Wenn am diesen Vergleich liest, fragt man sich, warum bei all den Vorteilen die Messsucherkameras nur eine Randerscheinung sind. Die Antwort ist einfach: Sie sind zu teuer. Aber die heutigen Spiegellosen Systeme (ohne Messsucher) verdrängen die Spiegelreflexkameras immer mehr.
Zunächst muss gesagt werden, dass der Messsucher („Rangefinder“) ein optisch-mechanisches Gerät ist, dass durch Kopplung mit dem entsprechend gebauten Objektiv („Rangefinder-Lenses“) das millimetergenaue fokussieren ermöglicht. Dieses „Ding“ ist sehr aufwendig herzustellen, die Fertigungstoleranzen sind mit einem Schweizer Uhrwerk vergleichbar, so ist es kein Wunder, dass damit ausgestattete Kameras sehr teuer werden. Die digitale Variante erfordert ausserdem besonders hohe Genauigkeit, denn die Schichtdicke der Pixelebene strebt gegen Null, während die Filmemulsion in analogen Kameras höhere Toleranzen ohne negativen Effekt zulässt.
Der Messsucher in der neuen Leica M10 ist wahrscheinlich der beste, der je gebaut wurde, denn gerade die lichtstarken Summilux (oder gar Noctilux-) Objektive haben weit offen eine hauchdünne Tiefenschärfe und verzeihen beim fokussieren nicht den geringsten Fehler.
Viele Vorteile der Messucherkameras treffen aber auch auf die inzwischen immer populärer werdenden „Spiegellosen“ Kameras zu (von denen die Messsucherkameras nur eine Variante darstellen), die nicht unerheblich dazu beitragen, dass viele ihre sperrigen DSLR-Systeme verschrotten (sagen wir mal: verkaufen) und sich bei Sony oder Fuji mit entsprechenden Modellen einzudecken. Der Verkauf von Spiegelreflex-Kameras ist Nikon und insbesondere Canon deswegen regelrecht weggebrochen. Zwar sind DSLR’s immer noch im professionellen Bereich unverzichtbar (v.a. Sport-Fotografie), aber selbst dort (im Bereich Mode, Event-Fotografie, Reportage u.ä.) gehen die Profis zu spiegellosen Systemen über wegen der Vorteile, die ich noch im Einzelnen aufzählen werde.
Die Spiegelreflextechnik hat durch die Möglichkeit, alle möglichen Objektive ohne Aufwand zu benutzen (vor allem wegen der populären Zoom-Objektive), den Markt in den 70er Jahren erobert und nicht mehr losgelassen.
Exkurs: Die meisten „Consumer-Class“-Zoomobjektive sind nicht sehr gut. Lichtschwach zum einen, optische Fehler wie Verzeichnung oder chromatische Aberration werden mit kamerainterner Software korrigiert, was die Auflösung merklich beeinträchtigt. Selbst eine Einsteiger-Klasse DSLR könnte oft viel bessere Ergebnisse bringen, wenn sich der Besitzer ein besseres Objektiv anschaffen würde und das „Kit-Objektiv“, das mit der Kamera geliefert wurde, in eine Blumenvase umwandelt.
Die Frage ist aber nicht: „Was ist besser?“, sondern: „Wo liegen die Stärken des jeweiligen Systems?“
Die Kamera ist das „Werkzeug“ des Fotografen. Wie dieses Werkzeug beschaffen sein soll oder welche Eigenschaften besonders vorteilhaft sind, hängt von den jeweiligen Bedürfnissen des Fotografen ab. Die „eierlegende Wollmilchsau“ (die Kamera, die alles kann) gibt es auch bei Kameras immer noch nicht. Man muss schon wissen, was man fotografieren will, um eine Auswahl zu treffen. Dennoch gibt es bestimmte Kriterien, die Zeitlos sind, was die „Gestalt“ betrifft. Das hat auch nichts mit analoger oder digitaler Technik zu tun. Es gilt der einfache Grundsatz „Form follows Function“.
Sean Reid ist ein bekannter Spezialist für Kameras. Seine Webseite mit Reviews für alle gängigen Modelle ist eine Fundgrube für Profifotografen und das, was die Fachwelt als „ernsthafte Amateure“ bezeichnet. Auch die Kameraindustrie ist an seinem Urteil sehr interessiert und nimmt gerade sein Feedback sehr ernst. Er schrieb kürzlich ein Essay für die Webseite „Luminous Landscape“ , in dem er die allgemeinen Grundprinzipien der Bedienung beschreibt, die er für eine Kamera für essentiell hält. Dabei war es für mich eine Bestätigung auch meiner Entscheidung für den Gebrauch einer Leica, dass er eben diese Kamera als herausragendes Beispiel für funktionelles Design wählt. Im Grunde stammt die Anordnung der Bedienelemente aus den dreißiger Jahren, aber sie ist so sinnvoll, dass man das Rad sozusagen nicht neu erfinden muss. Ein Link zu dem exzellenten Essay befindet sich hier.
Vorteile der Messsucherkameras
- Sehr hohe Bildqualität bei kompakter Bauweise: Es können große Sensoren in relativ kleine Gehäuse verbaut werden, auch die Objektive können klein bleiben, weil sie nahe der Bildebene angeordnet sind, denn es muss kein Platz für den Spiegel bleiben. So haben selbst sehr starke Weitwinkelobjektive (12mm) wenig Distortion. Die Bildqualität wird natürlich auch dadurch gehoben, dass alle Objektivhersteller in dem Bereich, sei es Leica, Zeiss oder Voigtländer, sehr hohe Ansprüche an ihre Produkte stellen. So rangiert die Bildqualität im Bereich der High-End Profi-DSLR‘s und übertrifft natürlich die „Consumer-Produkte“ bei weitem.
