Möge die Nacht mit dir sein…

Langzeitbelichtungen – wozu braucht man die eigentlich? Meist, weil das vorhandene Licht gering ist und man eine ganze Weile Photonen „sammeln“ muss, um ein Medium (sei es Sensor oder Film) damit zu füllen. Dieser Umstand kann auch einen Teil der Faszination erklären, die die auf diese Weise erstellten Aufnahmen ausmacht: In vielen Fällen erzeugt dieses „Licht sammeln“ eine etwas surreale Stimmung, weil wir die dargestellte Szene mit blossem Auge eher nicht so sehen. Der Sternenhimmel zum Beispiel wird überdeutlich, weil plötzlich Himmelskörper dritter oder vierter Ordnung, die wir mit blossem Auge gar nicht wahr nehmen, in Erscheinung treten.

Das Wesertal am frühen Morgen. Für das Auge war es viel dunkler, aber das Licht der Dämmerung sammelt sich in dieser Aufnahme. Leica M9 mit 90mm Summarit bei f/4.0  32sec  ISO 160

Aber als was gilt „lange Zeit“? Um den Begriff nicht unnötig zu komplizieren bzw. um nicht undefinierte Lücken zu lassen, würde ich als „Langzeitbelichtung“ alles bezeichnen, was sich nicht mehr aus der Hand reproduzierbar sicher und unverwackelt machen lässt. Selbst da entsteht eine Grauzone, denn das hängt natürlich von der Brennweite des Objektivs und der ruhigen Hand des Fotografen ab.

In Südfrankreich – Leica M9 mit 28mm Summicron bei f/4.0  2 sec ISO 1250

Wenn man mal davon ausgeht, dass man bei 35mm Brennweite bei einer Viertelsekunde Belichtungszeit normalerweise entweder Glück haben muss oder bereits Rigor Mortis einsetzt (weshalb man dann einen noch lebenden Assistenten zum betätigen des Auslösers braucht), liegt wohl etwa in diesem Bereich die physische Grenze des aus der Hand Machbaren. Diese wird natürlich heutzutage durch Bildstabilisierungssysteme verwischt, es ist also zum Teil möglich, Langzeitbelichtungen aus der Hand zu machen, was die Definition etwas schwammig macht. Meist geht es aber um Zeiten von mehreren Sekunden bis hin zu Stunden. Welch letzteres meine digitalen Apparate nicht mit machen, da deren längstmögliche Zeit 120  Sekunden (Leica M10, Leica Q) ist, vermutlich ein Kühlproblem des Sensors, im Gegensatz zu bestimmten Modellen anderer Hersteller oder der analogen Apparate, die in Stellung „B“ (Bulb) unbegrenzt den Verschluss offen halten.

Louvre -Leica M240 mit 35mm Summilux bei f/3.4   0,5 sec ISO 200

Im allgemeinen macht man solche Fotos von ziemlich statischen Szenen (ein Gruppenfoto mit dreissig Sekunden Belichtungszeit kann zwar gediegen wirken, erfüllt jedoch meist nicht den beabsichtigten Zweck), aber ausser dem Sammeln von Licht gibt es auch andere Gründe für eine Langzeitbelichtung. Nämlich wenn sich in dem ausgewählten Bildausschnitt in der betreffenden (Belichtungs-) Zeit etwas ändert. Die Standardsituationen sind hier: Fliessendes (oder anders bewegtes) Wasser, Strassenverkehr, Feuerwerk oder Gewitter (in den letzten beiden Fällen erscheinen Lichtblitze, die eigentlich nacheinander auftreten, zusammen auf einem Bild).

Langzeitbelichtung macht man nicht ausschliesslich wegen zu wenig Licht. Im Gegenteil, um die benötigten Verschlusszeiten auch bei Tage möglich zu machen, bedient man sich eines starken ND-Filters (ND = Neutral Density, meist zehn Blendenstufen), der die Lichtmenge künstlich begrenzt. Man kann sich gelegentlich behelfen, wenn man die Blende auf die kleinste Öffnung schliesst, aber erstens ist man bei Sonnenlicht oft immer noch nicht unter 1/15 Sekunde,  ausserdem beeinträchtigt das die Auflösung des Fotos wegen der einsetzenden Diffraktion. Eine andere mögliche Anwendung des ND-Filters ist, wenn man ein Gebäude fotografieren will, aber keinen Wert auf die davor herumwuselnden Menschen legt. Vorausgesetzt, dass keiner stehen bleibt, verschwinden die unerwünschten Personen (Anm. des Verfassers: Die Menschen verschwinden nicht wirklich, sie tauchen nur nicht auf dem Foto auf. Sonst würde ich mich vor den Trump-Tower stellen, bis der Besitzer vorbeikommt…).

