In den Kommentaren kam neulich die Frage auf: Was passiert eigentlich, wenn man Vintage-Objektive vor die M10-M baut? Können die mit der hohen Auflösung des Sensors umgehen, oder vielmehr umgekehrt: Kann der Sensor mir der vielleicht schlechteren Abbildungsleistung klar kommen? Wird das gar „soft“ oder „matschig“? Explodiert die Kamera?

Kurz: lohnt es sich, die Kamera anzuschaffen (und eigentlich gilt die Frage auch für die M10-R), wenn man älteres Glas besitzt? Muss man sich gleich das 50er Apo-Summicron dazu kaufen (und ist mal so rund 15.000 Euro los…)? Bei Leica selbst wird natürlich darauf herumgeritten, dass die Auflösung erst richtig zur Geltung kommt, wenn diese modernsten Objektive eingesetzt werden. Und wenn es bei einem Bild darum geht, wieviele Linienpaare auf den Quadratmillimeter kommen, kann diese Aussage auch nicht in Frage gestellt werden.

Aber Leica möchte auch seine schönen neuen Linsen verkaufen.

Erwin Puts hat eine unglaubliche Menge an Leica Objektiven vermessen. Die Lektüre seiner Webseite ist keine leichte Kost. Aber ich zitiere mal aus seinem Review zum 50er Summilux Asph.:  „Derzeit weisen alle Leica-Objektive einen sehr geringen sphärischen Fehler auf, und dann ist die Wahl nicht relevant: Alle Objektive haben automatisch einen hohen Kontrast und eine hohe Auflösung.“

Die moderneren Linsen sind mit Sicherheit alle in der Lage, mit den 40MP klarzukommen. Ich hatte bisher die M10-M immer mit 21er Super-Elmar, 28er Summicron, 35er Summilux oder Summicron, 50er Summilux oder 90er Macro-Elmarit benutzt und an der Auflösung gab’s nichts zu meckern. Alles rattenscharf. Alles relativ moderne Optiken.

Was passiert, wenn man Vintage-Objektive von Herrn Mandler vor die Kamera baut? Endet das böse? Das fragte ich mich jetzt selber, und es ließ mir keine Ruhe. Ein paar ältere Schätzchen habe ich ja immer in Griffweite. Für einen Spaziergang heute morgen schnappte ich ganz schnell das 50er Elmar f/2.8 von 1963, es ist versenkbar (was ich an der M10-M lieber nicht ausprobiere).

Anmerkung: Die Beispielbilder sind hier mit einer Kantenlänge von 2000 Pixel. Bei dem Thema habe ich kurz überlegt, sie in voller Auflösung einzustellen, aber das bremst die Webseite zu sehr.

Vintage-Objektive
Leica M10-M mit 50mm Elmar f/2.8 bei f/5.6 1/350s ISO 250 Gelbfilter,  Fokus auf unendlich

Wieder zuhause sah ich mir die Ergebnisse in LR an und fand nichts auszusetzen. Wieviele Linienpaare das Glas nun schafft, erscheint mir irrelevant, die Bilder sind kontrastreich und hoch aufgelöst. Vermutlich könnte man mit dem 50er Apo-Summicron noch kleinere Schriften im Bild lesen, aber was soll’s? Verfällt hier Leica nicht in dieselbe Masche, wie schon seit langem die fernöstlichen Mitbewerber? Reiten sie auf Features herum, die für die praktische Fotografie völlig irrelevant sind? Ist das „das Wesentliche“? Nein, das ist Marketing.

Vintage-Objektive
Leica M10-M mit 50mm Elmar f/2.8 bei f/4.0 1/350s ISO 200 Gelbfilter. Das Bild ist nicht auf unendlich fokussiert, so dass der Baum in der linken Bildhälfte nach außen hin unschärfer wird.
Vintage-Objektive
Bildausschnitt vom obigen Foto (über 100%). Zu soft? Oder fehlt was? Ich würde sagen, der Sensor hat kein Problem mit der Linse und umgekehrt.

