Zuallererst: Mit einer Leica-M zu fotografieren, das hat nichts damit zu tun, dass die Kamera vermeintlich eine bessere Qualität abliefert als eine vergleichbare Vollformat-Kamera mit gutem Glas davor. Die aktuelle M10 befindet sich lediglich auf einem Level mit anderen High-End Geräten. Für die meisten Fotografen ist sie definitiv dritte Wahl, wenn sie eine Nikon- oder Sony-Vollformat-Kamera in die Finger bekommen können. Vermutlich würden auch viele aus dem Fuji-Lager mit APS-C-Sensoren nur entrüstet schnauben, wenn man ihnen erklären würde, eine Leica-M sei besser. Mehr wert – ja, aber besser? Was muss eine Kamera können? Das ist extrem subjektiv, jeder hat andere Ansprüche an die Technik, je nachdem, was er eigentlich fotografieren will.

LeicaAber ganz klar: Gute Kameras – und Leute, die sie bedienen können, gibt es reichlich. Ebenso gibt es einen Haufen Nichtskönner, die mit den teuersten Kameras der Welt beschissene Bilder machen. Leica ist nicht nur Hersteller hochpräziser optischer Instrumente, sie haben auch einen Status als „Luxusmarke“ und ziehen Snobs an wie der Kadaver einer drei Wochen toten Ratte Kakerlaken. Die einen hängen sich das Ding wie ein Juwel um, die anderen – fast noch schlimmer – meinen, sie hätten mit der Kohle, die sie ausgegeben haben, gleichzeitig auch tolle Bilder gebucht und müllen damit das Internet zu. Genauso gut könnte man meinen, mit dem Meissel von Michelangelo aus jedem Marmorblock einen David zu holen.

An dieser Stelle muss ich die Anekdote einwerfen, die von Gertrude Steins Besuch einer Ausstellung von Leica-Ikone Henri Cartier-Bresson handelt. Besonders pikant ist dabei noch, dass H.C.B. ursprünglich viel früher eine Karriere als Maler anstrebte und die Stein nur einen Blick auf eines seiner Werke geworfen hatte, um ihm dann zu raten, doch lieber ins Familiengeschäft einzusteigen. Ziemlich vernichtende Kritik also. Jetzt, einige Jahre später, hatte H.C.B. seine Berufung gefunden und auch schon einen Namen. Gertrude Stein besuchte also seine Vernissage. Nach ausführlicher Begutachtung der Fotos lobte sie diese und fragte ihn, mit welcher Kamera er sie gemacht habe. Daraufhin antwortete Cartier-Bresson offenbar deutlich angefressen: „Meine Liebe, ich habe Ihr letztes Buch gelesen, es ist wunderbar. Sagen Sie, mit welcher Schreibmaschine haben sie es getippt?“

Es ist über 10 Jahre her, dass ich meine Canon 5D II auf die virtuelle Müllkippe warf – für eine Leica M9, die wesentlich weniger konnte. Deren Sensor bei DxO gegen den der 5D unterirdisch abschnitt, weniger Auflösung (auf dem Papier) hatte, kein Live View und schon gar kein Autofokus. War ich verrückt geworden? Oder einer dieser Snobs, die mit dem roten Punkt angeben wollen? Aber wie? In all den Jahren war für die meisten jede M, die ich umhatte, nur eine archaisch wirkende Kamera. Ich verkehre offenbar in den falschen Kreisen.

Als Statussymbol kann ich die also vergessen. Für fotografisch nicht interessierte Menschen stellt sie allerdings einen Hingucker dar. Ich wurde schon häufig von Leuten auf die Kamera angesprochen, die ansonsten achtlos an einer fetten DSLR mit aufgeschraubter Thermoskanne (=dickes Zoom-Objektiv) vorübergehen.

Ganz anders im Internet: Erschreckend, wie viel Hass und Sozialneid hervorbricht, wenn es um Leica-Produkte geht. 98% der Trolle, die jede Neuvorstellung von Leica trashen, haben allerdings noch nie so etwas in der Hand gehabt. Die restlichen 2% werden von der Konkurrenz dafür bezahlt.

Was sind die Punkte, die für mich zählen?