Ardèche – Leica M240 mit 21mm Super Elmar bei f/3.4  2 sec ISO 200 ND-Filter 3,0

Von stilistischen Einflüssen (wie der Darstellung von Bewegung) abgesehen, nimmt die Bedeutung der Langzeitbelichtungen in der Low-Light-Fotografie ab. Als ich die Bildrecherche für dieses Tutorial durchführte, fiel mir auf, dass ich in den letzten Jahren immer weniger auf lange Belichtungszeiten angewiesen war, aus zwei Gründen: Erstens, weil man bei Leica sehr lichtstarke Optiken zur Verfügung hat, die auch bei grösster Öffnung Schärfe über das ganze Bild gewährleisten. Zweitens, weil das Rauschverhalten der Sensoren inzwischen so niedrig ist, dass man bei hohen ISO-Werten mit kurzen Verschlusszeiten arbeiten kann. Speziell mit der Leica Q (die zusätzlich über Bildstabilisierung verfügt) enthebt mich das der Notwendigkeit, bei schwindendem Licht ein  Stativ mitzuschleppen.

Diese London-Skyline wurde mit Ministativ von der Brüstung des Queen’s Walk bei ISO 200 gemacht. Handwerklich o.k., aber das Foto, das ich ein paar Minuten zuvor aus der Hand mit ISO 3200 von der Tower-Bridge aus gemacht hatte (unten), gibt die Stimmung des Abends tausend mal besser wieder, obwohl es rauscht und die letzte Schärfe fehlt

Aber will man nun unter klassischen Gesichtspunkten ein möglichst rauschfreies Foto erzeugen, müssen folgende Gesichtspunkte erfüllt sein:

  • Ein schwingungsfreies Stativ (was meist nur von denen guter Qualität gewährleistet wird). In Städten ist meist ein Ministativ völlig ausreichend, ein Geländer, ein Pfeiler oder eine Brüstung als Abstellmöglichkeit findet sich immer.
  • Ein gutes Objektiv (dabei ist Lichtstärke weniger wichtig als dessen Verhalten bei der Darstellung von punktförmigen und/oder grellen Lichtquellen).
  • Wenn die Belichtungszeit ruhig lang sein kann, ist es kein Problem, als Blendenwert den „sweet spot“ des jeweiligen Objektivs zu wählen, meist etwas über f/3.4.
  • Nur RAW-Dateien sind brauchbar.
  • Der native, also niedrigste ISO-Wert der Kamera muss fest eingestellt sein (also ISO-Auto ist voll daneben, dann hat man nichts gewonnen!), um Rauschen auf ein Minimum zu reduzieren. Allerdings Pull-Werte vermeiden.
  • Live-View: Im allgemeinen lässt sich der Bildausschnitt so besser komponieren, ausser wenn es so stockdunkel ist, dass man nichts auf dem Monitor sieht. Dann muss man es mit trial and error versuchen.
  • Im allgemeinen wird man die Entfernung auf „Unendlich“ stellen. Bei M-Objektiven kein Problem, weil das einfach der Anschlag des Entfernungsrings ist. Bei Autofokus-Kameras nützt der Anschlag gar nichts, weil diese Objektive über „Unendlich“ hinausgehen. Auf „manuell“ stellen und mit Hilfe irgendeines ausreichend entfernten Referenzobjektes scharf stellen und nicht mehr verändern.
  • Mit Fernauslöser oder Selbstauslöser (auf 2 Sekunden eingestellt) arbeiten, um Schwingungen zu vermeiden. Bei Spiegelreflex: Vor der Aufnahme Spiegel hochklappen!

La Vallée hereuse -Leica M9 mit 35mm Summilux bei f/4.0  12 sec ISO 160. In diesem Bild sieht man, was der Vollmond (der nicht im Bild erscheint, weil er völlig ausbrennt) mit dem Nachthimmel anrichtet. Da braucht man keine Sterne zu fotografieren. Hier ging es aber um den Campingplatz in diesem lieblichen Tal, der wie eine Szenerie aus „Herr der Ringe“ erscheint (Lorien)

Belichtungszeit

Was nun die jeweils notwendige Belichtungszeit angeht, kann man bei halbwegs gleichmässig, wenn auch gering ausgeleuchteten Szenerien (z.B. Städten bei Nacht) erst mal den Wert annehmen, den die Mehrfeldmessung der Kamera bei neutral eingestellter Belichtungskorrektur vorgibt. Histogramm checken! Bei sehr ungleich im Bild verteilten oder grellen Lichtquellen empfiehlt es sich, eine Belichtungsreihe mit wenigstens 2 EV Abstand zu machen und später zu entscheiden, welche Belichtung den günstigsten Ausgangspunkt für die Nachbearbeitung bietet. Falls alle Stricke reissen, kann man ggf. ein HDR daraus machen (die entsprechende Funktion in LR6 ist sehr brauchbar), meistens ist aber die Sensordynamik ausreichend.