Während ich mir die Augen in LR wundstarrte, fragte ich mich, was wohl die alten Schraubleica Vintage-Objektive auf der M10-M bringen? Ich machte eine Testreihe jeweils mit dem 5cm Summitar (ein echter Dinosaurier), dem 5cm Summicron I, und dem 9cm Elmar f/4. Bei jedem Objektiv wurde eine Reihe von Offenblende bis Blende 8 gemacht.

Im Slider: Blendenreihe mit dem 5cm Summitar. Bei Offenblende (f/2.0) grauenhaft, Peter Karbe würde nachts schreiend aufwachen. Bei 2.8 schon akzeptabel, ab f/4.0 keine Probleme mehr.

Im Slider: Blendenreihe mit dem 5cm Summicron I (siehe Abbildung Beitragsbild ganz oben). Schon bei Offenblende eine ganz andere Nummer als das Summitar. Ab Blende f/2.8 alles takko.

Im Slider: Blendenreihe mit dem 9cm Elmar f/4. Schon bei f/4 sehr gute Abbildungseigenschaften. Ab f/5.6 alles super.

Ich kann wiederum nicht sagen, welche maximale Auflösung die Optiken leisten können, es erscheint mir auch unerheblich. Sicher ist, dass die speziellen Charakteristika der Linsen voll erhalten sind und die 40MP sich keinesfalls daran stören. Das verrückteste Ding ist mir Sicherheit das Summitar bei Offenblende: Derartig imperfekt, dass einem die Augen tränen! Aber wenn ich das Teil vor eine Filmkamera oder die „normale“ M10 spanne, kommt dieselbe Bildwirkung dabei heraus (siehe Beispiele im Beitrag „Die Welt jenseits des Fokus-Bokeh“).

Das heisst für mich, dass jedes Objektiv vor der M10-M innerhalb seiner Möglichkeiten funktioniert. Und mehr will ich doch gar nicht! Jedenfalls kommt nichts schlechteres dabei heraus, als vor einer Kamera mit Film oder einem weniger hoch auslösenden Sensor. Selbstverständlich ist mir klar, dass dies keine wissenschaftlich fundierte Analyse ist. Da müsste man Siemenssterne fotografieren und auswerten. Das überlasse ich Erwin Puts. Ich nehme derweil die wichtigste optische Messbank: Meine eigenen Augen.

Fazit: Auch Altglas kann vor der M10-M glänzen!

Zum Vertiefen: Ein Artikel von Michael Hußmann „Gute und schlechte Gründe für mehr Megapixel„.

12 Kommentare

  1. Hallo Claus,

    mal wieder ein schöner Artikel! Du schaffst es, trotz gewisser Techniklastigkeit so anwendungsorientiert zu schreiben, dass ich deine Artikel immer gern lese und auch für meine Fotografie relevant finde. Pixelpeeping bei 300% Vergrößerung hätte dagegen mit Fotografie wenig zu tun (ohne in Abrede zu stellen, dass es vielen Menschen dennoch Freude macht, was ja gut ist).

    Ich habe das versenkbare 50er 2.8 kürzlich für meine M6 gekauft (an die M10 traue ich mich damit auch nicht ran) und fühle mich durch deinen Bericht bestätigt bevor ich die Linse getestet habe. Die Auflösung auf deinen Bildern (soweit man das in der Webauflösung beurteilen kann) ist klasse. Und damit meine ich das Gesamtbild, denn Schärfe ist nur eine von mehreren Komponenten.

    Dass alte Linsen ausreichend sein können habe ich unfreiwillig mit dem Kauf einer alten russischen Linse (50mm) für die Leica festegestellt, die ich in der elektronischen Bucht gekauft hatte. Ich wollte eine klassische weiche Anmutung mit leicht unscharfen Rändern für meine Portraits. Das Objektiv war ein Fehlkauf: Alles scharf 🙂

    Nochmals lieben Dank fürs Teilen deiner Erkenntnisse und Gedanken zur Fotografie.

    Viele Grüße,
    Thomas

    • Claus Sassenberg

      Hallo Thomas,

      vielen Dank für deine Besuche hier! Ich freue mich, dass ein Profi wie du etwas mit meinen Ergüssen anfangen kann.