  • Es ist das kompakteste Vollformat-System auf dem Markt, und das ist für meine Zwecke sehr wichtig. Als die M9 neu war, gab es überhaupt nichts vergleichbares, heute mag jemand einwenden, dass es die Sony A7 gibt. Aber mit deren Systemeigenen Objektiven ist die deutlich größer, wegen des ganzen Autofokus-Krims-Krams. Natürlich – mit manuellen Fremdobjektiven ist die Sony auch klein. Aber erstens funktionieren dabei die weiten Brennweiten nur mit deutlichen Abstrichen in der Bildqualität, zweitens ist dann das manuelle Fokussieren mit Fokus-Peaking zeitraubend. Warum? Siehe übernächster Punkt.
  • Manuelles Fokussieren (wenn man es beherrscht) schliesst Fehlerquellen aus, die bei Autofokussystemen auftreten. Der Autofokus sucht sich häufig unkontrolliert ganz andere Punkte als die anvisierten aus. Fokussieren durch Glasscheiben oder Zäune manuell kein Problem, mit Autofokus nicht möglich.
  • Der „Messsucher“ zur Entfernungsmessung ist ein hochpräzises optisch-mechanisches Instrument. Das manuelle Fokussieren ist Übungssache, viele können sich nicht vorstellen, wie man damit zum Beispiel bewegte Motive sicher festhält. Aber viele können sich auch nicht vorstellen, wie man eine Bachsonate auf einer Querflöte spielt… und es geht trotzdem. Das arbeiten mit einem Messsucher ist jedenfalls deutlich schneller als z.B. verwenden von Fokus-Peaking. Der Grund: Der Messsucher ist im Sucher der Kamera integriert, das Objektiv damit gekoppelt. Ein Dreh, und der Fokus ist eingestellt. Bei Fokus-Peaking jedoch blickt man durchs Objektiv. Man muss die Blende öffnen, Entfernung mittels Fokus-peaking einstellen, wieder auf Arbeitsblende schliessen, dann erst auslösen… in der Zeit habe ich mit einem Messsucher bereits fünf Fotos gemacht.
  • Fokussieren auch bei schwindendem Licht wesentlich länger möglich als selbst bei sehr guten Autofokussystemen. Durch den hellen Sucher (sehr viel heller als der Sucher einer DSLR!) kann man länger Konturen unterscheiden als der Autofokus, der dann höchstens ein nerviges Hilfslicht aussendet, das über 1,5m hinaus sowieso nichts nützt.
  • Es gibt direkte (physische) Kontrollen für die drei Parameter, die die Belichtung determinieren: Blende (der Blendenring am Objektiv), Belichtungszeit (das Zeitenrad auf der Oberseite der Kamera) und ein ISO-Wahlrad, wo früher die Rückspulkurbel war. Egal, ob die Kamera eingeschaltet ist oder nicht, ein Blick von oben genügt, um zu wissen, was aktuell eingestellt ist. Nur drei Variablen… ist das nicht unglaublich, was die fernöstliche Kameraindustrie daraus gemacht hat? Die heutigen Nachfahren der klassischen (und auch vom mir hoch geschätzten) Nikon F2 oder F3 sehen aus, als hätten sie Elephantiasis und Pocken. Aufgeblähte Plastikmonster mit zu vielen Knöpfen. Menüs, durch die kein Schwein mehr durchsteigt. Die Qual der Wahl bei „Scene-Modes“ und Belichtungsautomatiken. Frei belegbare Knöpfe, die sich kein Mensch merken kann. Das bringt uns direkt zum nächsten Punkt:
  • Sie ist ein absolut „ehrliches“ Werkzeug. Sie versucht nicht, für den Fotografen zu denken und so ungewollte Überraschungen zu erzeugen. Jeder, der den Zusammenhang zwischen Blende und Belichtungszeit verstanden hat, kann sofort damit fotografieren, ohne auch nur einen Blick in die Bedienungsanleitung zu werfen. Was er dann künstlerisch daraus macht, ist eine andere Sache. Telefonbuchdicke Bedienungsanleitungen gehören der Vergangenheit an. Insbesondere bei der M10 ist das Menü noch einmal abgespeckt worden.

Leica

  • Verarbeitung und Design. Sorry aber… wo wird sonst noch so viel Metall und Glas verarbeitet? Als das erste iPhone vorgestellt wurde, verglich Steve Jobs es mit einer Leica. Das Design ist ikonisch. Bauhaus. Dieter Rams. Form follows function, u.s.w.
  • Daraus folgt: Der Form-Faktor! Fotografiert man völlig Fremde, bleiben die wesentlich entspannter, als wenn man einen Fernost-Boliden mit fettem Zoom auf sie richtet, das sie dann unwillkürlich mit einem Raketenwerfer assoziieren.
  • Ein diskretes Verschluss-Geräusch. In den letzten zehn Jahren sind die DSLR’s auch leiser geworden, aber zur Zeit der M9 klangen die immer, als wenn Möbel umstürzen. Dagegen stellt das sanfte Klicken einer M keine Störung dar (z.B. bei klassischen Konzerten).
  • Die Objektive des M-Systems zählen unwidersprochen zu den besten der Welt. Und z.B. Zeiss und Voigtländer als „Fremdmarken“ sind auch nicht gerade 2. Wahl. Wenn ich bedenke, was für recycelte Glasbausteine von Canon als Profi-Klasse (roter Ring) angeboten werden, dann bleibt mir ob der Dreistigkeit die Spucke weg.
  • Riesige, unglaublich vielseitige Auswahl an „Vintage“-Objektiven. Da mit Adapter auch die Objektive der Schraub-Leicas auf der modernsten M funktionieren, funktioniert auch „Vorkriegsware“. Es gibt wenige Ausnahmen, z.B. können die versenkbaren Objektive zwar benutzt, aber dürfen nicht eingefahren werden. Manche der älteren sehr lichtstarken Objektive leiden unter „Focus-Shift“, sollten also besser über Live-View fokussiert werden. Man kann diese Ausnahmen an einer Hand abzählen gegen Hunderte, die tadellos kompatibel sind.

Heute, 10 Jahre und diverse Leica-Modelle (digital und analog) später – habe ich immer noch keine Kamera gefunden, die ich einer Leica-M oder Q vorziehen würde.

Hier noch ein Statement von „La Vida Leica“, einer amerikanischen Fan-Seite:

Conclusion: There you have it. Some additional things to think about, or maybe think differently about when you talk of Leica gear. Sure, you can call them a luxury brand. But for many of us that shoot Leica gear, it’s not about that. It’s about the build quality, optical performance, consistency, simplicity and reliability of these tools that don’t stand in our way, try to change our methods or thinking and let us concentrate on what matters most – getting the shot. When you use the best gear available, it sets the bar higher for even your worst work. You cannot blame your gear any longer. There’s no such thing as „the lens sucked“ or „I was distracted while setting feature X and missed the shot.“ The M, whether mechanical or digital is as primal a tool as you’ll find. Its simplicity ties directly into your mind’s eye and responds only to your manipulations. While you might never live up to its capabilities, it will never hold you back from reaching them either.