- Sehr viel leichtere Ausrüstung: Aus dem ersten Punkt ergibt sich gleich der zweite große Vorteil: Wenn man wirklich das Bedürfnis hat, alles Mögliche mitzuschleppen, ist der Gewichtsunterschied enorm! Siehe Bild unterhalb der Aufzählung
- Sehr exaktes fokussieren auch bei schlechten Lichverhältnissen: Wenn die Autofokussysteme auch sehr guter Kameras nicht mehr funktionieren oder ein nerviges AF-Hilfslicht aussenden, lässt sich ein Messsucher immer noch problemlos einstellen. Während der Aufnahme behält man auch das Motiv stets im Auge (im wichtigsten Moment verschwindet das Sucherbild bei SLR‘s). Dazu noch: Fokussieren auch durch Hindernisse wie Zäune oder Glasscheiben problemlos, der Autofokus dagegen wird hier immer auf‘s Glatteis geführt.
- Sucherrahmen für die jeweiligen Objektive werden automatisch eingespiegelt. Innerhalb des Rahmens kann das resultierende Bild „komponiert“ werden, der Fotograf sieht aber auch, was sich ausserhalb der abgebildeteten Zone tut und demnächst ins Bild kommt. Die M10 z.B. hat eine Suchervergrößerung von 0,73, das ermöglicht für das 28mm-Objektiv den größten Rahmen, praktisch die gesamte Fläche des Suchers. Ein 35mm, 50mm oder gar 75mm-Objektiv hat schon viel Platz um den Rahmen, man sieht also, was sich „drumherum“ so bewegt. Bei längeren Brennweiten werden die Rahmen leider unpraktisch klein. 90mm geht noch, aber 135mm ist durch den Sucher nicht mehr praktikabel zu fokussieren. Dafür haben die M240 und die M10 dann Live-View (oder den elektronischen Aufsteck-Sucher).
- Sucherrahmen: Ein Bildfeldwähler-Hebel vorn am Gehäuse ermöglicht es, die unterschiedlichen Objektivrahmen im Sucher einzuspiegeln (egal, welches Objektiv gerade davor ist) und sich so die Entscheidung über die für das Motiv benötigte Brennweite leichter zu machen.
- Gebrauch von Filtern: Farbfilter für die S/W-Fotografie, Graufilter usw. vor dem Objektiv stören im Gegensatz zur Spiegelreflex-Kamera nicht, der Blick durch den Sucher bleibt ungetrübt.
- Keine Vibrationen beim Auslösen: Der Spiegel bei SLR‘s erzeugt beim hochklappen Vibrationen, die bei Belichtungszeiten ab 1/30 s und länger zu Unschärfen führen kann. Auf einem Stativ bei stillstehendem Motiv kann man das Problem umgehen, indem man den Spiegel vor der Aufnahme hochklappt, aber bei „normalem“ fotografieren unmöglich, da man dann ja nichts mehr durch den Sucher sieht…
- Das Auslösegeräusch ist ebenfalls viel leiser im Vergleich zur SLR, wo einige Hardware vor dem Sensor im Augenblick der Aufnahme weggeräumt werden muss. Ein leises Klicken des Tuchverschlusses ist alles, was ein RF von sich gibt. Sehr praktisch in leisen Umgebungen, z.B. klassischen Konzerten.
- Kein „Shutter lag“: Das ist die Verzögerung der Auslösung (=Shutter lag), eben durch jenes notwendige hochklappen des Spiegels verursacht. Wenn man den Auslöser bei RF‘s betätigt, ist das Bild im Kasten und nicht das danach…
Nachteile (der klassischen Messsucher, gelten nicht für die M240 oder die aktuelle M10)
- Sucherparallaxe: Es kann entfernungsabhängige Abweichungen zwischen dem Bild im Sucher und dem tatsächlichen Bild geben.
- Sucherblockierung: Wenn verhältnismäßig große Objektive benutzt werden, kann ein Teil des Suchers (untere rechte Ecke) verdeckt werden.
- Schlechte Fokussierungsmöglichkeiten im Telebereich (ab ca. 130mm): Das Motiv ist für exaktes Scharfstellen irgendwann einfach zu weit weg…
- Umständliches Arbeiten im Makro-Bereich: Viel Aufwand, die immer größer werdende Parallaxe auszugleichen…
- Manueller Fokus: Bei sehr stark bewegten Motiven zu langsam.
- Evtl. Wartungsintensiver: Das Messsuchersystem ist rein mechanisch und muss manchmal nachjustiert werden, das kann nur im Werk erfolgen.
Vorteile der Spiegelreflexkameras:
- Aus den Nachteilen der Messsucherkamera ergeben sich unmittelbar die Stärken bei SLR‘s: Das Bild im Sucher entspricht dem Bild auf dem Sensor, Makro-Bereich und sehr lange Brennweiten darum kein Problem.
- Autofokus bei sich schnell bewegenden Motiven überlegen (Sportfotografie)
- Keine „Extrasucher“ für kurze Brennweiten (s. Bild oberhalb).
Mit allen Nachteilen, die durch den optisch/mechanischen Messsucher bedingt sind, räumt die M (Typ 240) sowie die M10 (und die neueren spiegellosen Kameras von z.B. Fujifilm oder Sony) allerdings auf:
Live View über das grosse hintere Display oder einen aufsteckbaren elektronischen Sucher ist möglich, so das von nun an alle Objektive, egal welcher Brennweite, sogar Fremdobjektive (sofern sie manuell fokussierbar sind) an der „M“ benutzt werden können. Die „M“ beinhaltet alle Tugenden der Messsucherkamera und bietet gleichzeitig „Features“, die sonst nur bei DSLR‘s möglich waren.