      Das alte 50er kannst du ruhig vor die M10 bauen, nur komm nicht auf die Idee, es zu versenken!

      Was die weiche Linse für Porträts betrifft: Klassischer Fall für’s Thambar! Leider ist das Ding teuer. Aber damit dürfte der 40er Jahre-Look kein Problem sein. (Oder: Vielleicht mal so ein Teil leihen und ausprobieren?)

      Viele Grüße und frohes Schaffen,

      Claus

      • Hallo Claus,
        ich habe ein 3,5/50 Elmar mit M-Bajonett, an der M 10 liefert es – auch bei voller Öffnung – sehr gute, durch und durch scharfe, verzeichnungsfreie Bilder. Dagegen fällt das alte Hektar 4,5/135 deutlich ab, das muss erst kräftig abgeblendet werden. Also ältere Linsen können ihre Qualitäten haben, und das Unverwechselbare des M Systems ist dessen völlige Kompatibilität. Die sollte das Leica Marketing nicht klein reden, sie ist der Kern und die Alleinstellung (USP für die Marketingfreaks) des M Systems. Das neue Objektive besser sind, ist bei den Preisen selbstverständlich – erst die Umkehrung zeigt den Unsinn der Fragestellung: sollen neu gerechnete Objektive etwa schlechter sein? Die „alten Schätzchen“ sind eine schöne Bereicherung, und man muss nicht immer für eine ordentliche Optik tief in die Tasche greifen, vor allem wenn bestimmte Brennweiten nur selten gebraucht werden.
        Herzliche Grüße und weiterhin viel Spaß mit der M 10 M
        Wieland

  2. Hallo Claus,

    schöner Beitrag, schöne Bilder und auch eine schöne Kamera! 😉

    Ich bin gespannt, wann ich hier die ersten Erfahrungsberichte über eine Leica Q2 Monochrom von Dir lese. 😉

    Schöne Grüße von der Linsen-Suppe.de

    Mario

    • Claus Sassenberg

      Hallo Mario,

      danke für’s Lob!

      Auf den Erfahrungsbericht über die Q2 Monochrom musst du leider warten, bis Angela Merkel Weltmeisterin im Luftgitarrenspiel wird…

      Wenn man die M10-M hat, ist die Q2 überflüssig wie ein Nagel im Kopf. Die normale Q2 fände ich da als „farbige“ Ergänzung sinnvoller.

      Dazu kommt, dass ich Kameras für meinen eigenen Gebrauch kaufe. Ich habe schon mehrfach Angebote abgelehnt, diese oder jene im Verleih zu „testen“. Man kann es drehen und wenden wie man will, aber man verliert dann seine Unabhängigkeit, oder bleibt nicht lange „Tester“! Nein danke, wenn ich eine Kamera Sch… finde, will ich es auch sagen können.

      Viele Grüße, schönes Wochenende,

      Claus

  3. Ein bekannter Politiker hat mal gesagt „wichtig ist, was hinten raus kommt“

    Es kommt dort nur darauf an, wie/wo die Bilder präsentiert werden sollen. Normal wird sein, dass sie auf einem Bildschirm mit guter Auflösung betrachtet werden (Full Screen?, der dann auch optimal eingestellt ist, ohne Reflexionen ?). Heute ist es wohl eher wahrscheinlich, dass die Bilder bei den (un)sozialen Netzen in geringer Auflösung mit allem möglichen ablenkenden Text und Icons darum herum betrachtet werden – und das sicher auch oft noch auf dem Handy – und bei Licht im Freien!?

    Also, wann kommt denn ein A2 oder A1 Druck auf edlem Hahnemühle Papier dabei heraus?
    Ein Bild aus der M246 Monochrom mit 24 MPixel hat bei A2 immer noch ca. 250 DPI Druckauflösung und bei A1 noch 170 DPI! Da werden Unterschiede erst bei bester Papieroberfläche sichtbar, vom normalen Betrachtungsabstand mal ganz abgesehen.
    Mit der M10M kommt man bei A1 auf ca. 220 DPI.
    Da wäre ein Blindtest interessant, ob jemand den Unterschied feststellen kann.

