenheimer on analogue film was a no-brainer from the start, and that the immersive quality of 65mm in IMAX 15-perf was an irresistible lure.“ So, so, eine „unwiderstehliche Verlockung“ also.

#thisfilmisdead: Dieser Kodachrome 25 Schmalfilm wird nie mehr entwickelt werden. Der Prozess ist mausetot. Und abgelaufen ist er auch schon seit 41 Jahren. Aber die Canon-Kamera macht noch einen ganz fitten Eindruck.

Hoyte van Hoytema erklärt übrigens auch, was Leuten, die viel mit Optiken arbeiten, auch so auffällt. Warum er 50 und 80 Millimeter (man bedenke das große Filmformat!) als hauptsächliche Brennweiten verwendete und warum er die Blende T 1,4 wählte, die mehr durchlässt als ein f/1,4-Objektiv, wie wir es kennen. Und natürlich war es nicht möglich, dieses Meisterwerk irgendwie mit schnöden Objektiven von der Stange zu drehen, was ebenfalls in dem Kodak-Artikel ausführlich behandelt wird. Auf einer speziellen Kodak-Website kann man übrigens staunen, welch bemerkenswerte Zahl von aktuellen Kinoproduktionen auf Film gedreht wurde.

„Oppenheimer“ analog: Nur in wenigen Kinos kann man das volle visuelle Erlebnis genießen

Leider konnte ich den Film nicht in einer der seltenen IMAX- oder analogen 35-mm-Fassungen sehen. Daher bin ich mit meinem Urteil etwas zurückhaltend. Aber ich finde tatsächlich auch, dass der Film einen einzigartigen Look hat. Das verwendete Filmmaterial ist 250D Tageslicht und 500T Wolfram – Namen, die wir aus dem Silbersalz-Projekt kennen. Hier gibt es Claus Sassenbergs Erfahrungen damit nachzulesen. Also überlasse ich doch gerne Kameramann selbst das letzte Wort. „“Although I shoot a lot of commercials with digital cameras, I still believe that film is more engaging to look at and much closer to the human visual experience.”

5 Kommentare

  1. Lieber Jörg-Peter,
    erstmal vielen Dank für diesen spannenden Artikel. Dass Tarantino auf Kodak dreht, wusste ich, ebenso La La Land, aber das war neu. 65mm sind echt beeindruckend.
    Film hat ein gewisses „Revival“ erlebt, finde ich zumindest. Unter Umständen ist das auch der Langweile einiger Fotografen während des Lock-Down geschuldet. Mir ging es jedenfalls so.
    Früher gab es in jeder kleinen Stadt mehrere Fotolabore, in die man seine Filme zum Entwickeln und Ausbelichten gab. Die gibt es alle nicht mehr.
    Ein Massenmarkt, wie es vor der Digitalisierung war, wird es nie mehr werden. Dazu ist der digitale Workflow viel zu bequem.
    Allerdings zeigen diese Produktionen, dass Film eben doch Dinge hat, die digital nicht kann.
    Viele Grüße
    Dirk

    • Lieber Dirk,

      ich schätze es ähnlich ein wie Du. Analog ist und bleibt eine Nische, aber in der ist einiges Leben drin. Ich freue mich über all die jungen Leute mit den Retro-Kameras. Nur schade, dass die Preishürde so hoch geworden ist. Das letzte Minilab hier in Konstanz schließt dieser Tage. Aber nicht, weil keine Arbeit da wäre – der Inhaber orientiert sich aus anderen Gründen um. Schade,

      Grüße Jörg-Peter

  2. Hallo Jörg-Peter,
    heißt das im Umkehrschluss, dass daher der Engpass vom analogen Film herrührt, (weil viele Kinofilme damit produziert werden)? Anders herum gefragt: wieviel km an analogem Film wurde zur Verfügung gestellt im Verhältnis zum fertigen Film? Hast Du Infos darüber?

    • Nolan selbst gibt die Zahl von 18 Meilen Film an. Plus die Kopien, die an die IMAX Kinos geschickt wurden. Das ist (war) allerdings nicht der Grund der Filmknappheit, die nun beendet ist.
      Eine orig. Filmvorstellung ist nochmals eine andere Welt als die Sicht im „normalen“ (digitalen) Kino. Für Enthusiasten ist eine Reise in solch ein Kino sehr zu empfehlen. Tarantino Filme sind ebenfalls alle im breiten Format gedreht und haben ihren eigenen Look, der auch unterschwellig wahrgenommen wird. Bezüglich der Kodak Kinofilme: Alle Portra Filme basieren auf der gleichen Technologie. Die TGrain Kristalle stammen aus der gleichen Technologie und Rezeptur.

      • Danke, Jörg, so gut hätte ich das nie beantworten können. Man merkt, wie nah Du am Thema dran bist . Grüße Jörg-Peter

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