HDR von Burg Salavas – Leica M240 mit 50mm Summicron bei f/4,0  Belichtungsreihe aus 5 Fotos bei ISO 250. Die Dynamik dieser Szene war zuviel für den Kamerasensor. Daher entschied ich mich, eine Belichtungsreihe zu machen und in Lightroom zusammenzusetzen. Zum Vergleich (unten) dasselbe Bild entwickelt aus einer der benutzen Dateien, noch der beste Kompromiss. Dennoch können die Highlights nicht beherrscht werden, in den dunklen Bildanteilen rauscht es stark.

ND-Filter

Die starken ND-Filter haben den Nachteil, dass sie die Farbtemperatur des Tageslichts nach Orange verschieben. Im Prinzip kann man das später in LR ausgleichen, hat aber manchmal im Bild keine neutralen Referenzpunkte zur Bestimmung der Lichttemperatur. Kurz gesagt, man muss dann raten und nach Gefühl und Wellenschlag vorgehen. Das muss nicht daneben liegen, aber wenn man sicher gehen will, macht man am Ort ein Probefoto mit Graukarte (zum Beispiel „Whibal“). Wenn man solche Spielereien wie Langzeitaufnahmen vorhat, dürfte dafür auch noch genügend Zeit sein.

Bergbach – Leica M9 mit 28mm Summicron bei f/4,0   3 sec ISO 160 ND-Filter 3,0

Feuerwerk/Gewitter

Bei Feuerwerken hängt die Zeit davon ab, wieviel Restlicht noch im Himmel selbst ist. Die Belichtungsautomatik ist nutzlos. Wenn man vor dem Feuerwerk misst, wird sie Belichtungszeit eher zu lang, während des Feuerwerks viel zu kurz gemessen. Ist es schon völlig dunkel, dann kommt es vor allem darauf an, wie schnell Feuerwerkskörper aufeinander folgen. Wenn sich zu viele im Bild überlagern, ist das unschön. Im allgemeinen pendelt sich die Zeit irgendwo zwischen 6 und 20 Sekunden ein.  Bei diesem Sonderfall (Feuerwerk oder Gewitter) muss die Blende zwingend auf mindestens f/5.6, eher f/8 oder f/11 geschlossen werden, weil die Lichtmenge aus den Feuerwerkskörpern (oder den Blitzen) den Sensor ausbrennen. Bei grösseren Blendenöffnungen sind der „Trail“ und die Explosion der Rakete ist zwar auf dem Foto, aber alles ist völlig weiss, weil keine Farbinformationen mehr da sind. Nebenbei: Über „Gewitter“ habe ich bereits hier ein Tutorial.

Feuerwerk über Vlotho – Leica M240 mit 50mm Summilux bei f/4.0  8 sec ISO 200

Sterne

Will man den Nachthimmel fotografieren, wählt man die längste Belichtungszeit, die die Kamera hergibt. Allerdings muss man sich im Klaren darüber sein, dass abhängig von der Brennweite die Sterne anfangen, „Trails“ zu bilden, da sie sich in der Zeit der Belichtung weiterbewegen. Das kann erwünscht sein, wenn die Rotation des Nachthimmels dargestellt werden soll. Bei Aufnahmen von der Milchstrasse kann man das eher nicht gebrauchen. Für Astrofotografen gibt es spezielle Geräte, die die Kamera „nachführen“, aber da ich kein Astrofotograf bin, genügt mir die Faustformel, mit der ich je nach Brennweite bestimmen kann, wie lange ich höchstens belichten kann und die Sterne noch einigermassen Punktförmig erscheinen: 600 dividiert durch die Brennweite. Beispiel: Bei 21mm ergibt sich so etwa eine Zeit von 30 Sekunden.

Übrigens ist der Mond der Feind. Steht er am Himmel, brennt er das Bild an der Stelle total aus, weil er viel zu hell ist. Aufnahmen von monderhellten Landschaften, auf denen sowohl die Landschaft gut ausgeleuchtet ist und auch der Mond seine charakteristische Zeichnung aufweist, stinken nach Photoshop. Also entweder vor Mondaufgang oder bei Neumond fotografieren.

Als Tipp: Bei der Leica Q ist die maximale Bel.-Zeit 60 Sekunden. Da sie sich mit steigender ISO-Empfindlichkeit verkürzt, stelle ich bei Aufnahmen vom Sternhimmel auf ISO 400, weil ich dann in 30 Sekunden die maximale Lichtmenge einfangen kann und die Sterne sich noch nicht zu sehr langziehen.

Milchstrasse über dem Tarn – Leica Q bei f/1.7 30sec bei ISO 400 Die Bäume und Büsche habe ich mit einer LED-Fahrradlampe „bemalt“