    Ich benutze an meiner Sony A7RII mit 42 MPixel seit Jahren auch sehr viele alte Objektive, ob es ein altes Trioplan oder Helios 44 ist oder sogar das nachgebaute Petzval 85mm, aber natürlich auch Leica und Zeiss Linsen. Es kommt doch immer darauf an, welchen Charakter das Bild haben soll, weich, scharf, Bokeh …

    Spaß machen alle Objektive, die Schwierigkeit ist eher, welches ich jeweils (mit)nehme 🙂

    Happy shooting
    dierk

  4. Wow, toller Bericht, witzig geschrieben und auf die wesentliche Punkte gebracht.
    Danke
    Gruss aus dem Emmental
    Helmut

  5. Lieber Claus,
    also wenn dieses Objektiv A an der Kamera B verwendet wird, das kann ja nicht gut funktionieren……, Pixel-Peeping³.
    Dein Artikel ist mal wieder super. Ich habe mir inzwischen ein Heliopar 44-2 f/2 mit einem Nikon F Adapter zugelegt und das macht herrlich unperfekte Bilder. Diese Woche müßte noch ein altes Carl Zeiss Jena 50mm Objektiv kommen und dann suche ich noch nach einem Zeiss Ultron und einem Pancolor 50mm f/1.8. Die werden alle viel Spaß machen.
    Alte Linsen sind herrlich charaktervoll und produzieren Looks, die man anders schwerlich hinkriegt.

    Bleib gesund und sei fleißig,
    LG Dirk

    • Claus Sassenberg

      Lieber Dirk,

      viel Spass mit dem Altglas (ups – das reimt sich ja!).

      Habe mir jetzt vorgenommen, auch mal öfter die alten Schätzchen zu benutzen.

      Fang dir nix ein,

      Claus

  6. Danke für den interessanten Artikel.

    Ich verwende meine M10M mit dem Apo-Summicron und bin sehr zufrieden damit, Alles andere wäre ja auch erstaunlich. Aber ich gedenke, mir ein altes 35mm Objektiv zuzulegen, und da stellt sich die Frage schon, ob das sinnvoll ist. In diesem Sinne fand ich den Artikel hilfreich. Ich besitze auch ein Noctilux 1.0, aber das ist aus anderen Gründen (Gewicht und Fokussierung) nicht wirklich ideal für eine M10M.

    • Claus Sassenberg

      Gern geschehen!

      Bei meiner Recherche zur Auflösung „herkömmlicher“ Leica-Objektive (gibt’s sowas?) stieß ich auf einen alten Testbericht zur Monochrom I, in dem aber das 50er Summarit f2.5 (also das „Alte“!) auf seine Auflösung untersucht wurde.

      Ergebnis: Die besten Werte, die je im Labor von digitalkamera.de gemessen wurden! Bis zu 70 lp/mm.

      Ich extrapoliere mal wieder (wie auch im Artikel), aber wenn ein Summarit (und nichts gegen Summarite, eher im Gegenteil!) das schon bringt, braucht man von den anderen, auch älteren Linsen nichts schlechteres erwarten.

      Viele Grüße,

      Claus

  7. Hallo Claus,
    Boh, wer stellt denn so blöde Fragen? 😉
    Klasse, dass Du das gleich getestet hast! Es wäre tatsächlich auch ein Jammer, wenn die Bilder mit den alten Linsen an einer M10M schlechter (z.B. eben matschiger) herauskommen als an einer M9M…vergleichbar mit Michelin X400-Reifen auf einem aktuellen Porsche montiert. Aber letztlich sollte Leica ja auch Kameras verkaufen wollen und nicht nur Karbe-Linsen. Und das schaut in der Tat sehr, sehr vielversprechend aus. Das Summitar ist eh eine Geschichte für sich, das hat bei weit offener Blende auch auf der M2 einen, sagen wir mal sehr eigenen, Charakter.
    Danke für den Test!
    Viele Grüße,
    Tom

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